Warum Richter und Staatsanwälte auch für unabhängige Justiz streiken
Ein Justizskandal nach dem anderen kommt in Spanien ans Licht und das führte nun dazu, dass der Präsident des Kontrollrats der Justiz das Handtuch werfen musste
Nein, wir sprechen nicht über Ungarn oder Polen! Wir sprechen über Spanien, ein Land, das als demokratisch gilt und das anders als die beiden genannten Länder keine Vertragsverletzungsverfahren in Brüssel gegen sich laufen hat, weil es massive Probleme mit der Justiz und mit deren Unabhängigkeit gibt.
Doch sind die Probleme so massiv, dass am Montag zum zweiten Mal in der neuen Geschichte Richter und Staatsanwälte im gesamten Land gestreikt haben. Schon im vergangenen Mai gingen die Juristen erstmals gemeinsam auf die Barrikaden. Obwohl kurz darauf die Volkspartei (PP) gestürzt wurde und mit Dolores Delgado nun eine Ex-Staatsanwältin das Justizministerium führt, die noch im Mai mitgestreikt hatte, änderte sich nichts.
Gut 60% der Richter und knapp 40% der Staatsanwälte haben sich an dem Ausstand beteiligt, zu dem sieben verschiedene Vereinigungen aufgerufen hatten. Es ging den Juristen beim Streik auch um bessere Ausstattung, mehr Personal und höhere Gehälter, da die Gerichte auch nach abstrusen Vorgängen der Justiz völlig überlastet sind.
Forderung nach Unabhängigkeit der Justiz
Da in einem nie dagewesenen Akt zum Vorteil der Banken gerade die Rechtsprechung zu Notarkosten wieder kassiert wurde, wurden erneut hunderttausende Kreditnehmer auf den individuellen Klageweg geschickt, was in der Folge die Gerichte belasten wird. Eine Justizposse hatte sich zum massiven Skandal ausgeweitet, der allen im Land deutlich gemacht hat, wie es um die Unabhängigkeit der Justiz bestellt ist.
Deshalb stand diese Forderung auch bei diesem Streik stark im Vordergrund. Als hätte es noch weiterer Anlässe bedurft, so gab es in den vergangenen Tagen vor allem zwei neue Skandale, die miteinander verknüpft sind, die den Streikenden neue Munition geliefert und auch die neue Regierung in einem sehr schlechten Licht gezeigt haben.
Denn die Sozialdemokraten von Pedro Sánchez hatten sich mit der PP auf die Erneuerung des Justiz-Kontrollrats (CGPJ) geeinigt. Ausgehandelt wurde, dass ausgerechnet der PP-Kandidat Manuel Marchena, der auch bei der Anklage gegen Katalanen durch eine erfundene Rebellion international für Schlagzeilen sorgt, dem CGPJ und dem Obersten Gerichtshof vorstehen solle.
Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sehen anders aus
Das ist schon deshalb bedenklich, weil es sich um einen klaren Rechtsbruch handelt. Denn das verfassungsausführende Gesetz stellt klar, dass es die 20 Mitglieder des Kontrollrats sind, die ihren Präsidenten wählen. Doch die neuen CGPJ-Mitglieder stehen nicht einmal fest. Es ist klar, dass beide Parteien nur die als Kandidaten nominieren wollten, die auch für Marchena stimmen.
Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sehen anders aus. Dabei wollen wir nicht darüber reden, dass die PP einen enormen Einfluss auf die Wahl hat, da die Partei wegen des absurden Wahlrechts mit nur 33% der Stimmen über eine absolute Mehrheit im Senat verfügt, der allein 10 der 20 Mitglieder bestimmt.
Die Möglichkeit, dass die neuen Kontrollratsmitglieder wenigstens den Präsidenten frei wählen können, der in vielen Fragen entscheidend ist, wie in Pattsituationen, wurde von der PSOE und PP ausgehebelt.
Dabei kritisiert der Europarat schon seit Jahren das spanische Vorgehen und hatte Veränderungen angemahnt.
Doch statt demokratischer zu werden, zeigt Spanien auch unter der PSOE, dass es sogar die geringe Kontrolle und Unabhängigkeit noch aushebelt. Weil viele Jahre im Land nichts geschehen war, hatte die Group of States against Corruption (GRECO) des Europarates im letzten Bericht massive Veränderungen angemahnt.
Darin wurde erneut eine "fehlende Reglementierung objektiver Kriterien und Bedingungen zur Evaluierung für die Ernennung von Kandidaten für Spitzenpositionen in der Justiz" kritisiert. Richter und Staatsanwälte würden gemäß "politischer Verbindungen" und nicht nach "juristischen Verdiensten und Qualifikationen" ernannt. Festgestellt wurde, dass "keine der elf Empfehlungen" aus dem vorhergehenden Bericht, "zufriedenstellend umgesetzt wurden".
Der Deal mit den Sozialdemokraten
Um dem ganzen Vorgang zur Ernennung neuer Richter auf Spitzenpositionen noch die Krone aufzusetzen, denn schlimmer geht immer in Spanien, tauchten am Streiktag auch WhatsApp-Nachrichten des PP-Sprechers Ignacio Cosidó in der Presse auf und haben die Empörung der Juristen auf einen neuen Höhepunkt getrieben.
In den Kurzmitteilungen begründet Cosidó gegenüber Parteimitgliedern den Deal mit den Sozialdemokraten. Besonders die Tatsache, dass die PSOE-Kandidaten nun eine Stimmenmehrheit von 11 zu 10 haben sollten, und über die Beförderung von José Ricardo de Prada gab es Kritik. Denn Prada hatte den Gürtel-Korruptionsskandal aufgerollt und viele PP-Korrupte und die Partei verurteilt.
Das könne "schlecht klingen" schrieb Cosidó. "Es ist jedenfalls gut, Prada aus dem Nationalen Gerichtshof zu holen", denn es sei besser, der sitzt im Kontrollrat, als "Urteile gegen die PP zu fällen".
Der Cosidó, der auch als einstiger Polizeichef in sehr dubiose Vorgänge und in den Sumpf der "Kloaken des Innenministeriums" verwickelt sein soll, hebt auch hervor, dass die PP zwei wichtige Kammern kontrolliert.
Die 2. Kammer "durch die Hintertür" und die 61te durch einen Präsidenten. Der PP-Sprecher macht mit all seinen Worten klar, was er von der Unabhängigkeit der Justiz hält: nichts. Warum sind diese beiden Kammern so wichtig für die PP?
Die 2. Kammer ist mit Korruptionsfällen betraut. Das ist für die von Korruptionsfällen zerfressene PP besonders wichtig, die wegen des "effizienten Systems institutioneller Korruption" im Gürtel-Skandal verurteilt wurde, was zu ihrem Sturz führte. Entweder ist das der PSOE völlig egal, dass darüber Korruptionsbekämpfung behindert und Urteile am Obersten Gerichtshof gegen PP-Korrupte ausgehebelt werden können, oder die Partei ist unfähig.
Vielleicht haben die Sozialdemokraten nicht einmal bemerkt, welche Kuckuckseier ihnen da ins Nest gelegt werden. Beides wäre ähnlich schlimm.
Kontrolle über die Parteiverbots-Kammer
Warum die PP die 61te Kammer kontrollieren will, ist auch klar. Denn es ist eine einst neu geschaffene Sonderkammer, die sich mit Parteiverboten befasst. Damit will die PP, deren neuer Chef und Hardliner Pablo Casado, ständig nach dem Verbot von katalanischen Unabhängigkeitsparteien schreit, die Hebel in die Hand bekommen.
So ist es auch kein Wunder, wenn der ehemalige Chef der baskischen Partei Batasuna per Twitter hinweist, dass es diese Kammer war, die auch seine Partei verboten hat. Arnaldo Otegi weist auch darauf hin, dass es diese Justiz war, die ihn und weitere vier Politiker illegal für mehr als sechs Jahre inhaftiert hatte.
Das Urteil gegen sie, in allen Instanzen in Spanien abgenickt, hatte vergangene Woche der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte kassiert, weil sie kein "faires Verfahren" hatten.
Der Streik der Richter und Staatsanwälte zeitigte in einem Punkt schon einen Erfolg. Der PP-Richter Marchena wird nicht mehr dem Kontrollrat vorstehen. Er hat angesichts der veröffentlichten WhatsApp Nachrichten das Handtuch geworfen.
Angeblich soll damit der gesamte Pakt hinfällig sein und es ist fraglich, wie es mit der Erneuerung in der Justiz weitergeht. Diesen Vorgang kann man der politischen Praxis von Regierungschef Pedro Sánchez zurechnen, stets links zu blinken, um dann rechts zu überholen.