AfD bestellt, CSU liefert und erntet öffentlichen Gegenwind
Die CSU-Granden Seehofer, Söder und Dobrindt schwenkten in letzter Zeit verbal und in ihren Forderungen immer mehr auf den zuwanderungsfeindlichen Kurs der AFD ein. Das ruft in Bayern öffentlichen Protest hervor, der wiederum die CSU verärgert
Den politischen Leitfiguren der CSU und insbesondere Horst Seehofer schlägt mittlerweile nicht nur scharfe Kritik aus der bürgerlichen Öffentlichkeit entgegen, sondern auch aus den eigenen Reihen melden sich immer mehr CSU-Stimmen, die Seehofers Agieren in Bezug auf den Umgang mit Flüchtlingen in Frage stellen. Nicht nur Erwin Huber wagt sich aus der Deckung und äußert sich "verwundert und befremdet über Seehofers Agieren".
Innerparteiliche Opposition beginnt sich zu formieren: "... eine von liberalkonservativen CSU-Mitgliedern sowie Amts- und Mandatsträgern gemeinsam mit Gleichgesinnten aus der CDU gegründete Initiative 'Union der Mitte' hat seit dem Flüchtlingsstreit der Schwesterparteien regen Zulauf. Die Vereinigung ist in den letzten drei Wochen auf rund 1.200 Unterstützer angewachsen." Der Präsident des deutschen Anwaltsvereins, Ulrich Schellenberg, attestiert Seehofer "ein gebrochenes Verhältnis der CSU zum Recht".
Befeuert wurden die immer vernehmbarer zu Wort sich meldenden unteren CSU-Ränge zudem noch durch die Resultate einer aktuellen "Kontrovers"-BayernTrend Sonntagsumfrage vom 18. Juli 2018 des Bayerischen Rundfunks, die der CSU für die bevorstehenden Landtagswahlen den Verlust der absoluten Mehrheit vorhersagt: "Wenn am Sonntag Landtagswahl wäre, käme die CSU laut einer repräsentativen infratest-dimap-Umfrage des BR-Politikmagazins 'Kontrovers' auf 38 Prozent. Das sind 3 Prozentpunkte weniger als im Mai - und ein historischer Tiefstand im BayernTrend. Die CSU verliert demnach gegenüber Mai insbesondere Rückhalt bei älteren Wählern und bei Frauen."
Das wiederum ist Anlass für ein erneutes Aufschäumen der schon lange köchelnden Gegnerschaft zwischen Seehofer und Söder:
Erst rückt Söder von Seehofer ab, als leide der an einer fiesen, ansteckenden Krankheit. Nun erinnert Seehofer seinen Nachfolger Söder maliziös an das Ergebnis der letzten Landtagswahl - also an jene absolute Mehrheit, die Söder höchstwahrscheinlich verfehlen wird. Und Dobrindt schweigt, als habe er mit der krachend gescheiterten Hetzkampagne nichts, aber auch gar nichts zu tun.
"Feind, Todfeind, Parteifreund, SZ vom 20. Juli 2018, S. 4
CSU vereint gegen unbotmäßige Theateerintendanten
Wenn's im Partei-Getriebe knirscht, muss ein äußerer Gegner her, um von den eigenen Querelen abzulenken, und der findet sich im Handumdrehen in Gestalt zweier Münchner Theater-Intendanten. Matthias Lilienthal von den Kammerspielen und Christian Stückl vom Volkstheater hatten mit rund 130 anderen Organisationen zu der Demonstration aufgerufen, die sich auch gegen die Flüchtlingspolitik der CSU und gegen Bundesinnenminister Horst Seehofer, Ministerpräsident Markus Söder und CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt richtet.
Beide Theater, so der zweite Münchner CSU-Bürgermeister Josef-Schmid, "hätten die Neutralitätspflicht für städtische Einrichtungen verletzt", deshalb sollte den beiden Theatern vom Oberbürgermeister Dieter Reiter verboten werden, "gegen die Christsozialen zu demonstrieren".
Schützenhilfe erhielten die beiden Theaterchefs sogleich vom Intendanten des staatlichen Residenztheaters Martin Kušej: "Es kann nicht sein, dass den Kollegen 'dienstaufsichtsrechtliche Maßnahmen' drohen, weil sie eine Demonstration unterstützen, die unter anderem die Werte unserer demokratischen Grundordnung stärken möchte". Auch Bernhard Purin, Direktor des Jüdischen Museum, schloss sich an. Er könne nicht hinnehmen, dass Grundrechte in Frage gestellt werden. Zu der Veranstaltung hat eine umfangreiche Liste von den Aufruf unterstützenden Organisationen aufgerufen. Etliche bekannte Gesichter wie Luise Kinseher, Urban Priol, Claus von Wagner, Friedrich Ani, Max Uthoff oder Willy Astor und Bands wie Schlachthofbronx, Hochzeitskapelle, G. Rag & die Landlergeschwister, Django 3000 oder Dreiviertelblut" beteiligten sich an ihr.
Kritik an der Verrohung der Sprache und Einengung der Politik auf Flüchtlingsthema
Beklagt wird von den Planern und Unterstützern nicht nur die Verrohung der Sprache, die auf der Befürchtung gründet, diese müsse als Vorstufe zu hassgeleiteten zukünftigen Gewaltaktionen bewertet werden, was auch Kanzlerin Merkel mit ihrer Auffassung bestätigt, die auf ihrer Bundespressekonferenz meinte, "... Denken, Reden und Handeln stehen in einem engen Zusammenhang". Gefordert wird von den Veranstaltern, dass die Politik nicht Angst und die Spaltung in der Gesellschaft verstärken dürfe, sondern sich mit den Themen befassen müsse, die die Menschen wirklich betreffen", darunter Bildung, gerechter Welthandel, Pflegenotstand, Altersarmut, prekäre Arbeitsverhältnisse, bezahlbarer Wohnraum, gerechter Mindestlohn, Gleichberechtigung unabhängig von sexueller Orientierung und geschlechtlicher Identität.
Demgegenüber scheint sich die CSU-Spitze mit ihrer politischen Schwerpunktfestlegung auf die Flüchtlingsthematik an einer gesellschaftlichen Mehrheitsauffassung zu orientieren. Dazu sagte der Geschäftsführer des Markt- und Sozialforschungsinstituts Insa-Consulere Hermann Binkert, dessen Meinungsforschungsinstitut eine Nähe zur AfD nachgesagt wird, über eine im Auftrag der Cicero-Redaktion durchgeführte Umfrage: "Die Zuwanderung ist nach wie vor das wichtigste Thema für die Mehrheit der Deutschen. Dass sie darüber hinaus auch erwarten, in anderen Politikfeldern gut regiert zu werden, widerspricht dem nicht. Auch diejenigen, die mit dem Kurs der Bundesregierung in der Asylfrage nicht einverstanden sind, haben Angst vor Altersarmut und sind für eine gute Bildungspolitik. Es wäre ein schlimmer Fehler, wenn man die Kritik der Bevölkerungsmehrheit an der Asylpolitik nicht ernst nähme."
Nach dieser Umfrage sei für 65% der Deutschen die Migrationsproblematik das derzeit wichtigste politische Thema. Nicht alle der darunter fallenden Deutschen dürften jedoch mit den Aktivitäten der CSU-Spitze einverstanden sein. Die Veranstalter und Unterstützer der #ausgehetzt-Aktion repräsentierten der Insa-Umfrage zufolge also lediglich eine Minderheitsmeinung.
Konkurrenz kann sich nur unter Gleichen abspielen
Wie dem auch sei: Gut regiert werden wollen also die Bürger, die mehrheitlich dem CSU-Vorgehen zustimmen. Doch auch den #ausgehetzt-Aktivisten ist dieser Wunsch vertraut, sonst würden sie von der CSU ja nicht verlangen, sie möge sich lieber um die ihnen eben wichtigeren sonstigen sozialen Problemfelder kümmern, statt Angst vor Flüchtlingen zu verbreiten. Die Frage, weshalb die CSU (und nicht nur die - wie steht's mit der AfD?) stattdessen lieber die Angst der Bürger vor den Flüchtlingen anstachelt, ist damit nicht einmal aufgeworfen.
Der CSU-Führung wird die Konzentration auf die Flüchtlingsthematik allgemein gern als (vor)wahltaktisches Manöver unterstellt. Die CSU befürchte demnach, Wähler an die AfD zu verlieren, die in der Flüchtlingsfrage eine radikal repressive Haltung vertritt und damit bei beträchtlichen Teilen der CSU-Wählerschaft zu punkten versucht. Wenn das so ist, was qualifiziert die "Christlich Soziale Union" und die "Alternative für Deutschland" eigentlich dazu, als politische Konkurrenten aufzutreten? Konkurrenz kann sich immer nur unter Gleichen abspielen. Was läge also näher, als das Identische der beiden Parteien, nämlich deren beiden gemeinsame nationalistische Grundhaltung einer genaueren Überprüfung zu unterziehen und daraus Konsequenzen im Hinblick auf die Erwartungen, die man beiden Parteien und insbesondere der CSU entgegenbringt, zu ziehen!
Ginge die Politik der CSU etwa vollkommen in Ordnung, würde sie sich den Flüchtlingen gegenüber nur etwas netter aufführen? Eine mögliche Antwort darauf gibt ein Till Hoffmann aus dem Unterstützer-Bündnis der Veranstaltung, der einen "Club der Unterstützer" für von der CSU enttäuschte Parteigängerins Leben gerufen hat: "Wir rufen alle verbleibenden demokratischen Kräfte Bayerns auf, die Wähler zur Landtagswahl zu mobilisieren, um eine menschenwürdige Politik wiederherzustellen." Wiederherstellen heißt, einen Zustand zurückholen, den es schon einmal gegeben hat. Kritik an der nationalistischen Grundhaltung der CSU als gemeinsame Schnittmenge mit der AfD ist in einem derartigen Ansinnen anscheinend nicht vorgesehen.
Breites Bündnis setzt symbolisches Zeichen, das die Politik kaum verändern wird
Das Motto der Veranstaltung, deren Demonstrationszüge trotz anfänglich strömenden Dauerregens von verschiedenen Orten der Münchner Innenstadt ihren Ausgang nahm und zum Königsplatz führte, stand unter dem Motto "#ausgehetzt: Gemeinsam gegen die Politik der Angst" und brachte zwischen 25.000 und 50.000 Bürger auf die Beine, die den Königsplatz am Ende fast vollständig gefüllt hatten (Nicht "Mia san Mia", sondern "Mia san mehr".
Was sind die Chancen eines derart breiten Bündnisses von zuletzt mehr als 140 unterstützenden Organisationen? Es bietet den unterschiedlichsten Gruppierungen und Parteien die Möglichkeiten, sich in der Öffentlichkeit zu positionieren, ungeachtet aller doch ziemlich voneinander abweichenden Programmatiken und Zielsetzungen. Die öffentliche Wahrnehmung der einzelnen Teilnehmergruppen beschränkt sich im Rahmen einer für Münchner Verhältnisse doch ziemlich großen Veranstaltung allerdings lediglich auf deren namentliche Nennung in der Unterstützerliste, ansonsten treten sie als Teil der Demonstration eher marginal in Erscheinung und hinterlassen demnach auch in der medialen Berichterstattung kaum Spuren.
Voraussetzung für die Teilnahme an einem solch breit gestreuten Vorhaben ist die Einigung auf einen gemeinsamen Nenner, der auch in diesem Fall ein nur sehr allgemeiner sein konnte. Es sollte damit "ein Zeichen gegen den massiven Rechtsruck in der Gesellschaft, den Überwachungsstaat, die Einschränkung unserer Freiheit und Angriffe auf die Menschenrechte" in der Öffentlichkeit gesetzt werden, mehr aber auch nicht. Ein Zeichen setzen zu wollen bedeutet: "Achtung, es besteht ein Dissens zwischen euch da oben und uns hier unten! Wir lehnen euer Ansinnen und eure Handlungen ab und bringen unsere Ablehnung öffentlich zum Ausdruck!"
Eine praktische Eingriffsmöglichkeit in die Entscheidungsbefugnis der Regierenden ist damit allerdings weder zu erzielen noch überhaupt beabsichtigt. Die Regierenden lassen sich von einer Großveranstaltung wie dieser vielleicht beeindrucken, Wirkungen auf deren politische Entscheidungen sind aber eher nicht zu erwarten (siehe Verabschiedung des PAG unmittelbar nach der letzten großen NoPAG-Demo in München). Durch symbolischen Protest lassen sich Herrschaften von ihren Regierungsgeschäften ohnehin generell nicht abhalten. Sie sind schließlich vom Wähler dazu ermächtigt worden, ihre Politik "im Dienste des Gemeinwesens" auch gegen Minderheitenauffassungen durchzusetzen.
Eine erfolgreiche Aktion mit größerer Medienresonanz kann Bürger aber dazu veranlassen, ihr bisheriges Politikverständnis zu hinterfragen. Ob sie letztlich praktische Konsequenzen daraus ziehen werden, hängt davon ab, ob es gelingt, dem erwachten Interesse ein organisiertes Betätigungsfeld zu erschließen. uber
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