"10 Strategien der Manipulation" revisited

Seite 2: Strategie 6: Reflexionen durch Emotionen ersetzen

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Was gemeinhin als "Denken" bezeichnet wird, ist eine Fähigkeit, die evolutionsgeschichtlich recht jungen Datums ist. Der Grundstock des menschlichen Geistes ist ein emotionaler, der auch über solche Wege zum Urteilsvermögen führt, an deren Toren Wächter der Vernunft ihren Dienst schlicht verweigern.

Wirken die Inszenierung der heilen Familie oder das Dankeswort an die lächelnde Frau samt Kindern in US-präsidentiellen Auftritten dann doch eher plump auf viele Menschen hierzulande, so werden das Seriösität ausstrahlende Brillengestell eines Frank-Walter Steinmeier, die mütterliche Physiognomie von Frau Merkel oder auch das mit "Modernität", "Nachhaltigkeit" und "Verantwortung" assoziierte Label der Grünen trotz langfristiger und systematischer Verprellung der Mehrheit leider weiterhin von dieser Mehrheit gewählt.

Hier dürften prähistorische Wesenszüge einerseits und moderne PR- und Markenbildungstechniken andererseits ineinander greifen, so dass in Abstimmungen und an Wahlurnen eigentlich zwei Stimmzettelkästen platziert werden müssten: einer für die Fragestellung, ob Frau Merkel eine irgendwie beruhigend pflichtbewusste Mütterlichkeit ausstrahlt, und einer für die Fragestellung, ob Renten und Sozialleistungen europaweit gesenkt, Ungleichheit und Arbeitslosigkeit rasch zunehmen, "Wettbewerbsfähigkeit" und Bevölkerungskonkurrenz zum obersten Leitmotiv der Menschheit und deutsche Panzerlieferungen an Diktaturen zwecks Aufstandsunterdrückung zum Normalfall werden sollen.

Strategie 7: Ignoranzförderung

Ignoranz kann sowohl das Nicht-Wissen, als auch das Nicht-Wissen-Wollen umfassen. Beide Umstände dürften eng miteinander verkoppelt sein, etwa darüber, dass Nicht-Wissen in als relevant erachteten Belangen Scham auslösen kann. Verschiedene Möglichkeiten der Schamvermeidung können dann nämlich das Nicht-Wissen-Wollen begünstigen.

So kann man sich komplett Umfeldern fernhalten, die etwa gesellschafts- und machtpolitische Themen anschneiden, um auf diese Weise das schambehaftete Erkennen des eigenen Nicht-Wissens aus dem Bewusstseinsfokus zu ziehen. Oder man kann die Relevanz des Wissens bestreiten und auf Formeln wie "Es bringt doch eh nichts!", "Da kann man nichts machen!", "Die Welt ist nun einmal so!" ausweichen, die wie Vorhänge überall dort angebracht werden, wo ansonsten das beruhigende Ambiente gestört wäre. Dies sind zwar menschliche Verhaltensmuster, jedoch zugleich solche, die von staatlicher und kapitalistischer Obrigkeit zum Nachteil der Bevölkerungsmehrheit ausgenutzt werden.

Beispielhaft kann auf die enorme Diskrepanz zwischen Wissen und Wissensrelevanz in ökonomischen Belangen verwiesen werden: Was ist Geld? Welche Funktion tragen Löhne und Produktivität innerhalb einer Volkswirtschaft? Wie sehen die Verteilungsverhältnisse aus und wie haben sie sich entwickelt? Wem gehört was und warum? Warum gibt es Massenarbeitslosigkeit und wie wirkt sie sich auf die Machtverhältnisse innerhalb einer Gesellschaft aus?

Seltsamerweise werden derartige Fragen in Schule und Privatfernsehen kaum, nicht kontrovers oder lediglich fragmentiert behandelt, obwohl die mit ihnen verbundenen Begrifflichkeiten doch immer dann das letzte Wort stellen, wenn es darum geht, einschneidende Veränderungen von gesamtgesellschaftlicher Tragweite zu rechtfertigen. "Das kostet Arbeitsplätze!", "Wir können uns diesen Sozialstaat nicht mehr leisten!", "Wir brauchen Strukturreformen!", "Die Wettbewerbsfähigkeit muss gesteigert werden!" usw. Umfassendes Wissen würde hier also zur demokratischen Notwendigkeit gehören (- zumindest wenn sich Demokratie nicht auf einen blinden motorischen Akt an der Wahlurne beschränken soll). Systematische Ignoranz der Menschen wird hierbei jedoch durch privatwirtschaftlichen Lobbyismus, durch mediale Verblödung, oder auch durch zunehmende Arbeitsverdichtung, Einkommenskonkurrenz und Statusängste - die den Fokus auf das Nahumfeld verengen - in ihren Bedingungen gefördert.

Strategie 8: Durchschnittlichkeit propagieren

Eines der Probleme von Eliten in formalen Demokratien besteht darin, dass sich trotz ablenkender und verschleiernder Techniken dennoch ein Teil der Menschen für gesamtgesellschaftliche, politische und machtbezogene Entwicklungen interessiert und dieser Teil an relevante Informationen gelangt, um andere auf Systemverbrechen5 aufmerksam machen zu können.

Hier gilt es, die richtige Haltung in den Menschen auszulösen, um die brisanten Informationen auf unfruchtbaren Boden fallen zu lassen: "Ihr seid durchschnittlich! Kümmert euch nicht um derart gehobene Probleme, das regeln andere! Es hat nichts mit eurem Lebensumfeld zu tun!"

Arbeiten, konsumieren, massengefertigte Unterhaltungsangebote wahrnehmen und sich im Kleinen die Redlichkeit leisten, über die im Großen nur gespottet werden kann, daraus besteht die genormte Realität, die die Menschen anzunehmen und ihren Mitmenschen gefälligst weiterzuvermitteln haben.

Strategie 9: Widerstand in schlechtes Gewissen überführen

Stéphan Hessel, der berühmte Kämpfer der Résistance und Mitverfasser der Menschenrechtserklärung forderte in einem kleinen Buch auf: "Empört Euch!" Er zielte auf die diskriminierenden, antisozialen und machtkonzentrierenden Verhältnisse unserer Zeit ab, wie sie die Zivilisation tiefgreifend bedrohen, und plädierte hierbei für eine engagierte und informierte Lebenshaltung, die auch auf Mittel des zivilen Ungehorsams zurückgreift.

Um gerade die Voraussetzungen dieser Art von Lebenshaltung zu sabotieren, geht es bei der Aufrechterhaltung der Verhältnisse aus Sicht der Funktionseliten darum, den Menschen ein schlechtes Gewissen zu machen, um sie zu lähmen. Es wird ihnen vermittelt, dass sie unzureichend seien oder gar die Natur des Menschen insgesamt schlecht sei. Der Mensch sei ein Egoist, gierig und faul, und wer daran nicht glaubt, ist ein "Gutmensch".

Diese mehr oder weniger implizit vermittelte Botschaft lässt sich etwa in den vielfältigen factual entertainment TV-Formaten beobachten, sie klingt hindurch in Slogans wie "Wir haben über unsere Verhältnisse gelebt" oder kommt zum Ausdruck bei der Etablierung abwertender, strafender und künstlich verknappender Lebensumfelder, wie sie etwa millionenfach durch die Hartz-Umkonstruierung des Sozialsystems geschaffen wurden, die begleitet war von einer öffentlichen Hetzerei gegen die sozial Benachteiligten in diesem Land.

Die hierbei erzeugte Atmosphäre demoralisiert nicht allein die direkt Betroffenen, sondern ebenso weite Teile der Bevölkerung, da sie die allgemeine Abneigung auf jene Mitmenschen lenkt, die an den Sozialstaat gebunden sind, anstatt diese Abneigung gegen die eigentlichen Kollektivursachen des Leids zu richten. Diese Atmosphäre entsolidarisiert zudem, indem jede oder jeder in Bezug auf sich selbst oder seine Mitmenschen zum schlechten Gewissen aufgerufen wird, das den Rückzug ins Nahumfeld empfiehlt, um wenigstens dort "anständig" und leistungsbereit zu sein.

Strategie 10: Mehr Wissen über Menschen anhäufen, als diese es über sich selbst tun

Während allerlei alltägliches Trommelfeuer und kommerzielle Aufmerksamkeitsmagneten die Bevölkerung in Unwissen und Ablenkung gegenüber den gesellschaftlichen Verhältnissen zu fixieren vermögen, hindert jene, die viel zu verlieren und zugleich umfassende Ressourcen haben, um dies zu verhindern, natürlich nichts daran, ganz nach der Aussage "Wissen ist Macht" zu handeln oder auch stellvertretend für sich handeln zu lassen.

Thinktanks z.B. fungieren hier als Institutionen, die Millionensummen seitens mächtiger Kapitalinteressen als Input erhalten und dafür Herrschaftswissen durch eigene oder in Auftrag gegebene Studien erzeugen und für Funktionseliten und Entscheidungsträger geeignet aufbereiten.6

Diese Form systematischer Wissensanhäufung speziell zur Gesellschaftslenkung7 war bereits zu Anfang des 20. Jhd. bekannt, so schrieb etwa einer der Begründer der PR-Industrie, Edward Bernays, in seinem Werk "Propaganda" von 19288:

Die bewusste und zielgerichtete Manipulation der Verhaltensweisen und Einstellungen der Massen ist ein wesentlicher Bestandteil demokratischer Gesellschaften. Organisationen, die im Verborgenen arbeiten, lenken die gesellschaftlichen Abläufe. Sie sind die eigentlichen Regierungen in unserem Land. Wir werden von Personen regiert, deren Namen wir noch nie gehört haben. Sie beeinflussen unsere Meinungen, unseren Geschmack, unsere Gedanken. Doch das ist nicht überraschend, dieser Zustand ist nur eine logische Folge der Struktur unserer Demokratie: Wenn viele Menschen möglichst reibungslos in einer Gesellschaft zusammenleben sollen, sind Steuerungsprozesse dieser Art unumgänglich.

Betrachtet man die Welt als ein kausales Netzwerk, in dem eine unendliche Vielzahl von Ursachen und Wirkungen miteinander auf verschiedensten Ebenen verbunden ist, müssen ressourcenstarke Institutionen nicht einmal wissenschaftlich tiefgreifende Theorien entwerfen, sondern können allein über umfassende Dokumentation und statistische Analysen (Big Data und Data Mining) ein sagenhaftes Interventionswissen auf gesellschaftlicher Ebene hervorbringen9, das zugleich nicht der Gesamtbevölkerung zur Immunisierung zur Verfügung gestellt wird, sondern stattdessen ihrer "sanften Manipulation" dient.

Die Kombination aus immensen Datensammlungen, wie Google und Facebook sie vornehmen, defizitären Datenschutzbestimmungen und enormen Rechenkapazitäten, setzt der Fantasie jedenfalls kaum Grenzen. Nicht zuletzt die jüngere Anwendung moderner Techniken zu Überwachungszwecken (z.B. PRISM, INDECT) zeigt, wie staatliche und privatkapitalistische Interessen hier an einem Strang ziehen. Ein neoliberalisierter Wissenschaftsbetrieb von atomisierten Karrieristen10 lässt hierbei leider wenig Widerstand erwarten.

Mehr denn je wären also all jene Menschen, die in den Herrschaftskalkülen lediglich zur Verwaltungsmasse gehören, die mit ihren bescheidenen Interessen nach einem auskömmlichen und friedlichen Leben leider den Großinteressen als Störfaktor gegenüberstehen, gut beraten, sich zu organisieren und sich an das altbekannte "Sapere aude!", "Habe Mut zu wissen!" zu halten. Dies selbst dann, wenn sie nur zu den klugen Egoisten gehören sollten, denen die Lotterie "Vom Tellerwäscher zum Millionär" ein zu unsicheres Unterfangen ist.