AfD-Wahlerfolge: Warum keine Sperrklausel gegen Rechts hilft
Einstige Befürworter der Fünf-Prozent-Hürde müssen sie nun fürchten. Undemokratisch war sie schon immer. Wie sie billigen Populismus begünstigt. Ein Kommentar.
Bei den Landtagswahlen am Sonntag in Thüringen und Sachsen mussten einstige Befürworter der Fünf-Prozent-Hürde plötzlich selbst vor dieser undemokratischen Sperrklausel zittern – die Grünen schafften in den Thüringen den Wiedereinzug nicht, die FDP flog gleich aus beiden Landtagen. Ihre Ergebnisse waren so schlecht, dass sie in den Nachrichten nicht einmal mehr aufgelistet wurden.
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Dabei wollten die Ampel-Parteien auf Bundesebene die Fünf-Prozent-Hürde sogar verschärfen, nachdem die Partei Die Linke 2021 dank dreier Direktmandate mit 4,9 Prozent trotzdem den Wiedereinzug in den Bundestag geschafft hatte.
Dergleichen sollte nach der 2023 beschlossenen Wahlrechtsreform nicht mehr möglich sein: Die sogenannte Grundmandatsklausel wurde per Mehrheitsbeschluss der Ampel-Parteien gestrichen, gilt aber inzwischen wieder.
Dies hat das Bundesverfassungsgericht Ende Juli entschieden, nachdem sich sowohl Die Linke als auch die CSU, die nur in Bayern antritt und bundesweit im einstelligen Bereich liegt, an das höchste deutsche Gericht gewandt hatten. Zudem hatte der Verein Mehr Demokratie e.V. mit einer Klage von 4242 Wahlberechtigten organisiert.
Mehr Sitze für starke Rechte durch Ausgrenzung Schwächerer
Ein beliebtes Argument für die Fünf-Prozent-Hürde war einst, dass sie die "extremen Ränder" von den Parlamenten fernhalte. Inzwischen ist klar, dass dies nicht für Rechtsextreme gilt: Wer in einem gut ausfinanzierten Wahlkampf auf billigen Populismus gegen Minderheiten und Ängste vor unbequemen Klimaschutzmaßnahmen setzt, muss in Deutschland gerade in Krisenzeiten keine Angst vor der Fünf-Prozent-Hürde haben.
Denn es sind weit mehr als fünf Prozent, die davon träumen, dass Deutschland sich als Insel der Glückseligkeit gegen alles Elend der Welt abschotten kann, indem es keine Migration mehr zulässt, und gegen den ökologischen Kollaps, indem es die Gefahr so lange wie möglich nicht zur Kenntnis nimmt. So konnte die in Teilen rechtsextreme AfD in Thüringen stärkste und in Sachsen zweitstärkste Kraft werden.
In Thüringen hat sie sogar eine Sperrminorität erreicht und kann damit Entscheidungen blockieren, die eine Zweidrittelmehrheit erfordern. Die CDU grenzte sich im Wahlkampf eher formell als inhaltlich von ihr ab.
Die AfD profitiert sogar von der Sperrklausel, wenn andere Parteien nicht mehr im jeweiligen Parlament vertreten sind und sie dadurch mehr Sitze bekommt.
Linke in Sachsen nur knapp eingezogen
Auch Die Linke hätte es in Sachsen beinahe nicht geschafft, konnte aber dank zweier Direktmandate wieder in den Landtag einziehen, obwohl sie an der Fünf-Prozent-Hürde scheiterte. Nachdem die Partei dort über viele Jahre nur ein Direktmandat für sich verbuchen konnte, schaffte es der politische Newcomer Nam Duy Nguyen in seinem Leipziger Wahlkreis, mit fast 40 Prozent der Stimmen ein zweites Direktmandat für Die Linke zu gewinnen.
Auf Bundesebene fühlten sich die Ampel-Parteien sicher genug, um die Fünf-Prozent-Hürde mit einer undemokratischen Wahlrechtsreform zu verabsolutieren. Sie wären Die Linke nur allzu gern losgeworden und werden das möglicherweise im Bundestag auch. Aber sie könnten dann selbst mit verkleinerten Fraktionen einer starken Rechten gegenüber stehen.
Aus demokratischer Sicht war es immer schon ein Problem, dass die Stimmen von "Gewohnheitstieren" und taktischen Wählern des "kleineren Übels" unter den "großen" Parteien mehr Gewicht haben als die von Menschen, die sich mehrere Wahlprogramme genau anschauen, nach der größten inhaltlichen Übereinstimmung suchen und deshalb auch Kleinparteien eine Chance geben wollen.
Billiger Populismus kommt immer über fünf Prozent
Sie informieren sich vermutlich besser als der Durchschnitt der Wahlberechtigten, werden aber durch die Sperrklausel als irrelevante Exoten abgetan, die keine Repräsentation verdienen.
Parteien, die sich weigern, einfache Lösungen im Sinne von "Das Problem sind die Migranten, Grenzen dicht", oder Scheinlösungen – im Sinne von "das Problem gibt es nicht", siehe Klimawandel – zu propagieren, haben es schwer genug gegen Rechtspopulisten, die den Traum von der heilen Welt durch Abschottung und Umweltignoranz verkaufen.
Die Fünf-Prozent-Hürde jedenfalls stärkt aktuell sicher nicht das "demokratische Spektrum". Sie grenzt nicht "Extremisten" aus, sondern im Zweifel nur Schwächere, die dann weniger Möglichkeiten haben, ihre Argumente vorzubringen. Sie ist von Grund auf undemokratisch und gehört abgeschafft.