Abschreckung im Zeitalter nach dem Kalten Krieg
Die neue Bush-Regierung wird militärisch vornehmlich auf Stärke setzen; der designierte Verteidigungsminister Rumsfeld will mehr Geld für Aufrüstung und setzt auf das nationale Raketenabwehrsystem und die Geheimdienste
Die amerikanische Verteidigungspolitik dürfte sich, wie vieles andere, ändern, wenn der neue Präsident George W. Bush sein Amt am 20. Januar übernimmt und Donald Rumsfeld wie vorgesehen zum Verteidigungsminister ernennt. Der hat schon einmal die Schlagworte geprägt und gesagt, dass Schwäche provozierend sei. Er ist nicht nur für die Realisierung des von der Clinton-Regierung unter Druck seitens des Kongresses begonnenen, aber zurückgestellten Raketenabwehrsystems (NMD), sondern warnte auch vor der Möglichkeit eines "Pearl Harbor im Weltraum". Hatte die Clinton-Regierung ihr Profil in Sachen nationaler Sicherheit mit den Bedrohungen durch Infowar, Cyberterrorismus und biologischen Waffen geprägt, so scheint die Bush-Regierung in den alten Fußstapfen von Ronald Reagan wieder ganz auf breite Aufrüstung zu setzen.
Rumsfeld, bereits Verteidigungsminister unter Präsident Ford von 1975 bis 1977 und Leiter von zwei Kommissionen über das Raketenabwehrsystem und die möglichen Gefahren für die US-Satelliten, lebt noch in den Kategorien des Kalten Kriegs und einer Politik der Abschreckung. Aufrüsten, Stärke, Weiterdrehen an der Rüstungsschraube - das ist die Welt des neuen Verteidigungsministers mit dem einfach Slogan: "Schwäche lädt die Menschen ein, Dinge zu tun, an die sie sonst gar nicht gedacht hätten." Die Welt habe sich seit dem Kalten Krieg zwar verändert, räumt Rumsfeld ein, mit dem alten Feind Russland habe man eine friedlichere Beziehung, aber sie sei weiterhin gefährlich und eigentlich noch gefährlicher: "Wir wissen, dass die Macht der Waffen heute weitaus größer als in den vergangenen Zeiten ist, und wir wissen, dass mit der Abnahme der Spannungen am Ende des Kalten Krieges die Ausbreitung dieser Möglichkeiten um sich greift."
Im Zeitalter der Globalisierung müsse man das US-Militär erfolgreich ins 21. Jahrhundert leiten, damit es weiterhin "seine lebenswichtige Rolle für die Erhaltung und den Ausbau des Friedens soweit wie möglich in die Zukunft hinein einnehmen" könne. Die Grundlage des Friedens sei eine "starke, einsatzbereite und moderne Armee". Dazu muss natürlich das Budget aufgestockt, die Gehälter müssen erhöht und die Armee sollte möglichst schnell technisch modernisiert werden, um Feinde abzuschrecken: "Eine wirksame Abschreckung kann nicht mehr allein auf der Aussicht auf Bestrafung durch einen großen Gegenschlag beruhen. Sie muss auf einer Kombination von offensiven Nuklearwaffen und nicht-nuklearen Verteidigungsmaßnahmen basieren, die zusammen wirken, um möglichen Feinden die Wahrnehmung der Chancen und Vorteile unmöglich zu machen, die aus der Bedrohung unserer Streitkräfte, unseres Vaterlandes oder unserer Alliierten mit Massenvernichtungswaffen oder durch deren Einsatz entstehen."
Wichtig sei vor allem auch die Stärkung der Geheimdienste und der Ausbau der Informationstechnologie: Eine moderne CCCI- Infrastruktur (Command, Control, Communication, Intelligence) sei die Grundlage der militärischen Handlungsfähigkeit. Zum Ausbau der Geheimdienste und der Überwachungskapazitäten gehört für Rumsfeld natürlich auch die Weltraumtechnologie - und "die Möglichkeit, sie gegen unterschiedliche Angriffsarten zu schützen."
Insgesamt wird bereits die Grundlage für noch höhere Ausgaben für die Rüstung gelegt, als sie bislang von Bush vorgesehen waren. Der hatte während des Wahlkampfes davon gesprochen, das Budget für das Verteidigungsministerium für die nächsten 10 Jahre um 45 Milliarden Dollar zu erhöhen und mehr als 70 Milliarden Dollar für neue Waffensysteme im Weltraum und für U-Boote auszugeben. Rumsfeld deutet gar nicht leise an, dass das bei weitem nicht genug sein wird: "Wir müssen zusammen arbeiten, wenn wir die Probleme ausreichender Finanzierung lösen wollen. ... Wir werden neue Dollars in nicht gewöhnlichen Mengen finden müssen." Wie solche Erhöhungen mit den ebenfalls versprochenen Steuerkürzungen zusammen gehen sollen, wird Bush freilich noch zeigen müssen, zumal wenn der wirtschaftliche Boom weiterhin abflaut.
Ein eben veröffentlichter Pentagonbericht, der unter der Leitung von Howard Baker entstanden ist, kommt zur rechten Zeit und rechtfertigt die Aufrüstungsintentionen, die der USA nicht nur teuer kommen werden, sondern auch zu einer neuen weltweiten Aufrüstungsspirale führen könnten. Angesichts des von der Bush-Regierung geförderten Planes, ein nationales Raketenabwehrsystem aufzubauen, nähern sich bereits Russland und China immer weiter einander an. Bekanntlich führt nicht nur Schwäche zu Gefahren, sondern auch betont zur Schau gestellte Stärke. Neben dem amerikanischen Oberbösewicht bin Laden steht nun auch wieder Russland als Bedrohung im Visier, denn gerade die wirtschaftlichen Probleme des Landes mit den großen Waffenvorräten könnten dazu führen, dass sich Diebe, Terroristen und Organisiertes Verbrechen diese Waffen aneignen können.
In dem Bericht heißt es, so der noch amtierende Verteidigungsminister und ehemalige republikanische Senator William Cohen, dass mindesten 25 Staaten (Iran, Irak, Libyen, Nordkorea ...) bereits die Möglichkeit oder dabei sind, sie zu erwerben, nukleare, chemische oder biologische Massenvernichtungsmittel einzusetzen. Gerade die militärische Überlegenheit verführe die "bösen Staaten" (rogue states) dazu, "asymmetrische Mittel" zu entwickeln, um das die Achillesferse der USA anzugreifen. Dazu komme, dass die Massenvernichtungswaffen zunehmend auch in die Hände von terroristischen oder fanatischen Einzelnen und Gruppen geraten werden könnten: "Die Nachfolger von Osama bin Laden haben bereits mit Giftgasen trainiert."