Äthiopien: Eher Berlin oder eher Bagdad?
Woyane-Anführer will "Invasoren bis zum Letzten bekämpfen"
Am Samstag meldete die äthiopische Armeeführung, dass sie Meqele, die Hauptstadt des äthiopischen Teilstaates Tigray, nach dem Ablauf eines Ultimatums besetzt habe (vgl. Äthiopien: Weg frei für den Bürgerkrieg). Die Regierungs- und Verwaltungsgebäude, der Flughafen und die Kaserne und befänden sich nun unter der Kontrolle der Zentralregierung.
"Recht auf Selbstbestimmung"
Wird eine Hauptstadt besetzt, kann das ein Sieg sein, wie beispielsweise 1945 in Berlin. Es kann aber auch der Auftakt für einen asymmetrischen Krieg sein, wie 1979 und 2001 in Kabul oder 2003 in Bagdad. Dass der Krieg in Äthiopien zumindest noch nicht ganz zu Ende ist, räumte gestern auch der äthiopische Präsident Abiy Ahmed ein, der am Samstag noch gemeint hatte, der Konflikt sei "abgeschlossen". Nun verlautbarte er, die "Militäroperationen in Tigray" gingen zwar weiter, aber ein vollständiger Sieg gegen die Woyane-Partei sei in Reichweite".
Debretsion Gebremichael, der Anführer der Woyane, stellte die Ereignisse vom Samstag als taktischen Rückzug mit Rücksicht auf Zivilisten dar. Die seien von der äthiopischen Armee bombardiert worden. Die Armee spricht dagegen von "Präzisionsoperationen", bei denen man darauf geachtet habe, keine Zivilisten zu treffen. Was davon eher die Wahrheit trifft, ist völlig offen, weil die Region weitgehend vom Internet und von anderen Kommunikationskanälen abgeschnitten ist.
Die "Brutalität" der äthiopischen Armee hat Gebremichaels Worten zufolge die Entschlossenheit seines Volkes gestärkt, die "Invasoren bis zum Letzten zu bekämpfen" und "unser Recht auf Selbstbestimmung zu verteidigen". Darin hat die Tigrinya-Partei Woyane eine gewisse Erfahrung: In den 1980er Jahren bekämpfte sie ein Jahrzehnt lang als Guerilla gegen die damalige Derg-Militärregierung. Danach bestimmten Tigrinya aus der Woyane maßgeblich die Politik ganz Äthiopiens.
Hat sich Abiy Ahmed für einen Frieden mit Eritrea einen Krieg mit den Tigrinya eingehandelt?
Auch der erst heiße und danach eher kalte Krieg, den das Land zwischen 1998 und 2000 beziehungsweise 2018 mit Eritrea führte, gilt manchen Beobachtern vor allem als Angelegenheit der Tigrinya in beiden Ländern, die sich über den den genauen Grenzverlauf nicht einig werden konnten. In jedem Fall kam es erst zu einem Friedensschluss, als mit Abiy Ahmed kein Tigrinya mehr äthiopischer Präsident war, sondern der Sohn eines Oromo und einer Amharin. Und seit es zum offenen Bruch zwischen der äthiopischen Zentralregierung und der in Tigray kam, beschießen Woyane-Milizen wieder die eritreische Hauptstadt Asmara - mit der Begründung, dass der eritreische Präsident Isaias Afwerki (ein Tigrinya) militärisch mit Ahmed kooperiere.
Während die Ih'adeg-Parteiensammlung Äthiopien nach dem Sturz des Derg-Militärregimes föderalisierte, unternahm Ahmed Anstrengungen, den Zentralstaat zu stärken. In seinem Buch Medemer bekennt er sich relativ offen zu mehr Zentralismus. Er griff in Regionen wie dem ehemaligen Ogaden sehr viel stärker ein als seine Vorgänger - und es wurden Vorwürfe laut, dass die Regierung in Addis Abeba staatliche Gelder nicht mehr nach Tigray fließen lässt und Chinesen und Türken an Investitionen hindert.
Massaker in Mai Kadra
Die Spannungen eskalierten, als Ahmed mit Hinweisen auf Corona die Wahlen auf unbestimmte Zeit verschob, worauf hin die Teilstaatsregierung von Tigray im August trotzdem wählen ließ. Ahmeds Zentralstaatsführung erkannte diese Wahlen nicht an und verbot die Woyana, worauf hin es bald zu militärischen Auseinandersetzungen zwischen der äthiopischen Bundesarmee und der Nationalgarde von Tigray kam. Danach ermordeten Tigrinya in Mai Kadra massenhaft Amharen - und Amharen in der äthiopischen Armee rächten das den Aussagen von Tigrinya nach, die sich in den Sudan absetzten, mit der massenhaften Tötung von Angehörigen ihrer Volksgruppe.
Ist die äthiopische Armee in Tigray länger beschäftigt, könnten Akteure im Süden Chancen wittern, politische Ziele mit Gewalt umzusetzen. Als potenzielle Brandherde infrage kommen hier beispielsweise Gebiete, die sowohl von Oromo-Bauern als auch von Somali-Hirten beansprucht werden (vgl. Löst sich Äthiopien auf?). Ein anderer Konflikt ist der zwischen den Oromo und den Sidama, der mit fast neun Millionen viertgrößten äthiopischen Volksgruppe. Auch mit dem Volk der Gedeo liegen die im 16. und 17. Jahrhundert sehr expansiven Oromo, die damals mit ihren Kopfbedeckungen aus den langen Haaren von Blutbrustpavianen Angst und Schrecken verbreiteten, im Streit.
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