Abschied vom Menschenrechtsimperialismus?
Seite 2: Aufstieg und Fall des Menschenrechtsimperialismus
- Abschied vom Menschenrechtsimperialismus?
- Aufstieg und Fall des Menschenrechtsimperialismus
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Diese Reaktionen der Peripherie des kapitalistischen Weltsystems auf die "Weltordnungskriege", die zumeist von dem amerikanischen Zentrum in den vergangenen Dekaden geführt wurden, hat aber auch einen objektiven Grund. Seit dem Ende des "Kalten Krieges" etablierte sich auf der ideologischen Ebene eine Art "Menschenrechtsimperialismus", mit dem alle möglichen Interventionen und Kriegsabenteuer des Westens legitimiert wurden.
Mag es den geopolitischen Strategen in Washington um Rohstoffe, Energieträger oder um die Befriedigung von Zusammenbruchsregionen gegangen sein, seit den 1990er Jahren wurden diese imperialen Abenteuer immer wieder mit den Verweis auf Menschenrechte legitimiert.
Seinen Höhepunkt erreichte der Menschenrechtsimperialismus bei der desaströsen Invasion der USA im Irak, als der Sturz Saddam Husseins eine neue Ära der Prosperität und Demokratie im gesamten Nahen und Mittleren Osten auslösen sollte. Ähnliches galt auch bei der Intervention in Afghanistan, bei der nicht nur die Taliban und al-Qaida besiegt, sondern auch demokratische Strukturen aufgebaut werden sollten. Rückblickend betrachtet stellte gerade die Irak-Intervention, die den ohnehin schwelenden Staatszerfall in der Region massiv befeuerte, auch den letzten großen Krieg des Menschenrechtsimperialismus dar. Zuletzt wirkten diese Legitimationsmuster noch bei der Intervention in Libyen nach.
Deutsche Pionierarbeit
Seinen Anfang nahm diese historische Phase mit den Interventionen in Somalia - und vor allem in Jugoslawien Anfang der 1990er des 20. Jahrhunderts. Hier leisteten die deutschen Grünen während ihrer Regierungsbeteiligung im Jahr 1999 Pionierarbeit, als sie den ersten deutschen Angriffskrieg nach 1945 als eine Menschenrechtsintervention verkauften.
Die völkerrechtswidrige Bombardierung der Bundesrepublik Jugoslawien durch deutsche Tornados wurde von dem damaligen grünen Außenminister Joseph Fischer mit dem Verweis auf die deutschen Menschheitsverbrechen während des Zweiten Weltkrieges legitimiert. Fischer sagte am 7. April 1999 wörtlich zur Begründung des deutschen Angriffskrieges:
Ich habe nicht nur gelernt: Nie wieder Krieg. Ich habe auch gelernt: Nie wieder Auschwitz.
Joseph Fischer
Angesichts solcher bodenloser Widerlichkeiten, bei denen Auschwitz zur Legitimierung von Angriffskriegen instrumentalisiert wird, könnte man das Ende der Ära des Menschenrechtsimperialismus nur begrüßen. Das Konzept scheint auf die Müllhalde der Geschichte zu wandern. Endlich wird die ganze Verlogenheit des Menschenrechtsdiskurses eingestellt, der nur dazu diente, die machtpolitischen Ziele "des Westens" zu verschleiern. Es herrscht Klartext.
Problem: Der Imperialismus bleibt
Das Problem dabei ist nur, dass der Imperialismus bleibt. Tillerson gehe es darum, dass die Menschenrechte die Politik des "America First" nicht mehr beeinträchtigen dürfen, bemerkte die progressive US-Newssite Commondreams treffend. Die brutale Durchsetzung von geopolitischen Interessen soll nun unverschleiert vonstatten gehen.
Ein Krieg oder eine Intervention werden nun offen darum geführt, nationale Interessen durchzusetzen, um den Gegner zu unterdrücken und auszubeuten - während in dem Vierteljahrhundert nach Ende des Kalten Krieges diese knallharten Interessen unter dem Mantel des Menschenrechtsimperialismus versteckt wurden.
Der Menschenrechtsdiskurs nach dem Kalten Krieg wies aber einen ambivalenten Charakter auf. Menschenrechte fungierten auf geopolitischer Ebene einerseits als Ideologie. Sie dienten dazu, ein falsches Bewusstsein zu schaffen. Anderseits waren sie - auch in ihrer kapitalistisch verkürzten, um jede soziale Dimension beraubten Form - weiterhin gesellschaftlich wirksam.
Dies war vor allem deswegen der Fall, weil es in den Zentren des Weltsystems noch eine breite Mittelschicht gab, die diese bürgerlichen Werte - wenn auch unvollkommen - verwirklicht sah und an ihren universellen Anspruch glaubte. Es gab folglich eine gesellschaftliche Nachfrage nach der Verklärung der brutalen kapitalistischen Realität in der zunehmend zerfallenden Peripherie des Weltsystems.
Dies ist - gerade in den USA - nicht mehr der Fall. Die breite amerikanische Mittelschicht, in der noch ein massenhafter Bedarf nach einem ideologischen, menschenrechtspolitischen "Weichzeichner" der imperialen Realität herrschte, geht in offene Auflösung über. Folglich zerfällt auch der ideologische Schleier, der diese Phase des "Mittelklassekapitalismus" kennzeichnete.
Ungeschminkte Herrschaftsverhältnisse
Die zunehmende Härte des alltäglichen Existenzkampfes im Spätkapitalismus lässt auch die menschenrechtspolitische Legitimierung von Ausbeutung, Marginalisierung und Unterdrückung auf der geopolitischen Ebene als unnötigen Ballast erscheinen. Illusionen über den barbarischen Zustand des Spätkapitalismus will man sich nicht mehr leisten.
Schon Adorno bemerkte1, dass es sich bei Ideologie eigentlich um ein Luxusgut handelt, das man sich erst leisten muss:
Zur Ideologie im eigentlichen Sinn bedarf es sich selbst undurchsichtiger, vermittelter und insofern auch gemilderter Machtverhältnisse.
Theodor W. Adorno
Die "gemilderten" Machtverhältnisse weichen aber für immer größere Teile der Bevölkerung dem offenen Terror der amoklaufenden Ökonomie. Die offene Verelendung und die offene Gewalt machen Ideologie überflüssig. Insofern kommt der Abschied von der "gemilderten" Form des Menschenrechtsimperialismus einem weiteren Abstieg in die offene Barbarei gleich. Nicht die imperialistische Politik wird von Trump aufgegeben, sondern deren "Maskierung" in Menschenrechtsrhetorik. Seine Anhängerschaft, die diese Haltung als "Ehrlichkeit" und "Geradlinigkeit" bewundert, geht somit in offene Bejahung des Imperialismus über, der ohne jedwede Legitimierung auskommt.
Es ist der Tod der Ideologie, der sich in den USA als den avanciertesten Metropolenstaat andeutet (und den der Rest der Welt mit der üblichen Verzögerung nachvollziehen wird). Die Herrschaftsverhältnisse treten ungeschminkt hervor, ohne Legitimierung. Die Welt ist ein Höllenloch. Es ist, wie es ist. Und wir wollten herrschen - auf diesen Nenner lässt sich diese Kehrtwende bringen.