Die himmlische Befreiungsbotschaft
Vietnam ist nach einer neuen Studie weitaus mehr mit Dioxin von den USA verseucht worden, als bislang angenommen, für den Einsatz der langwirkenden chemischen oder biologischen Waffe gab es noch keinen Cent an Entschädigung
Angeblich bringt abgereichertes Uran, das die alliierten Streitkräfte auch in diesem Krieg wie schon 1991 reichlich verschossen haben, keine gesundheitlichen Risiken mit sich. Daher müsse man den Irak auch nicht säubern, meinte man im Pentagon. Nur der kontaminierte Staub könne kurzfristig und lokal sehr begrenzt schädlich sein, langfristige Schäden gebe es nicht. Langfristige Schäden aber gab es, als die USA als erste und bislang einzige Macht und militärisch sicherlich nicht mehr notwendig, Atombomben auf Nagasaki und Hiroshima abwarf. Und solche Schäden gab es auch, als die USA chemische Kampfstoffe über ein Jahrzehnt lang in Vietnam verwendete. Wie eine Studie jetzt ergab, wurden damals weit mehr dioxinhaltige Herbizide als bislang angenommen versprüht - und auch weit mehr Menschen direkt besprüht.
Massenvernichtungswaffen dürfen nicht in die Hände von Terroristen und Schurkenstaaten gelangen. Um das zu verhindern und die behaupteten, aber bislang nicht gefundenen Massenvernichtungswaffen zu zerstören, wurde das Hussein-Regime angegriffen. Da nach dem Sieg das legale Deckmäntelchen nicht mehr wirklich benötigt wird, weil man Fakten geschaffen hat und niemand sich mit der USA wegen des Bruchs des Völkerrechts anlegen will, wurde schon die Invasion nicht mehr als Abrüstungs-, sondern schon als Befreiungsoperation getauft. Die Weltgemeinschaft ist zerrissen, denn der Sturz der Diktatur war lange an der Zeit, aber die Weise, wie sie vorgenommen und begründet wurde und wie die US-Regierung sie nun als Demonstration gegenüber anderen auserwählten Schurkenstaaten verwendet, ist eigentlich inakzeptabel. Aber jetzt ist die Zeit der Realpolitik angebrochen, bei der es weniger ums Recht als um die Wahrung der eigenen Interessen geht.
Trotzdem ist verwunderlich, wie wenig der US-Regierung widersprochen wurde, als sie immer wieder auf die Giftgasverwendung durch Husseins Truppen hinwies, um die Gefährlichkeit und Bedenkenlosigkeit des Regimes zu demonstrieren. Nicht nur geschah dies just zu jener Zeit, als der Irak noch Bündnispartner der USA war, den man in seinem Kampf gegen den Iran auch militärisch geholfen und sogar chemische und biologische Substanzen geliefert hatte, mit denen sich Waffen herstellen lassen könnten (Giftgas: Wiederkehr des Verdrängten). Offenbar können sich die Falken der US-Regierung, teilweise schon unter Reagan oder Bush sen. im Dienste und damit persönlich mit verantwortlich für die Stützung der irakischen Diktatur, auf die Amnesie der Amerikaner und ihrer Medien verlassen.
Seltsamer mag es aber eben noch erscheinen, wenn die USA den Einsatz von Giftgas nachträglich durch ein befreundetes Regime verurteilen, aber selbst zuvor massenhaft Gift über Vietnam, Laos und auch Kambodscha mit Flugzeugen und Hubschraubern, aber auch mit Schiffen und Lastwagen gesprayt haben (Der Irak, die USA und die Massenvernichtungswaffen).
Das lässt sich nicht so ohne weiteres als ungefährlich wegwischen wie der massenhafte Einsatz von abgereichertem Uran (depleted uranium) in der Munition (Neue Risikobewertung erforderlich). Allerdings hatte eine UN-Studie für Bosnien ergeben, dass auch im Boden, in Häusern und im Grundwasser eine geringe radioaktive Kontamination nach der Verwendung von DU-Munition nachgewiesen werden konnte (Präzise Bomben - unkontrollierbare Schäden). Sogar in der Luft hatte man noch kontaminierte Partikel gefunden (Skinheads in Eastern and Central Europe).
1991 soll der Irak mit 350 Tonnen oder mehr abgereichertem Uran durch die verschiedenen Geschosse "angereichert" worden sein. Manche vermuten, dass die Kontamination auch am Golfkriegssyndrom der Soldaten mit beteiligt sein und bei vielen Kindern im Irak zu Missbildungen geführt haben könnte (Depleted uranium casts shadow over peace in Iraq). Allerdings könnte dieses Mal ein größeres Problem für die USA entstehen, wenn die Rückstände nicht beseitigt werden, da US-Soldaten vermutlich ein Jahr und länger im Irak bleiben werden und dadurch auch der Kontamination stärker ausgesetzt sind als das letzte Mal. Im Gegensatz zum Pentagon fordert die britische Royal Society wegen der durchaus bestehenden Gesundheitsrisiken dazu auf, die Rückstände im Irak zu beseitigen. Die werden auch durch neue UNtersuchungen gestützt: Schädigungen der DNA durch niedrige Röntgendosen sind länger wirksam als hohe Strahleneinwirkungen.
Millionen von Vietnamesen wurden direkt besprüht
Im Vietnam-Krieg wurden neben 300.000 Tonnen Napalm zwischen 1961 und 1971 Zigmillionen von Litern von Herbiziden über das Land verteilt, die auch noch das hochgefährliche Dioxin (TCDD) enthielten. Damit wurden vermutlich nicht nur direkt Millionen von Vietnamesen gesprüht, sondern auch amerikanische Soldaten. Um deren Schadensersatzansprüche zu klären, wurde denn auch überhaupt die Menge der eingesetzten Mittel sowie deren Gefährlichkeit für die Menschen überprüft. Nur für die betroffenen US-Soldaten, versteht sich, nicht für die damaligen Schurken. Irgendeine Form der Wiedergutmachung haben die USA bis heute nicht geleistet.
Aufgrund des Agent Orange Act von 1991 wurde das Institute of Medicine (IOM) mit der Untersuchung beauftragt, die Stärke der Beziehung zwischen der "Aussetzung an militärischen Herbiziden" und der Erkrankungen von Vietnam-Veteranen zu prüfen. 95 Prozent der Herbizide wurden von der US-Luftwaffe im Rahmen von "Operation Trail Dust" versprüht. Die jetzt in Nature vorgelegt Untersuchung "The extent and patterns of usage of Agent Orange and other herbicides in Vietnam" ist ein Ergebnis dieser Bemühungen und hat erneut überhaupt erst einmal die Menge der verwendeten Herbizide neu zu erfassen gesucht.
Danach haben die USA und ihre südvietnamesischen Verbündeten fast doppelt soviel Dioxin mit den Herbiziden wie dem bekannten und berüchtigten Agent Orange versprüht. Mit den Herbiziden, die vom Pentagon als militärische Waffen entwickelt wurden, sollten Wälder entlaubt, die Umgebung von Stützpunkten gesäubert und "unfriendly" Getreide vernichtet werden, um die Lebensmittelversorgung der Feinde herabzusetzen. Man kann sich also darüber streiten, ob es sich um chemische oder biologische Waffen gehandelt hat.
Agent Orange ist nur die bekannteste Mischung, die aber erst ab 1965 verwendet wurde. Ab 1966 wurden dann auch andere, weniger für den Menschen giftige Herbizide wie Agent White verwendet. Allerdings nicht aus ökologischen oder humanitären Gründen, sondern einzig deswegen, weil auf dem Markt Agent Orange durch den heftigen Gebrauch knapp geworden war. Was die bisherigen Berechnungen des Pentagon jedoch nicht mit einschlossen, war der Herbizid-Einsatz vor 1965. In den ersten Jahren wurden, so die neue Studie, zwar weniger Herbizide, auf relativ kleinen Gegenden beschränkt, eingesetzt. Aber das beispielsweise verwendete Agent Purple enthielt noch mehr Dioxin als Agent Orange. Davon gingen allein fast 50 Millionen Liter über Vietnam, Laos und Kambodscha nieder. Deswegen wurden nicht nur über 7 Millionen Liter mehr Herbizide versprüht (insgesamt über 80 Millionen Liter), als man früher angenommen hatte, sondern ging auch das Doppelte an Dioxin über Vietnam nieder.
Abgekommen haben den himmlischen Segen nicht nur Pflanzen, sondern auch Millionen von Menschen. Die Wissenschaftler schätzen, dass mindestens 2 Millionen oder bis zu drei Millionen Menschen direkt mit dem Giftcocktail besprüht worden sind. Insgesamt 5 Millionen Menschen könnten sich in der Nähe befunden haben. Die Studie sagt, dass bislang noch keine umfassende epidemiologische Untersuchung der Auswirkung der Herbizide auf die Gesundheit der Vietnamesen und der US-Veteranen durchgeführt wurde. Vermutet wird, dass selbst eine große Zahl der US-Soldaten direkt besprüht worden ist oder wenigstens in Gebieten tätig war, die kurz zuvor besprüht worden sind. Wohin die vielen, einst mit den Herbiziden gefüllten Behälter verschwunden sind, weiß man ebenfalls nicht. Oft wurden Rückstände noch schnell auf den Stützpunkten "entsorgt", weswegen hier auch die Konzentration am höchsten ist. Die US-Soldaten waren sich der Gefährlichkeit nicht wirklich bewusst. Sie sind als Täter zugleich Versuchskaninchen gewesen.
Dioxinhaltige Herbizide (und möglicherweise auch DU-Munition) tötet nicht gleich die Menschen, wie dies bei Giftgas der Fall ist. Sie wirken langfristig. Noch heute sind Böden und Grundwasser verseucht, sind Regionen nicht nur entlaubt, sondern entwaldet. Ökologisch ruiniert, aber Lebensraum von Menschen, in denen sich noch heute ein hoher Dioxibgehalt im Blut nachweisen lässt. Noch heute, über ein Vierteljahrhundert danach, sollen eine Million Menschen an den Spätfolgen des Dioxin leiden, darunter etwa 100 000 Kinder. Dioxin verursacht Missbildungen, Krebs und schwächt das Immunsystem. Wie viele Menschen an den Herbiziden gestorben sind oder an ihren Folgen gelitten haben, ist eine offene Frage. Die Schuldfrage aber ist eindeutig. Das aber nutzt den Betroffenen nichts.