30 Milliarden Erden in unserer Milchstraße?

Australische Astronomen vermuten astronomisch hohe Anzahl von erdähnlichen Welten in der Milchstraße

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Zuerst waren es nur eine Handvoll, dann ein paar Tausend, später einige Millionen, schließlich sogar eine Milliarde Exoplaneten, die Astronomen in den Tiefen unserer Milchstraße vermuteten. Nunmehr gehen mutige und optimistische Planetenforscher aus Australien noch einen Schritt weiter und korrigieren die Zahlen nach oben und glauben, dass sich allein in der Galaxis sage und schreibe 30 Milliarden fremde erdähnliche Planeten tummeln - Tendenz steigend. Die Erde hat scheinbar viele Geschwister im All - und der Mensch offensichtlich Brüder en masse.

Kaum eine junge wissenschaftliche Disziplin hat in den letzten Jahren so sehr an Bedeutung gewonnen wie die Bioastronomie, die auch in der Öffentlichkeit sukzessive unter den Namen Astro-, Exo-, Kosmobiologie einen erstaunlich hohen Bekanntheitsgrad erlangt hat. Nicht nur das Faktum, dass astrobiologische Fachmagazine und Websites wie Pilze aus "medialen" und "virtuellen" Böden schießen, und nicht allein der Umstand, dass die NASA und die ESA sich auf ihre Fahnen geschrieben haben, die Suche nach Leben im All gegenwärtig und künftig mit allen Mitteln zu subventionieren und zu forcieren, dokumentieren die Dynamik, mit der sich diese Disziplin in so kurzer Zeit etabliert und salonfähig gemacht hat. Es sind vor allem die permanent von den Planetenjägern medienwirksam lancierten Neuentdeckungen, die den Leser, den Zuschauer und den Zuhörer zu der Spekulation verleiten, dass angesichts des nicht abreißenden Stroms von Erfolgsmeldungen der Kosmos mit extrasolaren Planeten geradezu überschwemmt sein muss. Somit drängt sich geradezu der Eindruck auf, dass die zweite Erde nicht mehr "fern" sein kann; dass einige Exemplare hiervon schon seit Jahrmillionen quasi in galaktischer Nachbarschaft unentdeckt vor sich vegetieren.

Nadel in einem Heuhaufen aus Nadeln

Und in der Tat - auf ihrer Jagd nach erdähnlichen Exoplaneten, die einer Jagd nach der Nadel in einem Heuhaufen gleicht, der selbst nur aus Nadeln besteht, weil das von dem Zentralgestirn ausgestrahlte Licht jegliches von den Exoplaneten reflektierte Licht schlichtweg überstrahlt, kommen die Planetenjäger ihrem Ziele, die zweite Erde dingfest zu machen, peu à peu immer näher.

Kreativ und einfallsreich, wie sie nun einmal sind und sein müssen, messen die Astronomen bekanntlich schon seit geraumer Zeit die Gravitationskraft der Planeten und die daraus resultierende kleine Bewegung des Zentralsterns. Beginnt ein Stern zu eiern, lassen sich seine rhythmischen Verschiebungen bekanntlich anhand der Änderung der Radialgeschwindigkeit feststellen. Bewegt sich der Stern dabei minimal auf die Erde zu, dann erscheinen die Spektrallinien zum blauen Licht des optischen Spektrums verschoben, also zum kürzeren, wohingegen im umgekehrten Fall das Ganze eine geringe Rotverschiebung aufweist. Dieses probate Mitteln ist mittlerweile Standard und wird, auch wenn es kürzlich indischen Astronomen erstmals gelungen ist, mithilfe der "konventionellen" Methode einen Exoplaneten im Bereich des sichtbaren Lichtes aufzuspüren, noch lange Zeit Bestand haben.

Denn ungeachtet der von Sean Brittain und Terrence Rettig von der University of Notre Dame gemachten Entdeckung (siehe Nature, Bd. 418, S. 57), wird die Transit-Technik in den nächsten Jahren vorerst den Ton angeben. Bei dieser Methode "fokussiert" sich das Weltraumteleskop nicht mehr auf den gravitationsbedingten Tanz der Sterne, sondern auf Planeten, die vor ihrem jeweiligen Heimatstern vorbeiziehen.

Steht der Sterntrabant zwischen Teleskop und extrasolarer Sonne, wird das Licht, das der Heimatstern aussendet, geringfügig abgeschwächt, aber immer noch stark genug, um den unsichtbaren Planeten "sichtbar" zu machen, wobei diese Methode nur funktioniert, wenn der anvisierte Stern, der extrasolare Planet und die Erde in einer Linie stehen. Würden außerirdische Astronomen unsere Sonne beobachten, könnten sie alle 365,24 Tage eine geringe Abnahme ihrer Helligkeit bemerken und so auf die Anwesenheit der Erde schließen.

Eine Milliarde erdähnlicher Welten?

Ermutigt von der unglaublichen Erfolgsquote von bislang über 100 aufgelesenen Exoplaneten, die sich allesamt in der Größenklasse von Jupiter und Saturn bewegen und ihre Heimatwelt als extrem heiße und lebensfeindliche Gaskugeln mal in geringer Distanz, mal in großer Distanz umkreisen, wagen sich jetzt die Planetenforscher immer tiefer ins Feld der Spekulation. Den Anfang machten jüngst zwei britische Astronomen, die im Computerexperiment hochrechneten, dass allein in unserer Milchstraße mindestens eine Milliarde "Erden" hausen müssen, die sogar innerhalb der für die Entwicklung von Leben so wichtigen habitablen Zone liegen.

Die wundersame Zahl, welche die beiden britischen Astrophysiker Barrie W. Jones und Nick Sleep von der Open University unlängst in Milton Keynes beim Jahrestreffen der Royal Astronomical Society in Bristol während eines Fachvortrags vermeldeten, ist bei Computersimulationen herangereift, aus denen das Forscherduo die Häufigkeit erdähnlicher Planeten in der Milchstraße ableiteten. "Obwohl wir noch nicht die Möglichkeit haben, Planeten wie unsere Erde zu entdecken, können wir doch theoretisch voraussagen, welche Planetensysteme bei anderen Sternen wahrscheinlich einen erdähnlichen Planeten besitzen", erläutert Jones.

Für die Astrobiologen und Theoretiker sind Exoplaneten in Erdgröße, die überdies in der habitablen Zone liegen, also den richtigen Abstand zum Mutterstern haben, um auf ihrer Oberfläche (zum Teil auch im Innern) flüssiges Wasser zu besitzen, deshalb von Interesse, weil derlei Himmelskörper die besten Grundvoraussetzungen für die Entstehung und Existenz von Leben - so wie wir es kennen - erfüllen.

Um festzustellen, ob sich bei stabilen Umlaufbahnen in solchen Ökosphären zugleich auch die Wahrscheinlichkeit von dort vagabundierenden erdähnlichen Planeten erhöht, und ob kleinere Sterntrabanten durch die Gravitationskräfte von Riesenplaneten aus dem Planetenverbund theoretisch herausgeschleudert werden können, beobachtete das Forscherduo, inwieweit in dem erstellten Modell die Umlaufbahnen der fiktiven erdähnlichen Planeten über Jahrmillionen hinweg stabil blieben. Mithilfe des Datenmaterials der bislang entdeckten extrasolaren Planeten rechneten die Wissenschaftler die vermutete Existenz dortiger weiterer kleinerer Planeten hoch und visualisierten die Bit und Bytes via Computersimulation.

Die symbolische Zahl "100"

Wer nun geglaubt hat, die Forscher beließen es bei der hochgerechneten, phantastischen Zahl von einer Milliarde potenziell erdähnlicher Welten, muss sich nunmehr eines Besseren belehren lassen. Denn nach der Entdeckung von 100 extrasolaren Planeten fühlen sich Astronomen jetzt dazu berufen, die Anzahl der fernen Sonnensysteme und darin befindlichen potenziellen Planeten in unserer Galaxis, die erdähnlich sind, noch besser abschätzen zu können. Für die Optimisten unter ihnen besteht kein Zweifel daran, dass es in beiden Fällen Milliarden und Abermilliarden sein müssen.

Vor allem die markante Zahl 100 hat es den Astronomen Dr. Jean Schneider, der mitunter auch den Katalog der bis dato registrierten und bestätigten extrasolaren Planeten erstellt, scheinbar angetan: "Der 100. Planet ist symbolisch und wichtig. Bei den ersten Entdeckungen konzentrierten wir uns noch auf Planeten, die ihr Gestirn in kurzen und somit schnellen Umlaufbahnen umkreisen. Nun lernen wir mehr über die Statistik von langen orbitalen Perioden und wissen, bis zu welchem Ausmaß unser Jupiter eine Ausnahme ist oder nicht."

Die besondere Rolle der "hot jupiters"

Dass jupiterähnliche Planeten in Sonnensystemen die Regel sind und fast ausnahmslos mit kleineren, auch erdähnlichen Exoplaneten ein- und denselben Heimatstern umkreisen, glauben vor allem die beiden australischen Astronomen Charles Lineweaver und Daniel Grether, die in naher Zukunft eine regelrechte Flut von neuentdeckten jupiterähnlichen Planeten erwarten - wahrscheinlich sogar mehr als 50 Prozent als bisher angenommen. Die beiden Forscher von der University of New South Wales gehen davon aus, dass sich mit jeder weiteren Entdeckung eines solchen hot jupiter automatisch die Chancen erhöhen, dass sich dort Planeten in habitablen Zonen entwickelt haben - ganz nach dem Vorbild des größten Planeten unseres Sonnensystem, ohne den die Bildung von Kleinplaneten wie unsere Erde wohl kaum möglich gewesen wäre.

Denn als sich Jupiter bildete, verhinderte er durch seine enorme Gravitation den Einschlag von Kometen und gewaltigen Meteoriten auf die Erde und anderen Kleinplaneten. Wie eine solche Beschützer- und Staubsaugerrolle im Ernstfall funktioniert, sahen die Astronomen bei der Kollision der Shoemaker-Levy-Kometenarmada im Jahr 1994. Die Nadelstiche, die die Kometen dem Jupiter beim Aufprall versetzten, wären für die irdische Fauna und Flora, aber auch für den Menschen (zumindest für den Großteil derselben) nahezu tödlich gewesen.

30 Milliarden erdähnlicher Welten?

Ausgehend von der wichtigen Rolle solcher "hot jupiters" haben die beiden Wissenschaftler kürzlich ein Modell erstellt, das die Existenz von unzähligen erdähnlichen Planeten postuliert. Basierend auf der Tatsache, dass bisher praktisch alle 1000 erdnahen Sterne im Umkreis von 100 Lichtjahren Abstand akribisch analysiert wurden und davon immerhin zehn Prozent Planeten besitzen, gehen die beiden Astronomen nunmehr von folgender Überlegung aus: Zehn Prozent der bislang abgetasteten fremden Sonnen besitzen Planetensysteme. Berücksichtigt man nun die zirka 300 Milliarden Sterne in unserer Galaxis, müsste dies doch bedeuten, dass allein in unserer Milchstraße ungefähr 30 Milliarden Planetensysteme existieren. Und viele davon dürften wiederum erdähnliche Welten zur Welt gebracht haben. In Lineweavers eigenen Worten schwingt eine gehörige Portion Optimismus mit:

Davon (erdähnlichen Welten) könnten mindestens eine Milliarde, aber wahrscheinlich mehr als 30 Milliarden existieren. Und von den über 300 Milliarden Sterne in unserer Galaxie sind wiederum über 10 Prozent, also 30 Milliarden, ungefähr sonnenähnlich. Davon haben mindestens fünf Prozent (1,5 Milliarden), aber sehr wahrscheinlich 90 oder sogar 100 Prozent (über 30 Milliarden) jupiter- und genauso viele erdähnliche Planeten.

Letzten Endes hänge aber alles davon ab, was man unter "erdähnlich" überhaupt verstehe, so Charles Lineweaver. Wenn in diese Kategorie auch felsige Planeten wie Merkur, Venus oder Mars fallen, dann kämen solche im All häufiger vor als jupiterähnliche Planeten. "Wenn damit allerdings felsige Planeten mit flüssigem Wasser gemeint sind, dann können wir hierauf keine schlüssige Antwort geben. Solche könnten so häufig wie jupiterähnliche Planeten oder gar seltener vorkommen."

Für den Planetenexperten Alan Boss vom Carnegie Institution of Washington hat die Theorie der beiden Australier etwas für sich. "Trying then to estimate the number of Earth-like planets requires a leap of faith, but one which appears to be plausible", so Boss Originalkommentar gegenüber Space.com.

As the veil covering the unseen portions of discovery space is lowered in the next decade, I expect we will find that Jupiter-like planets are commonplace. Whether or not that also means Earth-like planets are common can only be proven by NASA's Kepler mission.

Europäer könnte als erster der Coup gelingen

Nun, es bleibt abzuwarten, ob die Kepler-Mission wirklich die erste sein wird, die das extrasolare Geheimnis um die "Erde Nr. 2" lüftet, sofern das NASA-Weltraumteleskops mit seinem ein Meter großen Spiegel im Jahr 2007 überhaupt unsere Milchstraße nach erdgroßen oder noch kleineren Planeten durchforstet und dabei die feinen Fluktuationen des Sternenlichts erfasst. Denn ob die Phalanx ihrer CCD-Detektoren beim Observieren von Tausenden von Sternen erstmals eine "zweite Erde" oder gar "Hunderte von Erden" aufspürt, wie Dr. Charles Beichman vom NASA Jet Propulsion Laboratory glaubt, darf bezweifelt werden, weil schon im Jahr 2005 der ESA-Satellit COROT (COnvection ROtation and planetary Transits) von Russland aus in den Orbit starten wird.

Dieses von der French National Space Agency CNES angeführte Weltraumobservatorium ist in der Lage, ferne Welten aufzuspüren, welche nicht nur aus Gas bestehen und kleiner als Jupiter sind, sondern sogar unserem Heimatplaneten ähneln. Zu verdanken ist dies dem leistungsstarken satelliteneigenen 30-Zentimeter Durchmesser starken Fernrohr, mit dem sich die geringen Lichtschwankungen erdnaher Sterne und somit kleine extrasolare Begleiter detektieren lassen.

Dabei könnte erstmals der lang ersehnte Coup gelingen: die "erste" zweite Erde aufzugabeln. Gelänge dies, würden die Europäer den Amerikanern wieder einmal eine astronomische Nasenlänge voraus sein - so wie damals, als zwei Schweizer den ersten extrasolaren Planeten einer noch nicht erloschenen Sonne aufspürten. Das ist zwar Schnee von gestern - aber aus europäischer Sicht zugleich auch wohlklingende Zukunftsmusik von morgen.