AOL kauft Netscape auf!

Damit wird sich das Web verändern

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Heute hat AOL offiziell bekannt gegeben, für 4,2 Milliarden US-Dollar an Aktien Netscape gekauft zu haben. Damit würde, nach eigenen Worten, der weltweit größte Internet Provider zu einer "neuen Superpower der High-Tech-Industrie". Das Übereinkommen bezieht Sun Microsystems mit ein, die die kommerzielle Server-Software von Netscape vertreiben werden. AOL hingegen wird Java einsetzen, um Angebote für ein "next-generation Internet" zu entwickeln. "So braucht man keinen großen, alten Microsoft Desktop, um die Dienste von AOL zu benutzen", meint Microsoft-Rivale Scott McNealy von Sun hämisch.

Sun wird AOL mehr als 350 Millionen US-Dollar für Lizensierung, Vermarktung und Anzeigen zahlen, während AOL in den nächsten Jahren für 500 Millionen Workstations von Sun erwerben will.

Mit dem Erwerb von Netscape und vor allem von Netcenter wird AOL vermutlich zum weltweit größten Portal und zum ernsthaften Konkurrenten der beiden anderen großen Portale: Yahoo! und MSN. Wie in allen anderen Branchen findet ein Konzentrationsprozeß und Verdrängungswettbewerb statt. Steve Case, Vorsitzender von AOL, sagte allerdings, daß man weiterhin mit Microsoft zusammenarbeiten wolle und neben dem Netscape Browser auch nach Ablauf des Vertrags mit Microsoft den IE anbieten werde - natürlich um noch auf dem Windows Desktop AOL plaziert zu sehen. Ob sich Microsoft mit dem anfreunden wird, muß man erst noch sehen.

Sun könnte schließlich, wie man die Bemerkung von McNealy verstehen kann, auch wieder das Konzept eines abgespeckten Netzrechners verfolgen, den man für 200 US-Dollar verkaufen oder gar AOL-Kunden schenken könnte. Damit wäre zumindest für den E-Commerce die Vorherrschaft der Betriebssysteme von Microsoft gebrochen, und es ließen sich möglichweise noch mehr Menschen gewinnen, die zuvor die Kosten für einen Computer gescheut haben.

Mit dem Deal geht die Selbständigkeit von Netscape zu Ende - und das Web verwandelt sich endgültig in einen gigantischen Marktplatz. Es ist ein unübersehbar ein Massenmedium geworden. James Barksdale wird dem Direktorium von AOL beitreten und möglicherweise auch den Mitbegründer Marc Andreessen anstellen - der wird sich ob dieses chalanten Angebots freuen. Für solche Einzelheiten aber sei es noch zu früh. In der Pressemitteilung von Netscape wird herausgestrichen, daß der Name praktisch ein Synonym für das Web gewesen sei: "America Online und Netscape", so Barksdale, "haben eine Vision gemeinsam: Lösungen anzubieten, die es für Firmen und Kunden einfach machen, ganz an der Netzökonomie zu partizipieren. Die sich ergänzenden Stärken der beiden Unternehmen unterstützen die Aussicht, weltweit die Übernahme des E-Commerce und von Internet-Anwendungen zu beschleunigen."

Mit Software wird man immer weniger verdienen, also sind neben Service, Firmensoftware und anderen Dienstleistungen Portale, die faule Internetnutzer zuerst ansteuern und auf denen sie sich zu den Angeboten leiten lassen, die Masche zum virtuellen El Dorado: alles, was es gibt, soll man an einem Ort finden. Die Konzentration der Menschen - AOL hat 14 Millionen Kunden, die AOL-Website besuchen monatlich an die 20 Millionen, das Netcenter 25 - soll natürlich auch die Werbeeinnahmen kräftig steigern. Bei wem monatlich 40 oder 50 Millionen einmal hereinschauen, der hat schließlich viele Augen zu bieten.

Widerstand gegen die Verschmelzung von AOL und Netscape hat bereits das Consumer Project on Technology von Ralph Nader angemeldet. Schon jetzt sei die Marktkonzentration bei den Browsern mit Microsoft und Netscape zu weit fortgeschritten.

Microsoft sieht hingegen durch den Deal seine Position im Antitrust-Verfahren gestärkt. Er zeige, daß der Markt viele besser für die Kunden sorge als der Staat, der High-Tech zu regulieren suche. Das mag schon sein, aber er zeigt auch, daß die Vielfalt durch Konzentrationsprozesse abnimmt: AOL everywhere!