AKP will AKW
Die türkische Regierung hält trotz der Erdbebengefahr im Land und der Ereignisse in Japan an ihren Verhandlungen mit dem TEPCO-Konzern fest
Auf dem Gebiet der Türkei, wo die eurasische, die afrikanische und die arabische Erdplatte aufeinandertreffen, gab es in den vergangenen Jahrzehnten und Jahrhunderten zahlreiche große Erdbeben: 365 kamen bei einem der verheerendsten der Antike in Antiochia, dem heutigen Antakya, nach Schätzungen von Historikern und Archäologen 40.000 Menschen ums Leben, 458 waren es etwa doppelt so viele und 526 bis zu eine Viertelmillion. 528, 565 und 588 folgten weitere Beben mit jeweils Zehntausenden von Toten. Die Stadt Sagalassos in der Nähe des heutigen Antalya wurde in der Spätantike gleich zweimal komplett zerstört.
Für das Mittelalter sind besonders intensive Erdbeben unter anderem in Adana, Bitlis und Erzurum überliefert, für die Neuzeit in Zentralanatolien, an der Ägäisküste, im Südosten und im europäischen Teil der heutigen Türkei. Oft wurden, wie etwa bei den Beben vom 28. April 1903, vom 9. August 1912, vom 3. Oktober 1914, vom 26. November 1943, vom 1. Februar 1944, vom 31. Mai 1946, vom 6. September 1975 und vom 24. November 1976, nicht nur einzelne Ortschaften, sondern gleich ganze Landstriche in Mitleidenschaft gezogen. Aber auch wenn die Erschütterungen relativ begrenzt waren, wie etwa die am 13. März 1992 in Erzincan oder am 17. August 1999 in Gölcük, richteten sie trotzdem verheerende Zerstörungen an. Zuletzt bebte die Erde in der Türkei am 8. März 2010 bei Karakoçan, wo 512 Menschen umkamen.
Trotz dieser bekannten Gefährdung will die von der religiös orientierten Adalet ve Kalkınma Partisi (AKP) gestellte türkische Regierung Atomkraftwerke bauen. Energieminister Taner Yildiz erklärte diese Woche, dass sich die Ereignisse in Japan nicht auf die Errichtung der geplanten Reaktoren im 1998 von einem Erdbeben der Stärke 6,3 erschütterten Akkuyu und in Sinop am Schwarzen Meer auswirken würden. Denn in der Türkei, so der AKP-Politiker, gebe es keine Tsunamis, sondern nur eine "Informationsüberflutung" - was geschichtlich gesehen allerdings unrichtig ist.
Yildiz versuchte die Medien mit dem Verweis darauf zur beruhigen, dass Fukushima I 40 Jahre alt sei und in den beiden geplanten Kernkraftwerken "ausschließlich modernste Reaktoren" zum Einsatz kommen. Man wolle zwar "Lehren" aus dem Unglück ziehen, diese würden den Bau jedoch nicht grundsätzlich infrage stellen. Neben Gesprächen mit russischen, französischen und koreanischen Unternehmen laufen zu diesem Zweck auch Verhandlungen mit dem japanischen TEPCO-Konzern, der das Katastrophenkraftwerk in Fukushima betrieb und in der Vergangenheit unter anderem durch gefälschte Berichte für Schlagzeilen sorgte.
Nicht alle Türken sind der Meinung ihres Energieministers: Die Ingenieurskammer TMMOB forderte ihn wegen seiner Äußerungen sogar zum Rücktritt auf. Der Fachverband kritisierte vor allem das Akkuyu-Projekt, in dessen unmittelbarer Nähe die Ecemis-Erdbebenspalte verläuft. Ein Fachgutachten bescheinigte dem Standort vor 38 Jahren zwar Unbedenklichkeit - einer der drei Verfasser, Tolga Yarman, erklärte mittlerweile jedoch, dass man damals noch gar nichts von dieser Erdbebenspalte gewusst habe, weshalb er die Genehmigung des Kraftwerks für ungültig halte.
Auch die Länder, welche die Türkei umgeben, zählen zu den erdbebengefährdetsten der Erde. Besonders der Iran weist diesbezüglich eine noch negativere historische Bilanz auf. Trotzdem baut die dortige Regierung ebenfalls auf Atomkraft: Der erste kommerzielle Reaktor Buschehr soll dort noch in diesem Jahr ans Netz gehen.
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