AfD: Zurück in die Nationalstaaterei

Seite 2: Wirtschaftsliberales Programm mit nationalistischer Prägung

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Wenn man den Saal betritt, hat man den Eindruck, auf einer Ü-50 Versammlung zu sein. Nur etwa ein Viertel der Delegierten scheint die Lebensmitte noch nicht erreicht zu haben. Viele tragen Anzug, die älteren Damen sind schick gekleidet.

Eigentlich erwartet man angesichts des Alters der Anwesenden, dass sie schon politische Erfahrungen in anderen Parteien gesammelt haben. Bei etlichen trifft dies auch zu. Einige Kandidaten erwähnen bei ihrer Vorstellung, dass sie vorher Mitglied in einer anderen Partei gewesen seien. Die meisten wechselten von der CDU und der FDP zur AfD. Gründe für die Übertritte: Vor allem die Eurokrise, danach folgen die Flüchtlingskrise und allgemeine Unzufriedenheit mit der Entwicklung der Volksparteien, und ein von vielen empfundenes Vordringens des Islam in der Gesellschaft. Sowie eine ausgeprägte Ablehnung der Übertragung von Souveränitätsrechten an die Europäische Union.

Sozialdemokraten. die zur AfD gewechselt sind, finden sich kaum. Guido Reil, Bergmann und Mitglied der IG Bergbau und Energie, ist eine Ausnahme. Ausgerechnet Reil, der Malocher aus dem Ruhrgebiet, der nach eigenen Aussagen in seinen Vorträgen im Internet mit Anzugträgern in der SPD nie viel anfangen konnte, soll jetzt zusammen mit Uwe Witt, der früher Geschäftsführer eines Unternehmens war und etwas hemdsärmelig und leger in Boss-Lederjacke und Jeans auftritt, einen AfD-nahen Arbeitnehmerflügel aufbauen. Reil soll im Landtagswahlkampf der SPD im Ruhrgebiet Arbeiterstimmen abjagen.

Die Herren in der AfD wollen zurück zu einer Marktwirtschaft á la Ludwig Erhard. Seltsamerweise wurde bei Kandidatenvorstellungen des öfteren Bertolt Brecht zitiert, was ziemlich deplaziert wirkte.

Gebetsmühlenartig wird wiederholt, dass der Mittelstand die tragende Säule der deutschen Wirtschaft sei und Deutschland das Land der "Tüftler und Denker". Das Wahlprogramm der Alternative für Deutschland (AfD) für die im Sommer 2017 stattfindende Landtagswahl in NRW liest sich im Wirtschaftsteil wie ein liberales Programm mit nationalistischer Prägung. Förderung des Mittelstandes, der Handwerker und kleinen Unternehmer, der bäuerlichen Landwirtschaft.

Es ist die Rede von fünf Millionen Arbeitslosen in ganz Deutschland, die man wieder in Lohn und Brot bringen wolle. Außerdem ist man für die Abschaffung der Zeitarbeit und Leiharbeit. Wie man mit einem Mittelstandsförderungsprogramm allerdings Arbeitsplätze für eine solch große Anzahl von Menschen gerade in einem Bundesland, das von Großindustrie geprägt war, erklärt die Partei nicht.

Kein Anliegen ist ihr dagegen der Klimaschutz. Viel zu teuer und unnötig, befindet sie. Gebäudedämmung? Bauökologischer Unsinn, Windparks: Nein danke.

Viel Neues fällt ihr auch nicht zur Entwicklungspolitik ein, aber sie verpackt es in vorgeblich altruistische Formulierungen. Es wäre ungerecht, den Brain Drain aus Afrika nicht zu stoppen. Man wolle durch gezielte Maßnahmen Anreize dafür schaffen, dass die jungen Menschen in ihren Ländern bleiben und nicht die gefährliche Flucht nach Europa antreten müssten. Das sind Krokodilstränen. Denn nichts anderes tut die deutsche Entwicklungspolitik seit Jahren.

Frauen und Deutsche mit Herz für Migranten haben keine Chancen auf vordere Listenplätze

Die Delegierten wählen deutsche Männer ohne Migrationshintergrund. Ein jüngerer Kandidat mit spanischer Mutter und deutschem Vater, der acht Jahre lang in der Bundeswehr gedient hat und in Afghanistan war, erinnert daran, dass nicht nur Heinz und Luise, sondern auch Mehmet und Fatima in das deutsche Sozialversicherungssystem eingezahlt hätten. Der Mann ist sogar Mitglied des Tagungspräsidiums, aber auf der Liste will man ihn offenbar nicht.

Auch Bewerbungen von Frauen auf "sichere" Listenplätze (Plätze die berücksichtigt werden, wenn eine Partei über die 5 Prozent-Hürde kommt), sind weitgehend chancenlos und werden reihenweise nach hinten durchgereicht. Erst ab Listenplatz 11 stellen sich überhaupt Frauen zur Wahl. Die erste Frau steht auf Platz 23. Eine ältere Delegierte vermutet, dass die Frauen wohl erst mal die erste Bundestagswahl abwarten würden. Der Umgangston der sogenannten "Altparteien" mit den Bundestagsneulingen werde sicher erst mal recht rau sein, das sei ja normal, und die Damen wollten vielleicht abwarten, bis sich das legt.

Eine kämpferische Kandidatin, die sich als "stolze Deutsche kurdischer Abstammung" bezeichnet und engagiert gegen Kinderehen und für Frauenrechte kämpft, ist genauso chancenlos.