Wie Zentralasien zum Drehkreuz zwischen Asien und Europa wird

Lange wurde die Region von Moskau dominiert. Das ändert sich gerade rasant. Deutlich wurde die Emanzipation unlängst bei einem Gipfeltreffen.

Ein Treffen alter weißer Männer der besonderen Art: Die Staatspräsidenten der zentralasiatischen Staaten Kasachstan, Usbekistan, Tadschikistan, Kirgisistan und Turkmenistan sitzen am 14. Oktober 2022 in der kasachischen Hauptstadt Astana mit ihrem russischen Amtskollegen Wladimir Putin um einen weißen runden Tisch zum Zentralasien-Gipfel. Dabei geschieht Unerhörtes.

Tadschikistans Präsident Emomalij Rahmon liest dem Kreml-Chef nach allen Regeln der Kunst die Leviten. Anschließend geht die siebenminütige Szene online viral und Millionen Menschen schauen sich an, wie Putin mit versteinerter Miene Rahmons wohldosierte Wutrede über sich ergehen lässt.

Doch Rahmon kritisiert nicht etwa Russlands völkerrechtswidrigen Angriffskrieg auf die Ukraine, sondern beklagt Moskaus vermeintliche Respektlosigkeit gegenüber den fünf postsowjetischen "Stans" in Geschichte und Gegenwart.

Bereits zu Sowjetzeiten habe Russland die zentralasiatischen Staaten lediglich als Rohstoffquelle ausgenutzt, kritisiert der Tadschike. Aber damals seien doch "Bücher in den Landessprachen veröffentlicht, Theater eröffnet und Kultur und Wirtschaft entwickelt worden", erwidert kleinlaut der Russe.

"Wir haben die Interessen unseres wichtigsten strategischen Partners immer respektiert. Wir wollen auch respektiert werden", insistiert Präsident Rahmon. Er fordert russische Milliardeninvestitionen in Zentralasien und deklariert, die Vernachlässigung Tadschikistans und der anderen zentralasiatischen Länder sei "einer der Gründe gewesen für den Zusammenbruch der Sowjetunion". Er möge doch bitte mal innehalten, fleht sein kasachischer Kollege Qassym-Schomart Toqajew. "Wir sind gekommen, um zu reden", beharrt Emomali Rahmon.

Das Bemerkenswerte an Rahmons Sermon ist nicht so sehr sein Inhalt wie die Schärfe seines Vortrags. Aus ihm scheint ein neu erwachtes Selbstbewusstsein gegenüber dem russischen Hegemon zu sprechen. Allzu lange hat Moskau Zentralasien als seinen Hinterhof betrachtet. So wie es sich aus Sicht der Westeuropäer bei der Region lediglich um von schrulligen Autokraten beherrschte Steppen handelte.

Nun haben Russlands militärisches Abenteuer in der Ukraine und die Rückkehr der Taliban zur Macht in Afghanistan die geopolitischen Kräfteverhältnisse zwischen Kaspischem Meer und China in Bewegung gebracht. Und diese Situation wollen die zentralasiatischen Staatsführer zur politischen Profilierung und wirtschaftlichen Entwicklung ihrer Länder zu nutzen.

Ein schlechter Frieden ist besser als ein guter Krieg", befand Kasachstans Präsident Toqajew zu Putins Angriff auf die Ukraine. Eine darüberhinausgehende Verurteilung ist weder von ihm, noch von anderen führenden Politikern Zentralasiens zu erwarten. Bei der Abstimmung zur UN-Resolution vom 2. März 2022 haben sich die post-sowjetischen Zentralasiaten ihrer Stimme enthalten oder sind ihr ferngeblieben.

"Dies ist nicht nur auf die vielfältigen Abhängigkeiten von Russland zurückzuführen, sondern auch auf eine politische Kultur, die auf der Überzeugung beruht, dass in der Außenpolitik Pragmatismus besser ist als Prinzipien und dass die Beziehungen zu den Nachbarn eher von langfristigen strategischen Interessen als von Moral bestimmt werden sollten.

So analysiert die Eurasien-Expertin Andrea Schmitz von der Stiftung Wissenschaft und Politik die Lage.