Abschiebung scheitert an PCR-Test und Protesten: kurdischer Aktivist vorerst frei

Heybet Sener war 2018 nach Deutschland geflüchtet. Seine Festnahme erfolgte bei einem der vielen Behördengänge. Foto: privat

Fast wäre heute ein kurdischer Oppositioneller in die Türkei abgeschoben worden, obwohl selbst das Auswärtige Amt vor willkürlicher Strafverfolgung in dem Nato-Partnerland warnt

Einen oppositionellen Kurden in die Türkei abzuschieben, wenn dort nachweislich ein Haftbefehl gegen ihn besteht und mehr als zehn Jahre Gefängnis drohen, so weit sind deutsche Behörden in den letzten Jahren angesichts der harten Repression in dem Nato-Partnerstaat unter Recep Tayyip Erdogan nicht gegangen.

Am heutigen Freitag war es aber fast so weit: Das Verwaltungsgericht München hatte einen Eilantrag gegen die Abschiebung des kurdischen Aktivisten Heybet Sener abgelehnt, die Turkish-Airlines-Maschine nach Istanbul war startklar und sollte um 13.45 Uhr mit ihm an Bord abheben. Dazu kam es aber nicht – vorläufig gerettet hat ihn wohl ein Zusammenspiel aus Solidaritätsaktionen und nicht erfüllbaren Corona-Regeln.

Der 31-Jährige war vor wenigen Tagen bei einem Behördengang im Landratsamt Erding festgenommen, wo er eigentlich einen Termin für die Verlängerung seiner Aufenthaltsduldung hatte. Dass er in der Abschiebehaft einen Hungerstreik begann, beeindruckte die Ausländerbehörde nicht.

Auch offene Protestschreiben von Mandatsträgerinnen der Partei Die Linke und der Grünen sowie Medienberichte, in denen Unterstützer des Geflüchteten ausführlich zu Wort kamen, blieben zunächst wirkungslos.

Auch offenes Verfahren wegen "Präsidentenbeleidigung"

Sener hatte in Deutschland Asyl beantragt und war in der Türkei bereits wegen Mitgliedschaft in der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) zu mehr als acht Jahren Haft verurteilt worden. Weitere Verfahren gegen ihn – unter anderem wegen "Präsidentenbeleidigung" und angeblicher Terrorpropaganda – sind dort noch offen.

Seine Unterstützer, darunter der Münchner Linke-Politiker Kerem Schamberger und Azad Yusuf Bingöl vom Migrationsbeirat der bayerischen Landeshauptstadt, verweisen auf die Gefahr, dass Sener in der Türkei erneut gefoltert werden könnte. Er habe dort kein faires Verfahren zu erwarten.

Die Gefahr ist real: Nach Aussage des Journalisten Deniz Yücel, der 2018 aus türkischer Haft entlassen wurde, hatten diesen dort weder seine Prominenz noch seine deutsche Staatsbürgerschaft vor Schlägen, Tritten und Erniedrigungen bewahrt. Ein im westlichen Ausland weitgehend unbekannter kurdischer Aktivist dürfte keine bessere Behandlung zu erwarten haben.

Seners Asylantrag wurde trotzdem abgelehnt. Dabei steht die politische Verfolgung in seinem Fall außer Frage: Ein türkischer Untersuchungshaftbefehl gegen ihn liegt seinem Anwalt Mathes Breuer in deutscher Übersetzung vor. Zuständig ist laut Breuer die große Strafkammer des Schwurgerichts Mus.

Hier sei mit einer Haftstrafe "zehn plus" zu rechnen, sagte Breuer eine halbe Stunde vor dem geplanten Abflug gegenüber Telepolis. Einige Dutzend Menschen protestierten derweil am Terminal 1 des Flughafens München gegen die Abschiebung und riefen: "Hoch die internationale Solidarität!"

"Inzwischen so hochgekocht"

Minuten später erfuhr der Anwalt, dass sein Mandant nun doch freigelassen werde: Bei Sener habe sich kein PCR-Test auf das Coronavirus durchführen lassen, hieß es. Nach Angaben befreundeter Aktivisten hatte Sener sich geweigert – und über einen anwesenden Dolmetscher den Arzt aufgefordert, sich zu überlegen, ob er den Abstrich gegen seinen Willen nehmen wolle. Der Arzt habe das daraufhin nicht gewollt.

Somit erfüllte Sener die Voraussetzung für den Abflug nicht. Ein Anruf der Bundespolizei bei der Ausländerbehörde habe dann ergeben, die Sache sei "inzwischen so hochgekocht", dass es besser sei, ihn erst mal auf freien Fuß zu setzen, berichtete sein Anwalt.

"Wir haben ein paar Tage gewonnen", schätzte Breuer am Freitagnachmittag die Lage ein. Er werde nun die Wiederaufnahme des Asylverfahrens beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge beantragen.

Die bayerische Landtagsabgeordnete Gülseren Demirel (Grüne) und die Bundestagsabgeordnete Nicole Gohlke (Die Linke) hatten die von der CSU geführte bayerische Staatsregierung und deren Abschiebepolitik zuvor scharf kritisiert. Demirel warf den Verantwortlichen vor, Hinweise von Menschenrechtsorganisationen zu ignorieren:

Nach Angaben von Amnesty International missachtet die türkische Justiz Garantien für faire Gerichtsverfahren und ordnungsgemäße Prozesse und wendet weit gefasste Anti-Terror-Gesetze an, um Handlungen zu bestrafen, die durch internationale Menschenrechtsgesetze geschützt sind. Auch Human Rights Watch stellt eine Einmischung der Exekutive in die Justiz und in die Entscheidungen der Staatsanwaltschaft fest.


Gülseren Demirel, Mitglied im Ausschuss des Bayerischen Landtags für Verfassung, Recht, Parlamentsfragen und Integration / Bündnis Bündnis 90/Die Grünen

Nicole Gohlke verwies in einem Offenen Brief an Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) darauf, dass selbst das Auswärtige Amt aktuell vor willkürlicher Strafverfolgung in der Türkei warne, "teils schon wegen des Likens eines Beitrages in den sozialen Medien". Im Fall Heybet Seners sei schon Ablehnung seines Asylantrags "mehr als fragwürdig", da er seine politische Verfolgung lückenlos nachweisen könne.

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