AfD-Parteitag: Alle Feigenblätter abgelegt

AfD-Spitzenkandidat für Europawahl, Maximilian Krah. Bild (2016): Marcus Popillius / CC BY-SA 4.0

Durchmarsch des rechtsradikalen Höcke-Flügels: AfD badet im Umfragehoch, rückt endgültig an den neofaschistischen Rand. Wähler und Medien können sie nicht mehr als eine "normale" Partei behandeln.

Das Problem in Deutschland besteht darin, dass die Dummen nicht erkennen, dass sie dumm sind.

Dieter Bohlen (zitiert am Samstag von Maximilian Krah)

Mit einem Sieg der Extremisten endete die erste Phase der Aufstellung der Listen der rechtsradikalen AfD am Wochenende: Mehr als die Hälfte der Gewählten gehört dem Lager um den thüringischen Landesvorsitzenden Björn Höcke an.

Damit zwingt die vom Bundesverfassungsschutz bereits seit Längerem als "Verdachtsfall" geführte Partei auch Öffentlichkeit und Wähler zu einer Entscheidung.

Je unappetitlicher und bekennend rechtsextrem und ohne Feigenblätter die Kandidatenaufstellung ist, umso weniger können Wähler und Medien, die AfD als eine "normale" Partei behandeln. Sich auf Ausreden wie "Protestwahl", "Wutbürger","abgehängte Schichten", "Versagen der etablierten Parteien" zurückzuziehen, geht nicht mehr.

Verschärfung, Zuspitzung, Radikalisierung.

Die Frage, ob die AfD es wirklich wissen will, entschied sich bereits in der Frage des ersten Listenplatzes an der Personalie Maximilian Krah. Die sogenannten bürgerlichen Teile der Partei trauten sich noch nicht einmal die Aufstellung eines ernsthaften Gegenkandidaten zu.

So trat nur der chancenlose Andreas Otti, Fraktionsvorsitzender in Berlin-Spandau, gegen Krah an, der bereits seit 2019 im Europaparlament sitzt – im Trachtenjanker mit Hirschhornknöpfen, als hätte er sich von einem CSU-Parteitag hierher verirrt.

Krah hatte leichtes Spiel. Zwei Drittel der Delegierten bei der AfD-"Europaversammlung" stimmten für ihn. Zugleich zeigte sich an diesem Ergebnis – das als solches gegen einen No-Name gar nicht so stark ist –, dass die Partei innerlich nach wie vor gespalten ist.

Zuvor zeigte seine Vorstellungsrede präzis, welche Art von Auftritt mit Krah nun, seinem betont bürgerlichen Auftreten zum Trotz, in der AfD die Tonlage bestimmt: Verschärfung, Zuspitzung, Radikalisierung.

Wir wollen ganz Deutschland zu einem großen Sonneberg machen. Damit wir das schaffen, müssen wir den Kurs halten, den wir letztes Jahr mit dem Parteitag in Riesa begonnen haben.

Offen spielte Krah damit auf den Sieg über die Gemäßigteren an und drohte allen, die seinen Kurs in der Partei nicht mittragen wollen.

Deutsche Sprache, deutsches Fühlen, deutsche Märchen und Lieder

Man wolle sich nicht anpassen, "nicht so eine Art Werteunion sein, sondern eine echte Alternative. Wir wollen eine Alternative sein, der Leidenschaft, des Muts und des Patriotismus. Dafür kriegt man Prozente".

Die Vorwürfe gegen ihn seien eine "Schmutzkampagne", die Krah geschickt in einen Appell an den Selbsterhaltungstrieb der Delegierten drehte:

Jeder muss sich überlegen, ob es nicht ihn auch selbst treffen kann. Ihr tretet auch für Ämter an, ihr selbst kandidiert. Wollt ihr das Opfer von anonymen Schmutzkampagnen sein? Oder ist es nicht an der Zeit, heute endlich den Dreckwerfern mal die rote Karte zu zeigen?

Dann wurde die Stimme wieder sanfter, Krah sprach vom "kleinen Glück", von Verkäuferinnen und Familien, Wählern, denen es existenziell ans Eingemachte geht. "Ich weiß, was Armut in diesem Land bedeutet, auch wenn sie mich, Gott sei Dank, nicht selbst betroffen hat. (...) Es gibt viele zerrüttete Verhältnisse in einem Land mit kultureller linker Hegemonie."

Das Geld dieser Menschen solle nicht länger ausgegeben werden "für Klima, für Gender, für Einwanderung und für Krieg".

Stattdessen: deutsche Sprache, deutsches Fühlen, deutsche Märchen und Lieder. Krahs Rechte ist völkisch-solidarisch, nicht neoliberal.

Grundsätze der Globalisierung

Auf die Dauer könnte Krah sogar für die AfD selbst ein Problem werden. Der 46-jährige Sachse, Sohn eines CDU-Politikers und selber Ex-Mitglied der CDU, hatte im Europaparlament immer wieder Ärger mit seiner (rechtsnationalen) Fraktion "Identität und Demokratie (ID)". Dabei ging es sowohl um fehlende Fraktionsdisziplin und Alleingänge, aber auch um im Raum stehende Betrugsvorwürfe.

Das Hauptproblem für die AfD aber könnte werden, dass Maximilian Krah zu intelligent ist. Zu klug für die AfD. Denn Krah ist schon deshalb ein besonders interessanter Fall, weil er die Selbstverharmlosung der AfD nicht mitmacht.

Krah nennt sich "rechts", nicht bürgerlich. Der studierte Jurist gehört mit seinen Auftritten im Götz-Kubitschek-"Institut für Staatspolitik" in Schnellroda zu den schärfsten Denkern des rechtsextremen Think-Tanks. Zudem ist einer der wenigen ist, der den Kameraden in wenigen Minuten die Grundsätze der Globalisierung erklären kann und ihnen dabei auch unbequeme Wahrheiten zumutet.

Schnittmengen mit Wagenknecht und der "alternativen Linken"

Inhaltlich ist das Meiste noch ungeklärt. Soll die EU – "Reset und Neustart, einmal Stecker ziehen, wieder reinsetzen und neues Betriebssystem aufspielen" so Krah – zu einer "Festung Europa" (Alice Weidel) umgebaut werden, oder einfach abgeschafft, wie es die eurofeindlichen neoliberalen Gründer dieser ehemaligen Professorenpartei wünschen?

Die von der AfD gern verachteten "Systemmedien" bereiteten dazu in einem handwerklich guten Phoenix-Interview dem heimlichen Parteivorsitzenden Höcke eine schöne Bühne.

Nach einem kurzen Personaleinstieg ("Ich bin da, wo die Partei mich braucht und wo ich der Partei dienen kann") fragte man ihn zunächst nach einer möglichen Zusammenarbeit mit Sahra Wagenknecht. Höckes Antwort war klar:

Es ist ja ein offenes Geheimnis, dass ich durchaus Schnittmengen sehe, gerade in der Außenpolitik mit der AfD und einer alternativen Linken. Dieser Krieg ist nicht unser Krieg. Wir müssen uns aus der Umklammerung der US-Amerikaner lösen.

Auch zur EU wurde Höcke eindeutig:

Ich bin kein Freund der Europäischen Union. Das ist eine Globalisierungsagentur, die die vielfältige europäische Kultur gleichschaltet. Diese EU muss sterben, damit Europa leben kann.

Das Ziel eines supernationalen faschistischen Europas

Nicht alle waren so freundlich wie er Interviewer der ARD.

Andere Kommentatoren scheinen aufgewacht und wurden in Bezug auf die strategische Zielsetzung der Partei auf eine Weise deutlich, wie sie in den öffentlich-rechtlichen Medien bislang nicht zu finden war:

"Die AfD geht in eine neue Phase. Sie sucht Verbündete, um die EU von innen heraus zu zerstören. Man muss es so klar sagen: Die AfD strebt angesichts des Rechtsrucks in der Gesellschaft, auch in Ländern wie Italien und Frankreich das Ziel eines supernationalen faschistischen Europas an." Deutschlandfunk

Es ist klar: Die Partei hat alle Feigenblätter abgelegt. Die AfD will es wissen. Jetzt kann die Republik es ihr zeigen.