Zieladresse im Körper für Metastasenbildung

Forscher haben "Kundschafter" gefunden, die herausfinden, welches Gewebe sich für die Krebsausbreitung eignet

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Der Kampf gegen Krebs könnte einen entscheidenden Schritt vorangekommen sein, glaubt ein Forscherteam, dem mehr als 50 Wissenschaftler aus sieben Nationen angehören. Etwa 90 Prozent der Krebs-Todesfälle gehen nicht auf den Primärtumor zurück, sondern auf Metastasen die in anderen Organen gebildet werden. Und das Team am Weill Cornell Medical College in New York hat nun einen Mechanismus entdeckt, wie sich der Krebs auf andere Organe ausbreitet, was neue Möglichkeiten zur Behandlung und Vorbeugung eröffnen könnte.

Schon vor fast 130 Jahren hatte der britische Arzt Stephen Paget die sogenannte "Seed-and-Soil-Theorie" (Saat und Ackerboden) formuliert und ein Modell aufgestellt, wie sich Metastasen von Tumorzellen eines Primärtumors in anderen Organen bilden. Seine Theorie besagt, dass die "Saat" des Primärtumors über das Blut und Lymphen ausgebracht werden. Es können sich aber nur in den Geweben Metastasen bilden, in denen die Tumorzellen auch auf günstige Bedingungen treffen.

Und genau an dieser Theorie setzte das Forscherteam an und veröffentlichte in Nature die Ergebnisse. Unter den Autoren befindet sich der Spanier Héctor Peinado. Der Chef der Gruppe für Metastasten am spanischen der Nationalen Zentrums für Krebsforschung (CNIO) ist Kodirektor der Studie. Und das CNIO spricht von "einem der größten Fortschritte seit mehr als einem Jahrhundert, für die Vorhersage, wo sich eine Tumor-Metastase bilden kann". In Nature hatten die Forscher bemängelt, dass seit der Theorie von Paget "zu wenig Fortschritte gemacht wurden, um die Mechanismen aufzudecken, die zur Metastasenbildung in bestimmten Organen führen".

Das Team hat nun herausgefunden, dass der Primärtumor zunächst mikroskopisch kleine Bläschen als eine Art "Kundschafter" aussendet, die Exosome genannt werden. Die sollen in anderen Organen genau das Gewebe aufspüren, in dem sich Metastasen des Primärtumors ausbilden können. Grundlage der Überlegung war die Erkenntnis, dass sich verschiedene Tumore in ganz unterschiedlichen Organen ansiedeln. "Unsere Resultate zeigen, dass es eine Art Etikett mit Zieladresse auf der Oberfläche der Exosome gibt. Das bewirkt, dass sie nur ganz spezielle Organe ansteuern und sich dort ansammeln, wo später Metastasen entstehen", sagt Héctor Peinado im Gespräch mit der Tageszeitung "El Mundo".

In ihren Untersuchungen wurden Zellkulturen von neun unterschiedlichen Tumorarten eingesetzt. Von ihnen wusste man, dass sie sich entweder in Leber, Lunge, Gehirn oder Knochen ansiedeln und Metastasen bilden. Herausgefunden wurde, wie sich die Exosome der verschiedenen Zellkulturen unterschieden. Und dabei rückten Integrine ins Blickfeld.

Die Glykoproteine verbinden Zellen mit anderen Zellen und sind bei der Signalübermittlung zwischen Zellen und deren Umgebung bedeutsam. Nachgewiesen werden konnte, dass die "Kundschafter" (Exosome) die eine bestimmte Integrin-Kombination aufwiesen, zum Beispiel im Lungengewebe andockten, während Integrine anderer Exosome sich im Gewebe der Leber ansiedeln und dort den für die Ausbreitung der Metastasen günstigen Boden beackern.

Im Tierversuch konnte das Verhalten der "Kundschafter" nachgewiesen werden. Und trickst man die Exosome durch Injektion aus, kann die Zieladresse für die Metastasenbildung auch verändert werden. Dann versuchten die Exosome, die eigentlich für Lungenmetastasen verantwortlich sind, Lebermetastasen auszubilden. Auch konnte der Vorgang des Beackerns im Gewebe festgestellt werden. Wenn der "Kundschafter" im für den Tumor günstigen Gewebe andockt, werden von ihm Entzündungen und Gewebeveränderungen ausgelöst, die für das Wachstum der jeweiligen Krebszellen begünstigen, erklärte Peinado.

"Unsere Arbeit legt nahe, dass der Nachweis von hohen Werten bestimmter Integrine bei Patienten mit Brustkrebs oder Bauchspeicheldrüsenkrebs eine Vorhersage zu erlauben scheint, wo sich eine Metastase bildet", führte er im Gespräch weiter aus. Als Therapieansatz wäre es unter anderem möglich, nun Medikamente zu entwickeln, welche die jeweiligen Integrin-Kombinationen blockierten, damit die "Kundschafter" das geeignete Gewebe in anderen Organen nicht mehr finden. Noch sind die Forscher aber vorsichtig, was die Vorhersagen angeht. Das müsse in breiteren Untersuchungen nun noch belegt werden.