100 Tage Krise

Unterzeichnung des Koalitionsvertrags, 7. Dezember 2021. Bild: Sandro Halank/CC BY-SA 4.0

Glaube, Furcht und Rückhalt: Eine Allensbach-Umfrage zu den ersten drei Monaten Ampelregierung

Klimakrise, Corona-Krise, die Auswirkungen des Afghanistan-Desasters und jetzt der Krieg in der Ukraine mit seinen völlig unabsehbaren Verwerfungen und Folgen für die Politik der nächsten Jahre, wenn nicht Jahrzehnte. Die neue Bundesregierung ist seit 100 Tagen im Amt – die tatsächliche Zukunft dieses als Zukunftskoalition angetretenen Dreierbündnisses ist aber unklarer denn je.

Positive Disruption und neue Risiken

Eine im Auftrag des Progressiven Zentrums erstellte repräsentative Umfrage des Institut für Demoskopie Allensbach gibt ein erstes Stimmungsbild, das etwas differenzierter ist als die wohlbekannte "Sonntagsfrage".

Nach diesem Bild wird die Ampelregierung eindeutig als eine "Zukunftskoalition" wahrgenommen, als ein Parteienbündnis, das für Erneuerung und langfristige Ziele steht. Während die Merkel-Ära zunehmend nur als ein "Weiter so" verstanden wurde, als Fortschreibung und Verlängerung eines Jetzt-Zustands aus Sicherheit, Wohlstandsbewahrung, außen- und innenpolitischer Zurückhaltung und Verzicht auf Visionen aller Art ("Fahren auf Sicht"), verspricht das scheinbar heterogene Bündnis aus SPD, Grünen und FDP vielen positive Disruption, aber auch neue Risiken.

Scholz-Rede pusht Werte nach oben

Bemerkenswert an der Umfrage ist ihr Erhebungszeitraum, der am 24. Februar, also am Tag der russischen Invasion in der Ukraine, begann und am 8. März endete. Am 27. Februar hielt Bundeskanzler Olaf Scholz im Bundestag eine Regierungserklärung, bei der die vermeintliche Kehrtwende in der deutschen Außenpolitik begründet wurde.

Für Scholz war diese Verlautbarung ein klarer politischer Gewinn: Denn während an den ersten drei Kriegstagen bis zum 27. Februar nur 16 Prozent der Deutschen der Bundesregierung ein "gutes Krisenmanagement" und ihr gar nur zwölf Prozent "Führungsstärke" zuschrieben, stiegen die entsprechenden Werte im Anschluss an die Scholz-Rede um jeweils fünf Zähler auf 21, respektive 17 Prozent.

In der Umfrage geht es in erster Linie um Wahrnehmung, um das "stehen für" und "verbinden mit", also um politische Soft-Power, für Tatsachen ist es noch zu früh. So heißt es in der Veröffentlichung:

47 Prozent verbinden Scholz und Co. mit Fortschritt. Mehrheitlich assoziieren die Deutschen mit der neuen Regierung den Willen zur Erneuerung. 60 Prozent gaben das an.

Wille zur Erneuerung

Insgesamt ist der Rückhalt in den höheren sozialen Schichten Deutschlands größer als in der Gesamtbevölkerung.

Besonders skeptisch sind wieder einmal die Ostdeutschen: Weniger als 10 Prozent von ihnen glauben daran, dass mit der neuen Koalition Modernisierung und Freiheits-Zuwächse kommen werden, gesamtdeutsch liegen die Werte höher.

Besondere besonders weit klafft die Schere der Überzeugungen aber bei der Frage nach mehr Gerechtigkeit auseinander: Während immerhin ein Viertel aller Deutschen glaubt, dass mit der neuen Regierung mehr Gerechtigkeit in die Gesellschaft einziehen wird, sind in Ostdeutschland gerade mal 16 Prozent dieser Ansicht.

Davon unabhängig attestieren immerhin klar über 50 Prozent der neuen Regierung zum einen den Willen zur Erneuerung Deutschlands und das Vorhandensein langfristiger Ziele. Mit dem "Fahren auf Sicht" ist es unter der Ampel vorbei – ob dies nun eine neue Konsequenz bedeutet, oder eine Sturheit und Ignoranz gegenüber den Verhältnissen, das wird erst die Zukunft weisen.

Angst vor Klimapolitik und Energiewende

Die Umfrage entstand unter dem Eindruck des Ausbruchs des Ukraine-Krieges und den damit verbundenen steigenden Energiepreisen – und sie zeigt deutlich, dass fast jeder zweite Deutsche (49 Prozent) vor allem Angst vor der Klimapolitik der neuen Regierung und der von ihr verantworteten Energiewende hat.

Auf die Frage: "Was glauben Sie: Wird die Klimapolitik der neuen Bundesregierung die sozialen Unterschiede in Deutschland eher vergrößern, eher verringern, oder weder noch?" ist die Antwort erschreckend eindeutig: Nur 2 Prozent glauben, dass die Klimapolitik die sozialen Unterschiede verringern könnte, 52 Prozent aller Deutschen – in den einstigen neuen Bundesländern gar 60 Prozent – sind hingegen davon überzeugt, dass die sozialen Unterschiede durch die Klimapolitik noch wachsen werden.

"Die Umfrageergebnisse zeigen deutlich: Die Menschen geben der Ampelregierung in der Klimapolitik einen beträchtlichen Vertrauensvorschuss", sagt der Geschäftsführer des Progressiven Zentrums, Dominic Schwickert.

"Gleichzeitig sind Befürchtungen weit verbreitet, dass die klimapolitischen Maßnahmen zu sozialen Verwerfungen führen. ... Die neue Regierung wird den Rückhalt der Bevölkerung für eine konsequente Klimapolitik nur dann sichern können, wenn sie die Verteilungsfrage noch stärker adressiert."