ARD-Sendung zum "Manifest für Frieden": Fragen an Erstunterzeichner – und Antworten
Recherchiert wurde für den "Fakt"-Beitrag intensiv. Wesentliche Teile des Recherchematerials wurden dann aber nicht verwendet. Die Zeitschrift Emma hat es dokumentiert.
Schon in der Anmoderation eines Beitrags zur ARD-Sendung "Fakt" am Dienstagabend fanden sich Werturteile, die voraussetzen, dass ein baldiger Waffenstillstand und Friedensverhandlungen in der Ukraine mehr Leid für Zivilpersonen bedeuten würden – und dass dies den Initiatorinnen der Berliner Friedenskundgebung am Brandenburger Tor vom 25. Februar egal sei:
Die eine mutiert zur rechtesten Linken und die andere, eine Feministin der ersten Stunde, scheint das Leid von Frauen und Kindern in der Ukraine vergessen zu haben. Zusammen setzen sie auf die Ängste vieler Menschen. Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer versuchen mit ihrem "Manifest" und dem "Aufstand für Frieden" in Berlin ein neues politisches Sammelbecken zu gründen.
Anmoderation der ARD-Sendung "Fakt" vom 28. Februar 2023, 21.45 Uhr
Die von Schwarzer gegründete Zeitschrift Emma hatte vor der Ausstrahlung der Reportage dokumentiert, was das Rechercheteam von den Erstunterzeichnern des "Manifests für Frieden" wissen wollte – und was einige auf die Anfrage antworteten. "Wir dürfen gespannt sein, ob die Antworten im Beitrag auftauchen", hieß es dazu auf der Homepage von Emma.
Aber zuerst zum Inhalt der Anfrage und den Hintergründen. Das Rechercheteam sei zu dem Schluss gekommen, "dass die von den Initiatorinnen angekündigte Abgrenzung gegen rechts in der Realität bei der Veranstaltung nicht funktioniert hat", hieß es in dem Schreiben an die Erstunterzeichner.
Dann wurden auf der Großkundgebung gesichtete Personen aus dem rechten Spektrum erwähnt – nicht aber, dass die Polizei sich im Fall des Grüppchens um den Compact-Chefredakteur Jürgen Elsässer geweigert hatte, den Wunsch der Versammlungsleitung zu akzeptieren, dass diese Personen sich entfernen sollten.
Ihre Anwesenheit wurde quasi polizeilich durchgesetzt, sie standen isoliert am Rand der Kundgebung, nachdem es Versuche gab, sie abzudrängen. Nach Angaben von Ordnern, die über weitere Maßnahmen diskutierten, wollte die Versammlungsleitung eine Eskalation und Zusammenstöße mit der Polizei vermeiden.
Diese Umstände wurden aber in der "Fakt"-Sendung unterschlagen – stattdessen sprachen die Reporter mit den Rechten und ließen sie zu Wort kommen. Nur anhand von Schildern im Hintergrund, auf denen steht "Mit AfD und Co. ist kein Frieden zu machen" lässt sich in dem Beitrag ein Problembewusstsein der anderen Kundgebungsteilnehmer erahnen.
Insgesamt ist eine fünfstellige Teilnehmerzahl unbestritten. Die Polizei gab etwa 13.000 an, die Organisatorinnen gingen von bis zu 50.000 aus. Nicht alle Rechten, deren Teilnahme im Nachhinein durch Social-Media-Beiträge bekannt wurde, dürften in der Menschenmenge auch sofort von Ordnern erkannt worden sein, zumal weder rechte Symbole noch Nationalfahnen erlaubt waren.
"Können Sie uns die Details der Unterzeichnung kurz schildern?"
Den Erstunterzeichnern wurden vom verantwortlichen Redakteur Jacob Kluck folgende Fragen gesellt:
1. Auf dem Hintergrund unserer Recherche und mit der Kenntnis, was über die Veranstaltung jetzt bekannt wird, würden Sie das "Manifest für Frieden" erneut unterzeichnen? Wenn ja, warum? Wenn Sie sich anders entscheiden würden, können Sie uns die Gründe dafür nennen?
2. Können Sie uns die Details der Unterzeichnung kurz schildern: Wer hat Sie in welcher Form angesprochen, welche Kenntnisse hatten Sie von den Initiatorinnen, welchen Zeitrahmen gab es usw.?
3. Ähnlich wie in dem Manifest hörte man bei der Kundgebung von Putin oder der russischen Armee als Aggressor nicht viel, bei den meisten Reden gar nichts. Das ähnelt rechtsextremen Narrativen, die Putin und Russland teils sogar glorifizieren. Sehen Sie darin einen Punkt, den Sie neu überdenken würden?
Die von Emma dokumentierten, zum Teil sehr ausführlichen Antworten – oder auch nur Schlüsselsätze daraus – kamen in der Sendung allerdings nicht vor.
"Verhörfragen wie aus einem TV-Krimi"
Teilweise schrieben die Erstunterzeichner, dass sie die Fragen als inquisitorisch empfunden hätten. So etwa die Theologin Margot Käßmann. Sie verlinkte dazu allerdings eine Rede, die sie auf Kundgebungen in Bonn und Köln am vergangenen Samstag zur selben Thematik gehalten habe. "Vielleicht finden Sie da Antworten." Der Schauspieler Henry Hübchen sprach in seiner Antwort von "kriminalistischen Verhörfragen wie aus einem TV-Krimi".
Die Schriftstellerin Nathalie Weidenfeld merkte sogar an, solche Fragen gehörten "ins Reich Putins" und sollten "in einer freiheitlichen Gesellschaft mit Medien, die auf die Verfassungsordnung verpflichtet sind, nicht vorkommen".
Dem Fragesteller Jacob Kluck schrieb Weidenfeld ins Stammbuch: "Versuchen Sie doch nicht, ein so ernstes Anliegen - den Tod weiterer Unschuldiger zu hunderttausenden in einem Abnutzungskrieg wie bei Verdun im Ersten Weltkrieg zu verhindern - zu denunzieren!" Sie selbst habe schon als Jugendliche Angst vor einem Atomkrieg gehabt und sei dankbar, "dass es eine Friedensbewegung gegeben hat, die dann am Ende tatsächlich dazu beigetragen hat, dass es zu atomarer Abrüstung kam".
Erstunterzeichner: Die AfD hat "militaristische Grundüberzeugungen"
Der Sozialwissenschaftler Christoph Butterwegge, der durch Buchveröffentlichungen der letzten Jahre vor allem als Armutsforscher bekannt ist, sich aber auch intensiv mit dem Thema Rechtsextremismus befasst hat, ging ausführlich auf den Vorwurf der misslungenen Abgrenzung nach rechts ein. Dieser Vorwurf war schon vor der Kundgebung befeuert worden, als der AfD-Fraktionschef Tino Chrupalla sich unter die inzwischen mehr als 700.000 weiteren Unterzeichner des Manifests gesellt hatte.
Niemand wird mich als Rechtsextremismusforscher irgendwelcher Sympathien für Tino Chrupalla verdächtigen, und ich sehe, anders als in der Weimarer Republik, heute auch keine ernsthafte Gefahr, dass es zu einer "Querfront" zwischen Linken und Rechten kommt.
Nur weil einzelne AfD-Politiker und Neonazis, die militaristische Grundüberzeugungen haben und Krieg als Mittel der politischen Auseinandersetzung bejahen, auf von Prominenten ergriffene Friedensinitiativen aufspringen, um ihrerseits davon zu profitieren, darf man diese schließlich nicht unterlassen.
Allenfalls hätten Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer in ihrem Manifest deutlicher zum Ausdruck bringen sollen, dass es keine inhaltliche Übereinstimmung zwischen ihnen und rechtsextremen Politikern gibt.
Christoph Butterwegge, Sozialwissenschaftler
Er selbst sei aber aus familiären Gründen am Samstag nicht nach Berlin gereist, sondern habe eine ähnlich geartete Kundgebung in Köln bevorzugt – nicht aus inhaltlichen Gründen, sondern wegen des kürzeren Anfahrtswegs, stellt Butterwegge klar.
"Das ist Kampagnenjournalismus"
Auch der Politikwissenschaftler Hajo Funke – bekannt als Autor der Bücher "Von Wutbürgern und Brandstiftern: AfD – Pegida – Gewaltnetze" und "Die Höcke-AfD" – bereut seine Unterschrift und seine Teilnahme nicht. Er kritisiert in diesem Zusammenhang auch die Berichterstattung:
Das ist Kampagnenjournalismus; der betroffene Journalist hat vorgegeben, mich am Anfang bzw. dann am Ende der Demonstration treffen zu wollen, um meinen Eindruck zu erfahren. Er war, nachdem ich meine Teilnahme ihm gegenüber einige Tage zuvor noch einmal begründet habe, offenkundig nicht mehr daran interessiert.
Hajo Funke, Politikwissenschaftler
In der "Fakt"-Sendung kam stattdessen der Publizist Albrecht von Lucke zu Wort und erörterte, was er an dem Manifest und der Kundgebung für gefährlich hält.
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