Abstimmung ohne Überraschungen
Bei den Nein-Sagern zur europäischen Verfassung stehen die Konservativen im Rampenlicht, die auf den Nationalstaat setzen, während die Kritiker aus der linken Ecke weitgehend unbeachtet bleiben
Erwartungsgemäß wurde am Donnerstagmittag mit einer großen Mehrheit im Bundestag die EU-Verfassung verabschiedet. Von den 592 anwesenden Abgeordneten gaben 569 ihre Zustimmung, zwei enthielten sich. Die 23 Gegenstimmen kamen von den beiden PDS-Abgeordneten, dem fraktionslosen Ex-CDU-Abgeordneten Martin Hohmann und dem rechten Flügel der CDU/CSU. Damit hat die Union genau die Grenze von 20 abweichenden Abgeordneten eingehalten, die nach Meinung der Fraktionsspitze als tolerierbar galt. Eine höhere Anzahl von Nein-Sagern hätte als Führungsschwäche der Parteivorsitzenden Merkel ausgelegt werden können. Diesen Eindruck hätte die konservative Opposition kurz vor der Landtagswahl in NRW überhaupt nicht gebrauchen können. So wurden denn in den letzten Tagen auch zahlreiche abweichende Abgeordnete bearbeitet, damit sie doch der Verfassung zustimmen. Denn die Frage, wie viel Nein-Sager es bei der Union geben wird, hat in den letzten Tagen die Medien interessiert. Schließlich waren bei dieser Abstimmung ansonsten keine großen Überraschungen zu erwarten.
Dass die für die Annahme der Verfassung vorgeschriebene Zweidrittelmehrheit mühelos erreicht werden wird, war schon lange vor der Abstimmung klar. Schließlich haben sich die Spitzen von SPD, CDU/CSU, FDP und Grünen lange vehement für die Verfassung eingesetzt. Lediglich die PDS hatte sich gegen die Verfassung ausgesprochen. Da sie aber nur mit zwei Abgeordneten im Bundestag vertreten ist und keinen Fraktionsstatus besitzt, wurde ihre Meinung in der öffentlichen Diskussion kaum beachtet.
Das hat sich auch bei der Berichterstattung über die Abstimmung wieder gezeigt. Während das Votum der PDS-Frauen im Bundestag nicht einmal erwähnt wurde, wurde auf Deutschlandradio sogar ein EU-Ton des rechten EU-Kritikers Peter Gauweiler eingespielt, der schon angekündigt hat, gegen die EU-Verfassung in Karlsruhe zu klagen. Sein erster Versuch, die EU-Verfassung juristisch aufzuhalten, war in der letzten Woche aus formalen Gründen gescheitert. Die Richter haben in ihre Begründung aber ausdrücklich geschrieben, dass er nach der Verabschiedung des EU-Verfassung erneut den Klageweg bestreiten könne.
So richtet sich das öffentliche Augenmerk in Deutschland weiter auf die konservativen Verfassungskritiker, die die Rechte der Nationalstaaten verletzt sehen oder einen fehlenden Gottesbezug in der Verfassung monieren. Stimmen aus der Antiglobaliserungs- und Antikriegsbewegung haben es in Deutschland weiterhin schwer, Gehör zu finden. Dabei haben sie versucht, im Windschatten der EU-Debatte vor dem Referendum in Frankreich ihre Argumente auch in der deutschen Öffentlichkeit bekannter zu machen. So wurden in den letzten Tagen in zahlreichen überregionalen Tageszeitungen Anzeigen geschaltet, in denen sich Intellektuelle, Juristen und Gewerkschaftler gegen die Verfassung, aber für ein Zusammenwachsen von Europa ausgesprochen hatten.
Auch die globalisierungskritische Organisation Attac ist mit Unterstützungsaktionen für die französischen EU-Kritiker an die Öffentlichkeit getreten. Doch auch hier hat es sich wohl eher um den Versuch gehandelt, die nicht besonders aktiven EU-Verfassungsgegner von links mit französischer Hilfe aufzupäppeln. Ganz erfolglos scheinen die Bemühungen nicht gewesen. Schließlich haben sich bekannte SPD-Linke kürzlich in einer Erklärung ausdrücklich hinter die Verfassung gestellt, weil in der letzten Zeit auch in SPD-Bezirken zunehmend kritischere Stimmen zu dem Projekt zu hören gewesen sind. Die linken Kritiker lehnen den Verfassungsentwurf vor allem wegen der befürchteten neoliberalen Ausrichtung der Wirtschaftspolitik und der vermuteten drohenden Aufrüstung im EU-Rahmen ab.
Lehnen die Franzosen die Verfassung ab, könnten diese Stimmen wieder mehr Gehör finden. Sollte das Verfassungsprojekt allerdings gar durch Gauweiler juristisch gestoppt werden, hätten sich die konservativen Verfassungsgegner durchgesetzt, die in der Öffentlichkeit bisher hauptsächlich als Verfassungskritiker wahrgenommen werden.