AfD: Nur ein stummer Schrei nach Liebe?

Seite 2: AfD: Partei der sexuell Frustrierten?

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Die Parallelen zu den 1930er Jahren sind aber auch an einem anderen Punkt evident, nämlich bei der schweren sexuellen Frustration, unter der AfD-Anhänger überdurchschnittlich oft litten. Bei einer von der Online-Dating Plattform Gleichklang im Vorfeld der Bundestagswahl durchgeführten Umfrage, bei der die politischen Präferenzen und das Beziehungsleben von rund 700 Usern erfasst wurden, ist ein eindeutiger Zusammenhang zwischen Enttäuschungen im Liebesleben und der Präferenz für die AfD konstatiert worden. Vor allem das Liebensleben der Wähler der Grünen und der Linkspartei unterschied sich stark von den enttäuschenden Erfahrungen der AfD-Anhänger, wie der Merkur berichtete:

Verbittert über das eigene Liebesleben war bei den Wählern der Grünen eine Person von 18 Personen, bei der Linkspartei eine von acht Personen, bei der AfD aber eine von vier Personen. In der Liebe "verarscht" fühlte sich bei den AfD-Wählern eine von fünf Personen, bei der Linkspartei eine von 12 Personen und bei den Grünen nur eine von 25 Personen. Dass das ganze Gerede von der Liebe eine Lüge sei, meinte bei den AfD Wählern eine von 6 Personen, bei der Linkspartei eine von 14 Personen und bei den Grünen eine Person von 20 Personen.

Merkur

Folglich hätten 74 Prozent der Linksparteianhänger und 72 Prozent der Grünen-Wähler der Aussage zugestimmt, dass eine solidarische Welt, in der die Menschen "liebevoll miteinander umgehen", erstrebenswert sei. Bei den sexuell frustrierten AfD-Wählern waren es nur 40 Prozent. Die Anhänger von SPD, CDU/CSU und FDP lagen bei der Umfrage zwischen diesen beiden Extremeinstellungen, wobei die FDP-Wählerschaft bezüglich sexueller Frustration der AfD am nächsten war.

Diese psychopathologische Konstitution, in der Projektionen sexueller Frustration zu Hass führen, insbesondere auf die als potente sexuelle Konkurrenz wahrgenommenen arabischen "jungen Männer", spielt als unbewusste, irrationale Treibkraft der Neuen Rechten offensichtlich eine wichtige Rolle. Der Rechtspopulismus fungiert somit auch als politische Ausscheidung einer massenhaften, aus Liebesmangel resultierenden Psychopathologie, als ein "stummer Schrei nach Liebe".

Genau diese massenpsychologische Konstellation thematisierte schon Wilhelm Reich in seiner berühmten, 1933 publizierten Schrift "Die Massenpsychologie des Faschismus". Reich arbeitete als erster Sozialwissenschaftler den Zusammenhang zwischen autoritärer Triebunterdrückung - insbesondere der Sexualunterdrückung - und der autoritären, irrationalen Charakterstruktur heraus, die anfällig sei für faschistische Tendenzen.

Tatsächlich wird dieser Zusammenhang etwa bei der neurechten Incel-Männerbewegung deutlich (abgeleitet aus: involuntary celibates), die ihre sexuelle Frustration offen thematisiert - und sich in Frauenhass, Rassismus, Selbstmitleid und allgemeiner Misanthropie ergeht. Somit ist es die zunehmende Triebunterdrückung durch die sich beständig verschärfenden "Sachzwänge" im krisengeplagten Spätkapitalismus, die den Faschismus auch auf dieser psychopathologischen Ebene - zusätzlich zu den sozioökonomischen Faktoren wie verschärfter Krisenkonkurrenz - immer wieder anfacht.

Ein weiterer Faktor, der den Wahn von rassischer oder kultureller Überlegenheit so verlockend erscheinen lässt, den die Neue Rechte propagiert, besteht in den intellektuellen Defiziten ihrer Anhängerschaft. Empirisch verifiziert ist inzwischen die Tatsache, dass AfD-Wähler einen unterdurchschnittlichen Intelligenzquotienten aufweisen, sodass Ideologien der Ungleichheit, die ihnen eine nationale, kulturelle oder rassische Überlegenheit andichten, eine große Anziehungskraft entwickeln - ganz im Sinne eines unbewussten psychischen Kompensationsmechanismus.

Dieser Umstand, dass es sich bei der AfD um die Partei der weniger Intelligenten handelt, muss nicht mit der Tatsache in Konflikt geraten, dass überdurchschnittlich oft Mitglieder der Mittel- und Oberschicht den Rechtspopulisten zugetan sind. Es besteht - gerade angesichts der Defizite des ständischen deutschen Bildungssystems - kein Zusammenhang zwischen Intelligenz und der Zugehörigkeit zur Mittel- oder Oberschicht in der Bundesrepublik.

Gerade im Gegenteil: Angesichts der immer geringeren Chancen auf sozialen Aufstieg von Arbeiterkindern, der immer weiter schwindenden sozialen Mobilität in der Bundesrepublik, bildete sich eine Schicht von Mittelklassenmitgliedern aus, die ihren Status de facto durch die Zugehörigkeit zur Schicht ihrer Eltern "vererben".

Die krasse soziale Undurchlässigkeit, etwa im Bildungswesen, lässt in der Bundesrepublik einen regelrechten Ständestaat entstehen, wo der Habitus der Mittelklasse bei der Schul- und Berufskarriere entscheidend ist - und nicht die Intelligenz. Es waren ja auch die verstärkten Abgrenzungsbemühungen der Mittelklasse, die etwa die Sarrazin-Debatte als den irren Urknall der Neuen Deutschen Rechten beförderten.

Dem in der öffentlichen Debatte weit verbreiteten Zerrbild des unterprivilegierten und missachteten "Modernisierungsverlierers" als des prototypischen AfD-Wählers soll abschließend ein aus den besagten Studien und empirischen Datensammlungen entworfenes Korrekturbild entgegengestellt werden.

Der überproportional oft innerhalb der Wählerschaft der AfD anzutreffende Typus ist männlich, weiß, sexuell frustriert und unterdurchschnittlich intelligent. Er ist ein Mittelschichtsangehöriger, der seine soziale Stellung nicht wirklich erarbeitet, sondern aufgrund der hohen sozialen Schranken in der Bundesrepublik de facto geerbt hat. (Paradebeispiel dafür ist wiederum Sarrazin, der seine Karriere dem Segeln auf dem Parteiticket der SPD verdankt.) Deswegen fühlen sich AfD-Anhänger durch soziale Mobilität bedroht - und sie suchen infolgedessen in rassistischen oder kulturalistischen Überlegenheitsansprüchen oder Unvereinbarkeitsphantasien Zuflucht.

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