Abschied vom Menschenrechtsimperialismus?
- Abschied vom Menschenrechtsimperialismus?
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Menschenrechte sollen nicht mehr Mittel der US-Außenpolitik sein. Doch ist dies auch ein Grund zur Freude?
Dieser Tage neigt sich eine geopolitische Ära dem Ende entgegen - und kaum jemand hat es bemerkt. Die rechtspopulistische US-Regierung unter Donald Trump geht gerade daran, die Menschenrechte als Faktor der amerikanischen Außenpolitik abzuschaffen. Anfang Mai erklärte Rex Tillerson - ehemaliger Exxon-Chef und derzeitiger US-Außenminister - in einer außenpolitischen Grundsatzrede vor Angestellten des State Department, dass Menschenrechte zunehmend "Hürden" bei der globalen Verfolgung von US-Interessen bilden würden.
Menschenrechte wie "Freiheit und menschliche Würde" wurden von Tillerson in der Rede zu (kulturellen) "Werten" der USA degradiert. Doch sollen diese Werte nicht mehr als Richtschnur amerikanischer Außenpolitik fungieren. "Dies sind unsere Werte. Aber sie sind nicht unsere Politik", so der amerikanische Außenminister wörtlich.
Wenn die Vereinigten Staaten zu sehr die Einhaltung dieser Werte global propagierten, erläuterte Tillerson weiter, dann würde "die Realität Hürden schaffen bei der Realisierung unserer nationalen Sicherheits- und Wirtschaftsinteressen". Die Vereinigten Staaten müssten sich zuerst fragen, wie die konkreten sicherheitspolitischen und wirtschaftlichen Interessen gelagert seien, erst danach könne ausgelotet werden, ob Washington noch "unsere Werte voranbringen" dürfe.
Dies ist kein hohles Gerede, wie die Newssite Slate bemerkte, Tillerson sei bereits damit aufgefallen, dass er jedwede Kritik an der Menschenrechtslage in Saudi Arabien, Russland oder den Philippinen unterließ, bemerkte die liberale Internetpräsenz.
Zudem muss Tillerson umfassende Ausgabenkürzungen im State Department (bis zu 28 Prozent des bisherigen Budgets) umsetzen, von denen zumeist die Programme des "Soft Power"-Ansatzes - etwa zur Demokratieförderung - betroffen seien. Eine außenpolitische Spitzenposition im Weißen Haus, die zuvor als "special assistant to the president for multilateral affairs and human rights" bezeichet wurde, ist von Trump bereits umbenannt worden, berichtete das linksliberale Blatt Mother Jones: in "special assistant for international organizations and alliances".
Ein Herz für Autokraten
Die ideologische Neuausrichtung folgt dabei nur der Praxis des rechtspopulistischen US-Präsidenten. Mit seinem Telefonat an den türkischen Autokraten Erdogan, bei dem er diesem zum Sieg beim umstrittenen Referendum über ein postdemokratisches "Präsidialsystem" gratulierte, hat Trump bereits den früheren menschenrechtspolitischen Konsens in Washington aufgekündigt Zumal die Abstimmung in der Türkei von massiven Betrugsvorwürfen überschattet wurde.
In US-Medien wurde darüber spekuliert, dass Trump eine offene Bewunderung für autoritäre Herrscher hege, die ihn dazu veranlasste, selbst dem Islamisten Erdogan zur offenen Machtergreifung zu gratulieren. Trump habe niemals seine "Liebe für autoritäre Herrscher wie Gaddafi, Putin oder Saddam Hussein" versteckt, so CNN. Sie alle wurden von dem US-Präsidenten dafür gelobt, dass sie "keine Gefangenen" machten. Mitte Mai werden sich Trump und Erdogan in Washington treffen.
Ähnlich unbefangen geht Trump mit anderen Diktatoren und Autokraten um. Für helle Aufregung im Washingtoner Establishment sorgte etwa die Einladung Trumps an den philippinischen Staatschef Rodrigo Duterte, der eine massenmörderische Repressionskampagne gegen "organisierte Kriminalität" auf den Philippinen entfachte - und die sich längst verselbstständigt hat.
Inzwischen wurden mehr als 7.000 Menschen - überwiegend aus der städtischen Armenschicht - von den korrupten Polizeikräften getötet, die de facto einen Freischein für die Beseitigung unerwünschter und "überflüssiger" Bevölkerungsteile erhalten haben. Zumeist sterben diejenigen armen Slumbewohner, die sich die Bestechungsgelder für die "Sicherheitskräfte" nicht mehr leisten können.
Selbst für Nordkorea scheint es im Weißen Haus eine klammheimliche Bewunderung zu geben. Er wäre "geehrt", sich mit Kim Jong Un, dem derzeitigen Herrscher der nordkoreanischen Kim-Dynastie, zu treffen, erklärte Trump Anfang Mai - unter den "richtigen Umständen". Der Präsidentensprecher Spicer machte auf Journalistenanfragen klar, dass es sich bei Kim immerhin um ein "Staatsoberhaupt" handele. Die USA Trumps als der größte Schurkenstaat? Sieht so die Zukunft der rechtspopulistischen US-Außenpolitik aus?
Kerngehalt von 250 Jahren Aufklärung auf den Müllhaufen geworfen
Tillerson brachte somit Anfang Mai nur die Praxis Trumps auf einen ideologischen Nenner. Der amerikanische Außenminister warf aber zugleich in seiner Rede vor dem State Department mit ein paar dürren Sätzen den Kerngehalt von rund 250 Jahren bürgerlich-kapitalistischer Aufklärung auf den Müllhaufen der Geschichte. Bei dem sogenannten Menschenrechten handelt es sich nicht um irgendwelche kulturell bedingte "Werte", sie gelten der Aufklärung - spätestens seit der Proklamation der Menschenrechte im Gefolge der französischen Revolution - als universelle, allem Menschen zukommende Rechte.
Die Havard-Professorin und ehemalige amerikanische UN-Botschafterin Samantha Power machte in einer ersten Reaktion klar, was für ein Epochenbruch von Tillerson eingeleitet wurde. Brutale Verbrecher würden nun lächeln, da Menschenrechte nicht nur "US-Werte" darstellen, sondern universell seien. Die menschenrechtspolitische Neuorientierung in Washington gebe "grünes Licht für Repression".
Impliziert degradiert Tillerson somit die Menschenrechte zu einer kulturellen Marotte der USA, womit er sich ironischerweise auf dieselbe argumentative Ebene begibt wie viele der "Schurkenstaaten", die sich gegenwärtig im Fadenkreuz der USA befinden: etwa Iran oder Nordkorea. Schon immer haben die Regime und Regierungen, die sich im Visier der US-Geopolitik wiederfanden, auch damit argumentiert, dass die USA ihnen ihre Werte aufzunötigen versuchten.