Abrüstungspleite in Den Haag
Heute geht in den Niederlanden die Jahreskonferenz der Organisation für das Verbot von chemischen Waffen zu Ende: Der große Schritt nach vorne blieb aus
157 Staaten sind in den vergangenen vier Tagen im Konferenzzentrum des niederländischen Den Haag zusammengekommen, um über den Kampf gegen chemische Waffen zu beraten. Glaubt man den Stellungnahmen, sind sich 157 Staaten (154 ständige und drei assoziierte Mitglieder) in dem Ziel einig, den globalen Bestand chemischer Massenvernichtungswaffen bis zum Jahr 2012 vollständig abzubauen. Mehr als alles andere beschäftigte die Teilnehmer dieser achten Konferenz der "Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) die Frage nach der Finanzierung.
Dabei ist das Projekt bislang durchaus hoffnungsvoll verlaufen. Seit der Ratifizierung des umfassenden Verbotsabkommens vor nur sechs Jahren wurden weltweit elf Prozent der endgelagerten Chemiekampfstoffe vernichtet Sorgen machen heute vor allem die beiden größten Lastenträger: Russland mit rund 40.000 Tonnen Chemiewaffen und die USA mit 31.500 Tonnen (beides eigene Angaben). Eine eigene Produktion haben zudem Indien, Südkorea und Albanien angemeldet. Während in einer handvoll weiterer Staaten fremdkontrollierte Produktionsanlagen eingerichtet wurden, das betrifft fast ausschließlich Staaten des ehemaligen Ostblocks, müssten in rund zwei Dutzend Ländern Dekontaminationsprogramme durchgeführt werden. Zu trauriger Berühmtheit gelangte in diesem Zusammenhang etwa Vietnam, in dem die Menschen noch heute mit den Nachwirkungen des Entlaubungsmittels Agent Orange zu kämpfen haben (Die himmlische Befreiungsbotschaft).
Die Konfliktlinien hatten sich schon zu Beginn der Konferenz am Montag abgezeichnet. So zeigte sich der Redner der "Organisation Blockfreier Staaten" (NAM) "tief beunruhigt" über den fehlenden Willen "einiger Länder", die alten Kampfstoffe zu zerstören. Wie auch waffentaugliches Uran stellen die enormen militärischen Lagerbestände aus dem Kalten Krieg heute zunehmend eine Gefahr dar, weil sie über dunkle Kanäle auf den internationalen Markt gelangen und sich dort einer Kontrolle internationaler Institutionen wie der OPCW naturgemäß entziehen.
Der malaysische Botschafter Zulkifli Adnon mahnte für das südliche Staatenbündnis der "Blockfreien" zudem "den Transfer von Technologie aus den Industriestaaten in unsere Länder" an, damit die betroffenen Regierungen befähigt würden, die Aufgaben aus eigenen Kräften zu bewältigen. Was zunächst harmlos wirkt, berührt doch einen heiklen Punkt: Weil technisches Gerät oft im zivilen wie im militärischen Bereich eingesetzt werden kann, ist in zahlreichen Industriestaaten in den vergangenen Jahren der Vorbehalt gegen einen freien Export in den Süden gestiegen. Adnon forderte am Rande der Konferenz angesichts dieses wachsenden Misstrauens die "Rückbesinnung auf multilaterale Abkommen" ein, und übte damit indirekt auch Kritik an der Linie Washingtons. Die US-Regierung hält sich weitmöglich aus den Kontrollverträgen heraus, um die notwendige, zunehmend offensive Abwehr durch den eigenen Forschungs- und Rüstungsvorsprung zu gewährleisten (Entwickelt das Pentagon chemische Waffen?).
Durch diesen offensichtlichen Interessenkonflikt war es im Vorfeld des Krieges gegen Irak zu einer tiefen Krise zwischen der Regierung von George W. Bush und der OPCW gekommen (Abwahl ohne Wahlen). Der Generalsekretär der Organisation, José Bustani, hatte Anfang 2002 gleich zwei Mal den Unmut Washingtons erregt: Mehrmals forderte er die US-Regierung öffentlich und über die Presse auf, ihre Waffenlabore für OPCW-Kontrollen zu öffnen.
Während die Organisation seit dem Inkrafttreten des Verbotsabkommens am 29. April 1997 gut 1.600 Kontrollen in 50 Staaten durchführte, viele davon ohne vorherige Anmeldung nach dem so genannten Ad-hoc-Verfahren, blieben den 506 OPCW-Mitarbeitern die Türen der US-Rüstungskonzerne nicht nur weitgehend verschlossen, die US-Regierung behielt sich auch für den Fall etwaiger Kontrollen zudem vor, kurzfristig in die Inspektion einzugreifen und Testmaterial zu beschlagnahmen. Ohne jeden Zweifel zeigte seinerzeit sogar Saddam Hussein mehr Kooperationsbereitschaft.
Verstieß gegen US-Gewohnheiten: Ehemaliger OPCW-Generalsekretär José Bustani
Um den Irak indes ging es im zweiten Streitfall zwischen Bush und Bustani. Der Brasilianer hatte es fertig gebracht, die irakischen Machthaber auf politischem Wege zu einer Unterwerfung unter die Kontrollbedingungen des OPCW-Kontrollregimes zu bewegen. Bagdad forderte einzig eine Gleichbehandlung mit allen anderen Staaten. Von der internationalen Öffentlichkeit wenig beachtet bestand damit Anfang 2002 so wie nie mehr zuvor und da nach die Möglichkeit den internationalen Konflikt mit Bagdad auf politischem Weg beizulegen. Doch es sollte anders kommen.
Kurz nach Bekanntgabe des Verhandlungserfolges warfen die USA Bustani Misswirtschaft vor und verlangten seine Absetzung. Dass der erste Versuch fehlschlug, lag nicht nur an dem enormen Beliebtheitsgrad des Generalsekretärs, sondern gerade auch an seinen Erfolgen: Unter seinem Vorsitz hatte sich die Zahl der Vertragsmitglieder verdoppelt. Erst als die USA mit einem Finanzboykott drohten, räumte Bustani das Feld. 43 Staaten enthielten sich in der Abstimmung. Bis heute gilt, was der Brasilianer damals einer brasilianischen Zeitung erklärte: "Die Amerikaner sind es offenbar nicht gewohnt, dass ihre Fabriken inspiziert werden. Aber die Chemiewaffenkonvention sollte bei allen Ländern gleich angewandt werden."