Ungarn: "Pleite 2.0"
Obwohl das Land nach dem Notkredit unter Aufsicht des IWF stand hat es falsche Daten an die EU geliefert
Das Drehbuch ist aus Griechenland bekannt. Nach einer Neuwahl kommen plötzlich die Daten auf den Tisch, an denen die Vorgänger herummanipuliert haben. In Ungarn waren es jetzt die Konservativen, die nach den Wahlen im April mitgeteilt haben, dass das Haushaltsdefizit viel höher ausgefallen wird, als von der früheren sozialistischen Regierung noch veranschlagt worden war. In Griechenland war es genau anders herum, da hatten die Konservativen nicht einmal die Hälfte des realen Haushaltsdefizits an die EU nach Brüssel gemeldet (siehe Pleitekandidat Griechenland).
Auch in Ungarn dürfte das Defizit im laufenden Jahr mit mindestens 7,5 % wohl doppelt so hoch ausfallen als bisher angenommen. Es könnte auch noch mehr sein, auch dafür stand Griechenland Pate, denn auch die Nachmeldung der Sozialisten fiel noch zu niedrig aus. Letztlich waren es 13,6% im vergangenen Jahr, also 0,9% mehr als von den Sozialisten nachgemeldet wurde. Und auch diese Angaben hat die europäische Statistikbehörde noch mit einem Vorbehalt versehen. In Ungarn bahnt sich ein ähnlicher Vorgang an. "Wir finden ständig neue Leichen im Keller", sagte der Regierungssprecher. Lajos Kosa, hochrangiger Vertreter des seit 29. Mai regierenden "Bundes Junger Demokraten" (Fidesz), sieht nur eine "geringe Chance, eine Situation wie in Griechenland zu vermeiden". Die größte Aufgabe sei es "den unmittelbaren Staatsbankrott abzuwenden".
Dabei ist die Lage in Ungarn tatsächlich anders als in Griechenland. Denn Griechenland musste erst kürzlich vor der Pleite gerettet werden, doch in Ungarn steht nun "Pleite 2.0" an. Oder hat man schon vergessen, dass Ungarn zu den Ländern gehörte, denen schon im Oktober 2008 mit 20 Milliarden Euro unter die Arme gegriffen wurde, um die Staatspleite zu verhindern? Vor allem kam das Geld damals vom Internationalen Währungsfonds (IWF), aber auch die EU war schon mit 6,5 Milliarden Euro dabei (siehe Warum stützt die EU Lettland, Rumänien und Ungarn?). Die Fälschungen der Angaben fanden also unter den Augen des überwachenden IWF statt. Wohlweislich wurde der Notfallfonds des IWF inzwischen schon von 50 auf 550 Milliarden Dollar ausgeweitet, weil Ungarn nicht der letzte Fall sein wird, wie man in Washington nur zu gut weiß. Denn immer deutlicher entpuppt sich die Weltwirtschaftkrise als Schuldenkrise.
Interessant ist auch, dass die Konservativen mit Versprechen eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament erringen konnten, weil der Bevölkerung die Maßnahmen zur Stabilisierung, mit denen die Sozialisten das Land "fit" für den Euro machen wollten, nicht gefielen. Fidesz hatte im Wahlkampf versprochen, dass Belastungen kräftig gesenkt und unpopuläre Entscheidungen der Sozialisten zurückgenommen werden sollen. Entgegen dieser Versprechungen stehen den Ungarn nun die typischen Belastungen bevor, wie sie Griechenland, Spanien, Irland oder Portugal aufgedrückt wurden: Erhöhung der Mehrwertsteuer, Senkung der Löhne im öffentlichen Dienst, Einfrieren der Renten und Einschnitte ins soziale Netz. Budapest will das Defizit schnell senken und in Kürze ein umfassendes Krisenpaket vorlegen. Dabei gehe es um "tiefe strukturelle Veränderungen", sagte Regierungschef Viktor Orban am Freitag.
Besonders an Ungarn ist auch, dass das Land den Euro noch nicht hat. Es könnte also das umsetzen, was Griechenland immer mit einem Rauswurf aus der Währungsunion angeraten wurde. Es kann den Forint abwerten. Die Landeswährung befindet sich ohnehin im Sinkflug und fiel am Freitag zum Euro auf den tiefsten Stand seit einem Jahr. Das ist nur bedingt aussagekräftig, denn auch der Euro stürzt immer weiter ab. Der Euro fiel auf 1,1992 Dollar und damit zum ersten Mal seit März 2006 unter die Marke von 1,2000 Dollar.
Doch eine Abwertung des Forint bedeutet der Bankrott vieler Familien. Denn im früheren Aufschwung hatten Hunderttausende Bürger Kredite aufgenommen. Das ist erstmals nichts besonderes, aber die Kredite wurden oft in Euro oder anderen Devisen vergeben. Sinkt der Forint müssen die Menschen deutlich mehr zurückbezahlen, wozu viele nicht in der Lage sind. Entgegen den Äußerungen, mit denen nun die ungarischen Politiker die Hiobsbotschaften relativieren, die sie gerade ausgesprochen haben, dürfte die Lage tatsächlich sehr ernst sein. Eine "Faktenkommission" soll nun Licht in die tatsächliche Finanzlage bringen und am Wochenende eine Zwischenbericht liefern, danach soll der EU binnen 72 Stunden ein "wirtschaftlicher Aktionsplan" vorgelegt werden.
Wo man besonders über den neuen Problemfall besorgt ist, zeigte sich an den Börsen der jeweiligen Problemländer. Verlor die Börse in Ungarn am Freitag 3,14%, waren es in Madrid bei einem neuen Absturz sogar 3,8%. Nur knapp dahinter lag das Problemland Italien), denn in Mailand ging der Leitindex um 3,7% in den Keller. Auch auf Paris strahlte die Ungarn-Krise wieder deutlich aus, in Frankreich büßte die Börse 2,8% ein, während der Dax in Frankfurt nur 1,8% verlor.