Unburnable Carbon
Investorengruppe hinterfragt Fossil-Strategien der Ölkonzerne
Die Firmen der Öl-, Gas- und Kohlebranche stecken in einem Dilemma: Sind sie mit ihrem bisherigen Geschäft weiter erfolgreich, reichern sie die Atmosphäre mit Kohlenstoff an, was unabsehbare Auswirkungen hat. Begrenzen sie sich in ihrer Ausbeute fossiler Rohstoffe, verlieren sie "am Markt". Dieses Dilemma thematisiert nun eine Investorengruppe, die wissen will: Wie sehen die Risikomanagementszenarien der Unternehmen aus?
An 45 Unternehmen aus dem Ölgeschäft sandte eine Gruppe von 70 Investoren die Frage, wie die Unternehmen gedenken, mit den Risiken des "unburnable carbon" umzugehen. Das Risiko, welches sie für die Unternehmen sehen, beschreiben sie mit der 2010 gefassten internationalen Vereinbarung, die globale Durchschnittstemperatur um nicht mehr als 2°C steigen zu lassen. Aus dieser politischen Limitierung ergibt sich nach heutigen wissenschaftlichen Erkenntnissen eine Grenze von 450 Kohlendioxid-Teilchen pro 1 Million Luft-Teilchen (ppm), die nicht überschritten werden sollte. Diese Limitierung fließt auch in die Szenarien der Internationalen Energieagentur und anderer Energieanalysten ein. Sie bedeutet jedoch, dass ein großer Teil der heute bekannten Kohlenstoffreserven im Boden bleiben müsste und nicht verwendet werden dürfte. Es wären demnach Kohlenstoffreserven bekannt, aber unnutzbar: eben "unburnable carbon".
Die Gruppe aus Investoren, bestehend aus Pensions-Fonds und Investmentfirmen, die zusammen 3 Billionen US$ verwalten, akzeptiert dieses Ziel: "Wir glauben, die langfristige Gesundheit der Wirtschaft hängt von einem effektiven Management der Finanzrisiken ab, die sich aus dem Klimawandel ergeben." Sie beziehen sich auf die IEA und verweisen darauf, dass der aktuell eingeschlagene Pfad (im World Energy Outlook der IEA als "current policies scenario" genannt) zu 660 ppm CO2 in der Atmosphäre und zu einem Durchschnittstemperaturanstieg um 3,6°C führen würde.
Um das Ziel von 450 ppm einzuhalten, müssten demnach die Investitionsentscheidungen der Ölkonzerne überdacht werden, zugleich ist jedoch das bereits existierende Unternehmenskapital von Abschreibungen bedroht. Laut IEA dürfe nur noch ein Drittel der bewiesenen fossilen Reserven bis 2050 ausgebeutet werden, der Rest müsse logischerweise im Boden verbleiben. Nach einer Analyse der größten Bank Europas, der HSBC, könnte dies zu einem Verlust von 40 bis 60% des Marktwertes jener Firmen führen, die solche kohlenstoffbasierten Vermögenswerte in ihren Büchern führen.
Die anfragenden Investoren äußern die Befürchtung, dass die Kreditwürdigkeit der Firmen, in denen sie investiert haben, infrage steht und dass heute getätigte Investitionen - beispielsweise in die Suche nach neuen Öl- und Gasreserven - abgeschrieben werden müssen, weil die Ausbeutung der Funde niemals realisiert würde. Die Rede ist von Investitionen dieser Art von 674 Milliarden US$ allein im Jahr 2012. Der Brief der Investoren thematisiert auch die Auswirkungen des Klimawandels auf die Infrastrukturen der Öl- und Gasförderbranche, die durch Extremwetter, Fluten und Stürme ebenfalls betroffen wäre und entsprechende Risiken zu tragen hätte.
Die Investoren fordern die Firmen auf, Risikomanagementszenarien zu entwerfen: a) für den Fall ungebremsten Klimawandels und b) für den Fall von Abschreibungen auf bekannte Kohlenstoffvorräte. Darauf aufbauend sollen neue Investitionspläne entworfen werden.
Elizabeth Douglass, die für Bloomberg diese Initiative recherchierte, nennt 30% des Marktwerts der Firmen, der in den bewiesenen Kohlenstoff-Reserven steckt. Demnach wären die entsprechenden Firmen um ein Drittel überbewertet, wenn politisch diskutierte Kohlenstofflimits greifen würden. Risiken für die Firmen ergäben sich auch dann, wenn durch politische Steuerungen der Bedarf an Öl, Gas und Kohle entsprechend der 2°C-Ziele sinken würde, denn dies würde die Umsätze der Firmen zurückfahren. Auch dies ein Risiko, welches die Investorengruppe gern durchdacht sähe.
Die zugrunde gelegte Idee des "unverbrennbaren Kohlenstoffs" (unburnable carbon) führt auch Vorstellungen ad absurdum, Phänomene wie Peak Oil, Peak Coal oder Peak Gas seien obsolet, weil immer wieder neue Öl-, Gas- und Kohlereserven gefunden würden. Würden die politischen Zielsetzungen zu den Treibhauslimits umgesetzt, würde eine klare Limitierung im Energieversorgungssystem die Notwendigkeit eines Verbrauchsrückganges sogar verstärken. Peak Oil käme dann nicht durch geologisch-technische, sondern durch politische Limitierungen zustande, und würde eine Verbrauchsreduktion beschleunigen. Aussagen wie kürzlich von Christoph Frei, Generalsekretär des Weltenergierates, nach denen die Schrumpfung weltweiter Ölreserven in eine weite Zukunft gerückt sei, wären dann nicht einmal halb wahr: Die Reserven wären noch da. Aber nutzen dürfen wir sie nicht.