Wie Zentralasien zum Drehkreuz zwischen Asien und Europa wird
Seite 3: Alternative zu russischem Nordkorridor
- Wie Zentralasien zum Drehkreuz zwischen Asien und Europa wird
- Kritik an Moskau, Hilfe für Ukraine
- Alternative zu russischem Nordkorridor
- Auf einer Seite lesen
Mitte Dezember 2022 hat Usbekistan erstmals einen mit Kupferkonzentrat beladenen Zug von der usbekischen Hauptstadt Taschkent auf die viertausend Kilometer lange Reise über Turkmenistan, Aserbaidschan, Georgien nach Bulgarien geschickt.
Die transkaspische internationale Transportroute (TITR), auch Mittlerer Korridor genannt, gilt als natürliche Alternative für den Russland passierenden Nordkorridor, der bisher zumeist für den Güterverkehr zwischen China und Europa genutzt wurde.
In Friedenszeiten verfügt der nun wegen Krieg und Sanktionen blockierte Nordkorridor über beträchtliche Vorzüge für den Transport von Gütern von den Produktionsstätten in China zu den Kunden in Europa. Anders als der Mittlere Korridor passiert er der Eurasischen Wirtschaftsunion (EAWU) angeschlossene Länder, so fallen an den Grenzen bedeutend weniger Zollformalitäten an.
"Damit der Mittlere Korridor sein geostrategisches Potenzial ausschöpfen kann, genügen nicht Vereinfachung der Zollformalitäten", weiß Dilyor Khakimov, "es bedarf großer Investitionen in neue und leistungsfähigere Straßen, Schienenstrecken und Umschlagskapazitäten in den Häfen am Kaspischen Meer".
Zwar wurde bereits Anfang der 1990er-Jahre von der EU gemeinsam mit den kaukasischen und zentralasiatischen Staaten das Projekt des "Transportkorridor Europa – Kaukasus – Asien" (Traceca) initiiert. Das gerne auch als "Neue Seidenstraße" bezeichnete Vorhaben ist indes weitgehend eine wohlklingende Vision geblieben. Dagegen hat China mit seiner Belt-and-Road-Initiative (BRI) vor allem auf dem Balkan besser greifbare Resultat gezeitigt.
Botschafter Khakimov hofft nun auf ein wachsendes Interesse westlicher Staaten und Unternehmen an seinem Land und der Region Zentralasien. Ein Zeichen dafür sieht er im Besuch der deutschen Außenministerin Annalena Baerbock in Usbekistan und Kasachstan Anfang November 2022.
Die mit einer großen Wirtschaftsdelegation angereiste Ministerin stellte den ressourcenreichen Ländern einen Austausch "Rohstoff gegen Technologie" in Aussicht. Baerbock sieht Zentralasien als möglichen Produktionsstandort für Grünen Wasserstoff und alternativen Beschaffungsort für Seltene Erden zu China.
"Bereits im vergangenen Juli haben Usbekistan und die EU Verhandlungen zur Erweiterung ihres bestehenden Partnerschafts- und Kooperationsabkommens (EPCA) abgeschlossen", sagt der usbekische Botschafter in Brüssel. Und Mitte November 2022 habe man auf der ersten "EU-Central Asia Connectivity Conference 'Global Gateway for Sustainable Development'" in Samarkand Möglichkeiten zur Schaffung neuer Kommunikations- und Verkehrsverbindungen sondiert.
Dabei hat uns EU-Außenminister Joseph Borell zugesagt, dass die EU unsere Region in den kommenden Jahren mit 350 Mio Euro für Projekte in den Bereichen Digitalisierung, Transport, Energie und Umweltschutz unterstützen wird. Es sollen u. a. Breitbandkabel verlegt und zusätzliche Verkehrsverbindungen geknüpft werden.
Dilyor Khakimov
Dies werde Usbekistan und seine zentralasiatischen Nachbarländer "stärker in die internationale Arbeitsteilung und den Welthandel integrieren und unseren Völkern Wohlstand bringen".
Bei all den gegenseitigen Versicherungen zur Zusammenarbeit lassen sich indes bestehende politische Differenzen zwischen Zentralasien und Europa nicht übertünchen. Bei ihrem Besuch in Taschkent musste Baerbock feststellen, dass die Usbeken die Haltung des Westens gegenüber den Taliban in Afghanistan nicht teilen.
Obgleich sie das diktatorische Regime der Taliban in Afghanistan nicht unterstützen, so vermeiden sie doch die Konfrontation mit dem sechsten "Stan" und signalisieren stattdessen Dialog- und Kooperationsbereitschaft.
"Die Erfahrung der vergangenen Jahrzehnte hat gezeigt, dass die kompromisslose Politik der Stärke in Afghanistan gescheitert ist. Es hilft den dort lebenden Menschen wenig, wenn man die Taliban lediglich unter Druck setzt und isoliert. Besser ist es, ungeachtet bestehender Meinungsverschiedenheiten überfällige Infrastrukturprojekte für den Verkehr oder die Wasserversorgung gemeinsam zu realisieren, um auf diese Weise eine Annäherung zu erreichen", ist Botschafter Khakimov überzeugt.
Sein Land hält deshalb an dem im Februar 2021 mit Pakistan und Afghanistan vereinbarten Projekt des Transafghanischen Korridors fest. Dafür soll eine sechshundert Kilometer lange Schienenstrecke vom usbekischen Termez über Masar-e Scharif in die afghanische Hauptstadt Kabul und weiter nach Peschawar in Pakistan errichtet werden.
Sie soll dem von seinen zentralasiatischen Nachbarn umschlossene Binnenstaat Usbekistan Anschluss an den Hafen Karachi verschaffen und Europa eine neue Transportverbindung nach Südasien.
Der Europäischen Union käme es gewiss gelegen, sie könnte mit den zentralasiatischen Staaten nicht nur wirtschaftlich kooperieren, sondern sie auch zu gemeinsamen politischen Positionen gegenüber Staaten wie Russland, Afghanistan und dem Iran verpflichten. Dies dürfte sich auf absehbare Zeit aber kaum realisieren lassen. Bisher zeigen die fünf "Stans" keine Bereitschaft, die zu überwindende Abhängigkeit von ihrem russischen Dominator durch euroatlantische Prinzipientreue ersetzen zu wollen.