Abgründig hündisch

Seite 2: Herkunft — nicht aus der Küche?

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"Keinerlei Anzeichen dafür, dass der Hund ursprünglich als Speisetier gehalten wurde …"

Zu diesem Thema lese ich in dem Buch Dog Sense von John Bradshaw nur diesen einen Satz: "Since there is no indication that dogs were initially domesticated as food animals — ". Bradshaw meint, das sei beim Schwein anders gewesen als beim Hund. - Ganz ohne jeden Zweifel!

Aber meiner Meinung nach hat es sehr wohl eine Tradition gegeben, den Hund als Speisetier zu halten - und sie war vor mindestens 10.000 Jahren soweit etabliert, dass sie bei Reisen um den halben Globus nicht verloren ging.

In Europa war der Hund nur selten mal im Tagesmenu vorgesehen - und dann eher im spaßigen Sinne, wie hier bei Edith Hancke mit dem kleinen fetten Köter der Prillwitzens.

"Nee, fett iss ooch jefährlich!"

In der westlichen Welt wird der Hund heute als Partner angesehen, manchmal sogar als ein dem Menschen gleichwertiger Freund in Tiergestalt. Die amerikanische Audio-Poetin Laurie Anderson beispielsweise widmete dem Andenken ihres verstorbenen Ehemanns, Lou Reed, eine mit Klangeffekten illustrierte Sammlung von Gedichten über ihren verstorbenen Hund, Lolabelle. Titel: "Heart of a Dog", offenbar ohne ironische Anklänge an den gleichnamigen Titel von Bulgakow. Es gibt dazu auch einen Film. Eigenheiten einer amerikanischen Dichterin, oder Kalkül? Vermutlich wusste Anderson, dass ihr Publikum leichter Empathie mit einem Hund empfinden kann, als mit einem eher schrägen Künstler.

"dedicated to the magnificent spirit of my husband, Lou Reed"

Wieso aber kann ein Wissenschaftler wie Bradshaw ein ganzes Buch über den Hund schreiben, und dabei dessen Herkunft aus der Küche übersehen? Das sind, wie ich meine, die typischen Scheuklappen, die Wissenschaftler in allen Bereichen aufsetzen. Sie sehen, aufgrund eigener kultureller Tabus, einfach nicht, was offensichtlich auf der Hand liegt. Auch Bradshaw müht sich ab, die Herkunft des Hundes vom Wolf mit der so grundsätzlich unähnlichen —- oder ganz andersartigen — Natur des Hundes in Einklang zu bringen. Den Domestikations-Event, wie und wann und wieso er passieren konnte — kriegt er dabei nicht und nicht geregelt.

Immerhin gelingt es ihm, solche präpotenten "Hundeflüsterer" wie den Medien-Star Cesar Millan ein wenig von seinem Podest herunter zu montieren. Aber da hat das Print-Medium natürlich nur eine beschränkte Durchschlagskraft. Wieviel leichter ist es, einfach bei YouTube zuzusehen, wie das Alpha-Männlein einmal so richtig sein Fett abkriegt.

Hundeflüsterer Cesar Millan kriegt sein Fett ab

Der ohnehin schon gestresste Hund sah seine Chance, und —schnapp! Wer weiß, ob die ganze Szene nicht eh gestellt war. Aber genau so kann es Jedem gehen, der sich vor einem Hund als Karate-Meister aufplustern will.

Andererseits ist es schade, dass ich hier nur den Link einsetzen kann für die wunderschönen Zeichnungen von Carl Barks. Wie Donald versucht, mit Liebe und Zutraulichkeit einen jungen Kojoten zu zähmen. Da wusste Barks, der im ländlichen Oregon aufgewachsen war, es besser —- nämlich, dass DAS zu nichts Nütze war.

Es muss in Amerika aber immer wieder Versuche gegeben haben, die anderen Kaniden — die zur Familie der Hunde gehörigen Tiere — zu zähmen, beispielsweise den Fuchs. 1943, als er in Amerika weilte, schrieb Antoine des Saint-Exupery sein berühmtes Märchen "Der Kleine Prinz". Darin begegnet der Außerirdische einem Fuchs, der ihn bittet: "Apprivoise-moi", also: "bitte zähme mich." Das gilt vielen Lesern bis heute als einer der schönsten Momente des Buches.

Aber, wie beim Kojoten, ist es Sense damit. Der russische Genetiker Beljajew versuchte über Jahrzehnte hinweg, Silberfüchse in Käfigen zur Zahmheit zu züchten. Interessante Ergebnisse, Schlappohren, Bellen, Schwanzwedeln, aber kein "Hund", der aus dem Fuchs hervorging. Gegenwärtig versucht ein Team in Oxford1 unter Leitung von Greger Larson, eine ausführliche Datenbasis vorzeitlicher Hunde-DNA zusammenzustellen, um das Wann und Wo der Domestizierung zu lokalisieren. Im Dezember postulierten asiatische Experten anhand des Erbguts von Wölfen und Hunden, dass die Domestizierung vor 33.000 Jahren in Südostasien erfolgte (vgl. Ziemlich beste Freunde).

Dass der Wolf sich durchaus zähmen ließ, kann man aus der fossilen Urkunde immer wieder entnehmen. Ein Hundeschädel aus der belgischen Höhle bei Goyet ist beispielsweise 32.000 Jahre alt. Auch der Dingo kam mit dem Menschen nach Australien, und verwilderte dort wieder. Die erfolgreiche, durchgängige Zähmung und Domestizierung des Wolfes benötigte aber eines Langzeitprojektes, zu dem die alten Sammler und Jäger damals nicht fähig waren.

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