Abschiebung: Entwicklungshilfe sperren? Müller widerspricht

Fischerei-Hafen in Marokko. Foto: Axel Rouvin / CC BY 2.0

Der CSU-Minister sperrt sich gegen Sanktionen für nicht-kooperative Herkunftsländer. Deutschland sollte zuerst seine Hausaufgaben machen und 100.000 Flüchtlinge eindeutig identifizieren

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Wer mehr von der Welt sieht, ist im Vorteil. Zu bemerken ist dies im Augenblick bei den Aussagen des CSU-Entwicklungsministers Gerd Müller zum Sanktionsdruck, der auf unkooperative Herkunftsstaaten ausgeübt werden soll. "Wer nicht kooperiert, wird sanktioniert", gab Justizminister Maas als Maxime für die Abschiebehaft und die Rückführungspolitik aus. Das ist ein Satz mit laut ausgesprochenem Punkt, der sagen will: "und damit basta".

Die Diskussion über Innere Sicherheit, wie sie von den Regierungsparteien CDU und SPD geführt wird, soll Entschlossenheit zeigen, kein Zagen und Zaudern. "Schnell handeln, richtig handeln, nicht in Ankündigungen steckenbleiben, sondern wirklich Flagge zeigen", heißt die Ansage der Kanzlerin. Abschiebung ist ein zentrales Element der Handlungsfähigkeit (vgl. Merkel will "nationale Kraftanstrengung" bei Abschiebungen).

Nun stellt sich der Entwicklungsminister quer. Gerd Müller ist nicht einverstanden. Er hält nicht viel von der Drohung mit dem Entzug von Fördergeldern. Wiederholt machte er deutlich, dass er dies als "kontraproduktiv" einstuft. Das größte Interesse Deutschlands sollte vielmehr sein, "die gesamte Region zu stabilisieren", wird er heute zitiert und mit der Warnung: "Der wirtschaftliche Kollaps würde zu riesigen Problemen führen."

Auch das sind großgezimmerte Sätze, die ziemlich pauschal und übertrieben klingen und sofort pauschale Einwände hervorrufen ("Noch mehr Geld für afrikanische Länder?"). Deutlicher und differenzierter zeigt sich Müller aber im Gespräch mit dem Deutschlandfunk. Dort warnt er auch nicht vor einem wirtschaftlichen Kollaps, sondern er spricht von Destabilisierung, die ein Entzug der Fördergelder nach sich ziehen könnte.

Rückführungen: Die Maghreb-Staaten stehen "nicht oben"

Im Interview nimmt Müller zunächst die Maghreb-Staaten aus dem Fokus heraus - mit guten Gründen. In der öffentlichen Wahrnehmung sind die nordafrikanischen Länder zu den Problemstaaten bei der Rücknahme von abgelehnten Asylbewerbern geworden. Durch den Fall des IS-Attentäters Anis Amri, der der Diskussion über Innere Sicherheit einen enormen Schub gab, entstand der Eindruck, dass Tunesien und andere nordafrikanische Staaten ganz besonders dringliche Problemfälle sind. Die "Nafri"-Diskussion verstärkte diesen Eindruck noch.

Der Entwicklungsminister führt dagegen an, dass es 52.000 Ausreisepflichtige ohne Duldung in Deutschland gebe und die Maghreb-Staaten "nicht oben stehen". Dort stünden Albanien, Serbien, Kosovo und Mazedonien. In Tunesien seien es "ganze 457". Aus Marokko immerhin 1.300. Aber, so Müller, wenn man das Thema korrekt behandeln wolle, müsse man auch über Irak, Afghanistan und Pakistan reden. Aus diesen Ländern würden sich "viel größere Gruppen" ohne Duldung in Deutschland aufhalten.

Keine Daten aus Deutschland

In diesem Zusammenhang steuert Müller auf zwei Punkte zu, die die Versäumnisse weniger bei den Rücknahmeländern kenntlich machen, sondern bei den Behörden hierzulande. Zum einen stellt Müller klar, dass die Maghreb-Staaten mehr Kooperationsbereitschaft zeigen, als dies die Berichterstattung nahelegt.

"Die Regierung kooperiert", betont der Entwicklungsminister im Fall Tunesien und Marokko. Beide Länder würden aber etwas fordern, was die deutschen Behörden nicht liefern können - nämlich biometrische Daten - und damit kommt er zum zweiten Punkt, dem eigentlich neuralgischen, was die Sicherheitsdebatte betrifft.

Sowohl der tunesische wie der marokkanische Innenminister hätten ihm gesagt, dass sie eindeutig wissen müssten, ob es sich bei einer Person, die abgeschoben werden soll, um einen Tunesier bwz. um einen Marokkaner handelt. Die Maghreb-Staaten hätten von ihren Staatsbürgern biometrische Daten und könnten sie eindeutig identifizieren.

Die deutschen Behörden könnten diese Daten zum Abgleich jedoch nicht anbieten, so Müller, zumindest im Augenblick nicht. Damit kommt er auf eine Lücke zu sprechen, die sich daran zeigte, dass Masri mit 14 Identitäten unterwegs war und dass sich Fälle von "Sozialbetrügern" auftun, die dazu ebenfalls mehrere Identitäten benutzen.

Wir müssen alle Flüchtlinge und Asylbewerber, die die letzten zwei Jahre nach Deutschland gekommen sind, eindeutig identifizieren mit biometrischen Daten. Es gibt nur eine Identität, nicht 14 Identitäten. Da haben wir Hausaufgaben in Deutschland zu machen und dann kooperieren die Tunesier auch.

Gerd Müller

Gemäß Fachleuten, auf die sich der Entwicklungsminister beruft, die aber nicht nennt, schätzt man die Zahl der Flüchtlinge, die sich in Deutschland aufhalten, ohne bisher eindeutig identifiziert zu sein, auf 100.000. Bei der Identitätsfeststellung seien noch "Hausaufgaben zu machen", so Müller. Damit steht er nicht alleine. Auch es den Reihen der oppositionellen Grünen war kürzlich eine ähnliche Forderung zu hören.

Es kann nicht sein, dass jemand mit 14 oder zwölf Identitäten zu den Sozialämtern geht und sich in Deutschland bewegt. Das ist unsere Aufgabe und dann machen wir uns an die Aufgabe, diese Personen identifiziert wieder zurückzuführen nach Tunesien, aber auch nach Afghanistan, nach Pakistan, nach Bosnien, nach Albanien.

Gerd Müller

Was die Kürzungen von Entwicklungsgeldern betrifft, so verwendet Müller dafür die Management-Floskel "nicht zielführend". Es liege im Interesse Deutschlands, dass sich die Ländern des Mittelmeer-Raums, die Maghreb-Staaten und Ägypten, stabilisieren. Wenn man die Wirtschaftsbeziehungen kappe, so würden sich Hunderttausende in Richtung Europa aufmachen.

Entwicklungshilfe: Kleine konkrete Programme und ein großes Problem

Müller spricht von "Transformationspartnerschaften und wirtschaftlicher Zusammenarbeit". Beide konzeptionell-abstrakte Begriffe flößen kein besonderes Vertrauen ein, sie schließen sich an die grundsätzliche seit Jahren betriebene Diskussion an, wie die reicheren Länder Afrika helfen könnten (siehe dazu etwa Bartolomäus Grill, der gegen wohlmeinende Mammutpläne à la "Viel hilft viel" argumentiert).

Müller hat hier auch ein kontrovers diskutiertes Großprojekt namens "Marshall-Plan für Afrika" in Arbeit, aber in seinem Ministerium gibt es auch konkrete Programme, die eine freiwillige Rückkehr nach einer handwerklichen Grundausbildung als Schlosser, Installateur, Elektriker oder Maurer anbieten.

Das ist ein minimales Gegengewicht angesichts des Problems der Arbeitslosigkeit gerade in Tunesien, wo nach einer Studie 45 % der Jungen zwischen 18 und 34 Jahren nach Europa wollen. Aber es ist ein kleiner Schritt in die richtige Richtung. An den ganz großen Schrauben wird die EU nicht drehen:

Nachhaltig helfen aber kann Afrika nur eine grundlegende Reform unserer Handels- und Entwicklungspolitik. Die EU müsste etwa die Abkommen mit dem trügerischen Namen "Economic Partnership Agreements" (EPA) überdenken. Denn in der jetzigen Form haben sie wenig mit Partnerschaft zu tun, im Gegenteil: Es sind aufgezwungene Freihandelsverträge, die es den Europäern ermöglichen, afrikanische Märkte mit hoch subventionierten Agrarprodukten zu überfluten. Den Schaden haben die einheimischen Bauern: Sie können gegen die Billigimporte nicht konkurrieren, verlieren ihre Lebensgrundlage - und brechen irgendwann Richtung Europa auf.

Bartholomäus Grill