Abgründig hündisch

Seite 3: Die Müllhalden von Dali

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Im südlichen China gibt es ein Höhlensystem, das über 400.000 Jahre hinweg praktisch durchgängig von Menschen bewohnt worden ist. Als eine gigantische Nekropole ist Dali — so der leicht surreal anmutende Name — mindestens ebenso beeindruckend wie die Knochenhöhle von Atapuerca, in Spanien, die rund 800.000 Jahre tief in die Vergangenheit hineinragt. Dali wurde aber von lebenden Menschen bewohnt — sie hinterließen dementsprechend Hinweise auf ihr Leben, auf ihr Zusammenleben.

Zunächst einmal gibt es aus dieser Fundstelle einige alte Schädel, die deutlich um die 200.000 Jahre alt sind und dem Typus des Homo heidelbergensis zugeschlagen werden — also dem frühen Homo sapiens. Gleichzeitig weisen sie Merkmale auf, die chinesische Wissenschaftler dem modernen Homo sapiens in China zuweisen wollen. Mit anderen Worten, sie glauben nicht — oder nicht besonders — an die Out-of-Africa-These, derzufolge der moderne Mensch in Afrika entstand und dann seinen Siegeszug rund um die Welt antrat. Das war dem Wolf, der dort gerade dabei war, sich zum Hund zu wandeln, ziemlich schnurz. Sein Ko-Evolutionist wandelte sich eben vom heidelbergensis zum sapiens? So what? Hauptsache, sie blieben Partner in der gleichen Firma.

Wichtig ist, das die Domestizierung — die Ver-Haustier-ung des Menschen, ebenso wie des Wolfs in Richtung Hund — nicht ohne ein festes Zuhause, ein Domizil, hätte stattfinden können. Bradshaw meint, der Mensch habe sich in Gegenwart des Wolfs "lobomorph" entwickelt. So konnte dann der Hund sein Plätzchen in der menschlichen Familie finden, und vielleicht ein Mowgli das seinige bei den Wölfen.

Ich denke eher, dass eine Höhle wie Dali, die kontinuierlich von Menschen bewohnt blieb, nur bewohnt bleiben konnte, wenn diese ihr Müllproblem in den Griff bekamen. Diese Aufgaben übernahmen die "Hauswölfe" — die man auf lange Zeit noch nicht als gezähmte Tiere betrachten sollte, sondern so ähnlich wie die Stadttauben unserer Tage, als Tiere, die sich in die Lebensräume der Menschen einnisten, ohne mit den Menschen selber in engeren Kontakt zu treten.

Die Hauswölfe sorgten dafür, dass die Abfallhaufen im Sommer nicht zu einer Plage mit Gestank und Fliegen ausarteten, und im Winter nicht von anderen Nutznießern überrannt wurden. Die Menschen ihrerseits griffen auf die Hauswölfe als Speisereserve zurück. Und warfen die untauglichen bzw. ungenießbaren Teile wieder ihren kaniden Freunden zu, die keine Scheu vor Kanibalismus kannten. Ebenso wie ihre menschlichen Freunde; in Neuseeland blieb der Kanibalismus bis 1835 virulent, als 1.300 Maori auf zwei Schiffen und mit 780 Behältnissen voll Kartoffeln, zu den 800 Kilometer entfernten Chatham-Inseln segelten und einen Großteil der dortigen Moriori-Bevölkerung ermordeten bzw. auch verspeisten.

Hund und Mensch bildeten an einem Ort wie Dali (oder - sehr gut möglich - in Dali selber) eine liegende Acht, ein ineinander übergreifendes System von Fressen und Gefressenwerden, ein ökologisches Perpetuum mobile. Der Hund blieb zwar genetisch ein Wolf, entwickelte aber Merkmale der Neotenie, d.h,, er wurde einfach nie erwachsen. Er blieb ein ewiger Halbstarker. Ähnlich beim Menschen, der auch mit 80 noch mit einem Rubik Cube spielen kann, was ein erwachsener Schimpanse oder Orang Utan als unter seiner Würde empfindet. Er könnte es aber auch gar nicht.

Der Hund gibt dieRolle des Erwachsenen an den Menschen ab; was ihn nicht daran hindert, einem allzu herrischen "Papa" wie Cesar Millan zu zeigen, was eine Harke ist.

Die evolutionären Vorteile für beide liegen auf der Hand. Der Hund eroberte die Welt und den Weltraum ("Laika") — der Mensch ebenso. Ihre wildlebenden Verwandten, Wolf und Menschenaffe, stehen vor dem Aussterben.

Der Hund heute. Die kleine Mira darf ihm vertrauen.

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