66 Prozent der deutschen Online-Händler sehen in Abmahnungen eine Existenzbedrohung
42 Prozent geben einer neuen Studie nach an, schon einmal mit Abmahnern Bekanntschaft gemacht zu haben
Das deutsche Abmahnrecht ist europaweit - und wahrscheinlich auch weltweit - einzigartig: Es erlaubt Anwälten nämlich, für Hinweise an Personen oder Unternehmen, die gar nicht ihre Mandanten sind, Honorar zu verlangen. Dazu müssen sie lediglich jemanden finden, der in einer ähnlichen Branche wie dieser Nichtmandant arbeitet oder aus anderen Gründen abmahnberechtigt ist und der sie formell mit solchen Abmahnungen beauftragt.
Hinweise auf Geschäftsmodell
Der aktuellen Abmahnstudie von Trusted Shops nach sehen 66 Prozent der deutschen Online-Händler in Abmahnungen eine Existenzbedrohung. 15 Prozentpunkte mehr als in der Abmahnstudie aus dem Vorjahr. Von den 3.199 Händlern, die sich an der Studie beteiligten, gaben 1.346 (42 Prozent) an, bereits ein- oder mehrmals abgemahnt worden zu sein. 767 (57 Prozent) davon erst (beziehungsweise das letzte Mal) innerhalb der letzten zwölf Monate. Die mit ihren Angaben ermittelten Durchschnittskosten einer Abmahnung (die auch die eigene - also tatsächlich angeforderte - Rechtsberatung beinhalten) liegen bei 1.384 Euro.
Unterschreibt ein Onlinehändler ohne fachkundigen Rat die in der Abmahnung neben dem Anwaltshonorar geforderte Unterlassungserklärung (wie das 30 Prozent machten), drohen ihm Vertragsstrafen für weitere Verstöße, die noch viel höher sind als das Anwaltshonorar. Im Durchschnitt 3.800 Euro. Für das Nutzen dieser Option ist unter anderem der Verein Deutsche Umwelt-Hilfe (DUH) berüchtigt.
Die Durchschnittsanzahl der erhaltenen Abmahnungen erhöhte sich sogar um 23 Prozent von 1,8 auf 2,2 pro Unternehmen. Für Trusted Shops ein Zeichen dafür, dass "Abmahner nach einem erfolgreichen Angriff von ihrem 'Opfer' nicht ab[lassen], sondern suchen gezielt nach weiteren Fehlern [suchen]".
Unter den Akteuren, die an den Abmahnungen aktiv beteiligt waren, sticht mit einem Anteil von 55 Prozent vor allem ein "Interessenverband für das Rechts- und Finanzconsulting deutscher Online-Unternehmen" (IDO) hervor. Dem Eindruck des Trusted-Shop-Rechtsabteilungsleiters Dr. Carsten Föhlisch nach drehen sich die Abmahnungen dieses Verbandes (der für eine Stellungnahme gegenüber Telepolis nicht erreichbar war) "immer um die gleichen Themen, wie zum Beispiel ein fehlerhaftes Widerrufsrecht", das mit 27 Prozent die Liste der häufigsten Abmahngründe anführt. Ihm folgen Datenschutzerklärungsfehler (zehn Prozent), Fehler in den AGB-Klauseln (neun Prozent), Produktkennzeichnungsverstöße (neun Prozent), Versandangabensmakel (sieben Prozent) und Markenrechtsverletzungen (fünf Prozent).
Das und die auffallende Häufung von Abmahnungen "wirtschaftlich schwächerer Unternehmen" spricht Fröhlischs Ansicht nach dafür, dass ein Geschäftsmodell vorliegt. Ein Rechtsmissbrauch konnte dem IDO bislang jedoch "nicht nachgewiesen werden", wie das ebenfalls stellungnahmelos gelassene Handelsblatt formuliert.
Händlerbund fordert "Entrümpelung" der Rechtslage
Trusted Shops hat ein gewisses Interesse daran, die Abmahngefahr nicht zu klein darzustellen, weil der kommerzielle Kölner Dienstleister unter anderem einen Abmahnschutz anbietet. Aber auch Andreas Arlt, der Vorstandsvorsitzende des Händlerbundes, spricht von einer "Abmahnindustrie", die sich in Deutschland "etabliert" hat und "vor allem kleineren Händlern zu schaffen macht". "Häufig", so Arlt, "werden mehrere hundert Händler gleichzeitig wegen geringfügiger Verstöße abgemahnt".
Dafür, dass das möglich ist, sorgt seiner Ansicht nach nicht nur das Abmahnrecht im engeren Sinne, sondern auch eine "komplexe und unübersichtliche Gesetzeslage" mit "ständigen Änderungen" in anderen Bereichen. "Entrümpelt" der der Gesetzgeber hier nicht, ist seiner Meinung nach der Onlinehandel "bedroht". Bislang macht der Gesetzgeber aber weder auf deutscher noch auf europäischer Ebene Anstalten, so eine Entrümpelung anzupacken. Stattdessen wurde mit der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) eine neue Abmahngrundlage eingeführt (vgl. DSGVO: Anwaltskanzlei mahnt Friseure ab), die ihre volle Gefährlichkeit nach den bayerischen und hessischen Landtagswahlen im Herbst entfalten könnte (vgl. Bayern bringt Gesetz gegen DSGVO-Abmahnungen ein).
Der Forderung, dass "Gesetze vereinfacht werden, damit keine unbeabsichtigten Verstöße vorkommen" stimmten auch 65 Prozent der Teilnehmer der Trusted-Shops-Abmahnstudie 2018 zu. 62 Prozent glauben, dass "Vertragsstrafen nicht an den Abmahner, sondern an den Staat oder gemeinnützige Organisationen gehen [sollten]". Möglicherweise unterschätzen sie dabei jedoch die Anreizwirkungen, die das auf den Staat und auf gemeinnützige Organisationen hätte.
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