Nato rüstet auf am Schwarzen Meer

Zwischenfall über dem Schwarzen Meer, Mitte März 2023. Screenshot Video US European Command

Wegen Sicherheitslücke: Nato-Südostflanke soll verstärkt, Russland verwundbar gemacht werden, Eskalationsrisiko steigt; Truppen in Bulgarien und welche Rolle Deutschland spielt.

In Bulgarien kam eine Einigung auf eine "prowestliche Regierung" zustande. Das mag in der deutschen Öffentlichkeit kein großes Aufsehen erregen, sehr wohl wird das in der Nato-Führung und in Washington mit Beifall aufgenommen werden.

Denn Bulgarien spielt eine bedeutende Rolle bei geopolitischen Strategien des Westens in der Schwarzmeer-Region. Stichworte dazu lauten "Aufrüstung der Nato-Ostflanke" und "militärische Mobilität".

Hinter dem letztgenannten, wenig griffigen Allerweltsbegriff stecken große Ambitionen: Ziel des westlichen Verteidigungsbündnisses ist es, "dafür zu sorgen, dass Nato-Truppen von der Ostküste der USA bis zum Schwarzen Meer verlegt und versorgt werden können". Deutschland soll als Logistikdrehscheibe dazu beitragen.

Das sogenannte Joint Support and Enabeling Command (JSEC) in Ulm, welches für die Koordinierung von "Truppenbewegungen, Aufmarschrouten und die Absicherung militärisch relevanter Infrastruktur im rückwärtigen Raum der Nato in Europa" verantwortlich ist und somit "in Zukunft an allen Manövern der Nato beteiligt sein [wird], bei denen sich größere Truppenkontingente über den europäischen Kontinent bewegen" gilt als wichtigste Nato-Logistikzentrale für die Verlegung und Versorgung militärischer Kräfte.

IMI-Studie 01/2023

Nachzulesen sind die strategischen Pläne und Vorstellungen der Nato zur Schwarzmeer-Region, der Stand ihrer Umsetzung und das Eskalationsrisiko, das sie im Konflikt mit Russland bergen, in einer detaillierten Studie, die die Informationsstelle Militarisierung (IMI) kürzlich veröffentlicht hat. Den geopolitischen Interessen des Westens stehen nicht nur Moskau, sondern auch innenpolitische Konflikte in Bulgarien entgegen, so der weite Spannungsbogen der Studie.

Nato-Battlegroup in Bulgarien "kampfbereit"

Dort konstatiert die Autorin Yasmina Dahm, dass sich die Aufrüstung der Nato-Südostflanke bereits deutlich durch die in Bulgarien im Jahr 2022 neu eingerichtete multinationale Battlegroup manifestiert: "Die zunächst von der bulgarischen Regierung abgelehnte Battlegroup gilt seit Dezember letzten Jahres als vollständig kampfbereit."

Der Entwicklung voranging ein Besuch des US-Verteidigungsministers Lloyd Austin im März 2022, wo er sich erfreut zeigte, "dass die Zusammenarbeit mit Bulgarien nie enger gewesen sei". Gut möglich, dass sich die Zusammenarbeit mit der neuen prowestlichen Regierung des Nato-States (Beitritt 2004) noch vertieft.

Die Battlegroup hat eine Stärke von über 1000 Soldaten und Soldatinnen und wird von einer US-Infanteriekompanie samt Radpanzern unterstützt. Die Soldaten kommen aus Bulgarien, Italien, Albanien, Griechenland, Nordmazedonien, der Türkei, den USA und Montenegro. Unterstellt ist sie der Autorität des Nato-Oberkommandierenden in Europa.

Vier große Militärbasen in Bulgarien werden gemeinsam mit US-Streitkräften genutzt. Basis ist die Ratifizierung des sogenannten Defense Cooperation Agreements von 2006.

Schwächung Russlands, Führungsrolle der USA

Zu den strategischen Visionen des Westens im Schwarzen Meer gehört eindeutig die Schwächung Russlands, so die Studie.

Als Referenz dafür zitiert die Studie Ben Hodges, von 5. November 2014 bis Dezember 2017 Kommandeur der US Army Europe, der als General außer Dienst die großen Horizonte in den Blick nimmt: Die Schwarzmeerregion sei "die buchstäbliche und philosophische Grenze zwischen liberaler Demokratie und Autokratie", so Hodges in seiner Analyse von 2021: The Black Sea … or a Black Hole? ("Das Schwarze Meer ... oder ein Schwarzes Loch?").

Das Strategiepapier präsentiert einen 12-Punkte-Plan. In Punkt 2 fordert er auf, die "russische Schwarzmeerflotte in ihren illegalen Heimathäfen auf der Krim verwundbar zu machen".

Das bedeutet die Stationierung von Drohnen und Marschflugkörpern mit einer Reichweite von 500 km für die Nato-Staaten rund um das Schwarze Meer und die Verlegung von Minen, um Russlands Fähigkeit zu stören oder zu neutralisieren, Küsten, Häfen, Hoheitsgewässer und ausschließliche Wirtschaftszonen der Nato- und Partnerstaaten zu erreichen oder zu bedrohen.

Ben Hodges

Überschrieben ist das Strategiepapier mit der Aufforderung, die "Initiative zu ergreifen". Aus dem Papier lässt sich deutlich die Führungsrolle entnehmen, "die die Vereinigten Staaten übernehmen können, wenn dies gewünscht ist", um die "Sicherheitslücke in der Region" zu schließen, so die IMI-Studie.

Dort wird mit Tod Walters, militärischer Oberkommandierender der Nato,, ein zweiter General zitiert, der im Ruhestand Vorschläge für die Aufrüstung der Südostflanke der Nato macht: die Stationierung von Battlegroups wie im Baltikum wie auch von Kampfjets und der Ausbau der Flug- und Raketenabwehr.

Dass sich Tod Walters die Vorschläge von Hodges angeeignet und umgesetzt habe, verdeutliche ihre Bedeutung und ihren Einfluss auf das Vorgehen der Nato im Schwarzmeerraum, heißt es in der Studie.

Verdichtung der Nato-Präsenz

Das Bild einer verstärkten Nato-Militärpräsenz im Schwarzen Meer veranschaulicht die Studie mit Hinweisen auf das Nato-Großmanöver "Defender-Europe", auf die Vorgeschichte der Nato-Osterweiterungen, auf den Ausbau der Anlaufstellen für die schnellen Eingreiftruppen in Osteuropa sowie die Einrichtung von Nato-Battlegroups in der Slowakei, in Ungarn sowie in Rumänien und Bulgarien nach dem Nato-Treffen in Brüssel vom 24. März 2022. Damit gebe es derzeit acht einsatzbereite, multinationale Battlegroups vom Baltischen Raum bis zum Schwarzen Meer.

Zur Bekräftigung dessen, was dies für Folgen haben könnte, wird in der Studie aus einem Online-Kommentar der Nato zur Einsatzbereitschaft der neuen Battlegroups Ende Dezember 2022 zitiert:

Sie demonstrieren die Stärke des transatlantischen Bandes, und ihre Anwesenheit macht deutlich, dass ein Angriff auf einen Verbündeten als Angriff auf das gesamte Bündnis gewertet wird.

Gestiegenes Eskalationsrisiko

Angesichts der forcierten Nato-Militärpräsenz in der Region Schwarzes Meer erhöht sich das ohnehin gestiegene Eskalationsrisiko durch Zwischenfälle - von Januar 2013 bis Dezember 2020 zählt ein Beitrag für warontherocks 2.900 gemeldete Ereignisse, "bei denen Nato-Verbündete und Russland Missionen durchführten, die sie in die Nähe des jeweils anderen brachten", besonders häufig in der "Ostsee, im Schwarzen Meer und in Norwegen.

Größere Aufmerksamkeit bekam der Zwischenfall mit der US-Reaperdrohne und russischen Kampfjets über dem Schwarzen Meer im März 2023 und der russische Beinahe-Abschuss eines Nato-Aufklärer über der Krim.