Was ist schon natürlich heutzutage ...
Was Patricia Piccini als "natürlich" zeigt, irritiert zuerst einmal, aber was ist anhand von fortschreitender Gentechnik und Familienrobotern eigentlich noch wirklich "natürlich"?
Das aus dem 19. Jahrhundert und der Romantik entstammende Konzept einer "heilen Natur", die geheimnisvoll und trotzdem heil in sich existiert, dunkle Wälder und frisches Quellwasser bietet, ist ein wenig in die Jahre gekommen. Das mit der Natur ist in allen Schädeln, schließlich schädigen wir sie ja, das wissen wir nicht erst seit Greta Thunberg. Aber was genau heute noch als natürlich angesehen werden kann, das kommt ein wenig in Erklärungsnot, wenn man sich umschaut.
So zeigt Patricia Piccini in irritierenden Bildern eine Natürlichkeit, die es so eigentlich nicht gibt, provoziert mit säugenden Schimären und Untieren, die uns mit Menschenaugen anschauen. Schön ist es auch auf den zweiten Blick nicht, was sie uns da zeigt, es wirkt auch nicht wirklich natürlich, aber was ist es? Und wie weit ist es von einem Naturbegriff weg, der immer weiter durch Gentechnik eingedellt wird?
Man bekommt eine fast urfeuilletonistische Nachdenklichkeit, wenn man die Bilder länger betrachtet. Natürlich regt sich Widerstand. Aber es regt sich daneben kein Widerstand gegen Schimären von Wölfen, die wir heute Schoßhunde nennen. Und alle Nutztiere, die auf dem Planeten mehr oder weniger gut leben können, sind nicht aus der Natur an sich – egal wie man diese definieren will – entstanden. Take that. Wir haben uns eine Natur gezüchtet, die auch den dunklen Wald vor allem zur Holzgewinnung angepflanzt sieht. Fast nichts mehr ist wirklich in einer urtümlichen Weise natürlich, war es schon im 19. Jahrhundert nicht.
Schon gar nicht, wenn man sich nun die ersten Familienroboter anschaut, die es bald in unseren vier Wänden geben soll. Sozial gedachte Maschinen, die sich in unser privates Gefüge einpassen. ganz natürlich mit uns interagieren sollen. Natürlich würde heute keiner von uns sagen, dass es sich um eine ganz natürlich entstehende neue Maschinengattung handelt. Ich würde gegen solch eine Aussage aber nicht die Hand ins Feuer legen, gehen noch einmal 50 bis 100 Jahre ins Land. Was wird in einem 22. Jahrhundert als natürlich gelten, wenn es bis dahin frei in den dortigen Wäldern herumstreunende Roboter geben könnte. Vielleicht sogar zum Abschuss freigegeben, so wie heute Rotwild (das auch zum Genuss seines Fleisches gezüchtet wird).
Ich weiß nicht, ob dann in diesem nächsten Jahrhundert Schimären aus der Fantasie von Patricia Piccini zum Abschuss freigegeben werden. Ich habe keine Ahnung, ob wir dann immer noch eine so freundliche Vorstellung von urtümlicher Natur haben werden, wenn uns zunehmend Stürme wie "Sabine" die Bude eindrücken und ein gar nicht so freundliches Bild von Mutter Erde zeichnen. Aber ich ich bekomme eine Ahnung, dass sich diese Begriffe von Natur und Natürlichkeit im Fluss befinden. Und es würde mich nicht wundern, wenn es genetische und Siliziumromantizismen geben wird, die sich nach einem unverdorbenen Computer oder Zellhaufen zu sehnen beginnen. Ich kann nicht sagen, dass ich das erleben will. Aber ausschließen tue ich es nicht mehr.
Das sei mir als Kommentar zum Wochenanfang erlaubt.