Afghanistan: Brutale CIA-Schattenmilizen
Der Westen und seine afghanischen Verbündeten töten mehr Zivilisten, als dies Taliban und IS machen
Seit Kurzem ist es mehr oder weniger offiziell: In Afghanistan werden in diesen Tagen mehr Zivilisten durch Angriffe des US-Militärs und ihrer afghanischen Verbündeten getötet als durch Taliban und IS. Zu diesem Schluss kommt der Bericht von UNAMA (United Nations Assistance Mission in Afghanistan). Demnach wurden zwischen Januar und März mindestens 1.773 Zivilisten getötet oder verletzt.
Die UN berichtet von mindestens 305 Todesopfern, die durch US-Truppen, afghanische Armee oder CIA-Milizen verursacht wurden. Die Taliban und andere aufständische Gruppierungen verursachten im selben Zeitraum mindestens 227 Todesopfer.
Insgesamt und im Vergleich zum Vorjahr ging die Anzahl der zivilen Opfer um 23 Prozent zurück. Außerdem handelt es sich um einen Quartalstiefstand seit 2013. Als Grund hierfür nennt UNAMA die Abnahme von Selbstmordanschlägen in Großstädten wie Kabul. Hinzu kommt, dass laut der Organisation unklar ist, ob einige Kriegsparteien verantwortungsvoller im Umgang mit Zivilisten geworden sind. Die UN-Zählung findet seit 2009 statt.
Doch gleichzeitig ist die Anzahl der Opfer, die durch Regierungstruppen und US-Militär verursacht wurden, im Vergleich zum Vorjahr um 39 Prozent gestiegen.
Allein durch Luftangriffe, ausgeführt von konventionellen Kampfjets und Drohnen, wurden mindestens 140 Zivilisten getötet. Eine eskalierende Rolle spielen auch nächtliche Razzien, die nicht nur von US-Soldaten und der afghanischen Armee ausgeführt werden, sondern auch von brutalen CIA-Milizen, die im Laufe des Krieges geschaffen wurden.
Beispiele hierfür sind die sogenannte 02-Einheit, die vor allem in der Provinz Nangarhar aktiv ist, sowie die Khost Protection Force (KPF) in der gleichnamigen Provinz im Osten des Landes.
Für langjährige Beobachter des Konfliktes sind die Zahlen alles andere als überraschend. Nicht nur in den letzten Monaten, sondern auch im Jahr 2017 und 2018 nahmen die "Anti-Terror"-Operationen der verantwortlichen Akteure massiv zu, sodass man mit der Zählung von Opfern kaum noch hinterherkommen konnte. 2018 warf das US-Militär so viele Bomben über Afghanistan ab wie noch nie zuvor.
Im Oktober interviewte ich mehrere Opfer einer Razzia, die im Distrikt Rodat in der Provinz Nangarhar stattgefunden hatte. In jener Nacht wurden 14 Zivilisten, darunter mehrere Kinder, im Dorf Shaheedanu Meena getötet. Von der Regierung wurden alle Opfer als "IS-Terroristen" abgestempelt.
Die 02-Einheit, die KPF und die CIA-Ausbildung
Während der Interviews betonten die Dorfbewohner, dass derartige Razzien mittlerweile zum Alltag gehören würden. Verantwortlich für die Operationen war die erwähnte 02-Einheit, die vom afghanischen Geheimdienst NDS befehligt und von der CIA unterstützt und ausgebildet wird. Da das Zentrum der Miliz der Flughafen von Dschalalabad ist, agiert sie vor allem in der Provinz Nangarhar und hat dort mittlerweile einen berühmt-berüchtigten Ruf erlangt.
Eine Miliz, die womöglich sogar um einiges brutaler vorgeht, ist die Khost Protection Force (KPF), die in der CIA-Basis Camp Chapman ausgebildet wird. Gegenwärtig kontrolliert die KPF weite Teile der Provinz Khost und ist ein wichtiges Werkzeug des amerikanischen "Anti-Terror-Kampfes" nahe der afghanisch-pakistanischen Grenze. Zu den Aufgaben der Miliz gehören nicht nur ebenjene Hausrazzien, die oftmals auch gemeinsam mit US-Soldaten durchgeführt werden, sondern auch die Koordination von Drohnen-Angriffen sowie die Jagd auf Journalisten und Menschenrechtsaktivisten.
In diesem Kontext sollte auch beim jüngsten UNAMA-Bericht nicht außer Acht gelassen werden, dass die Organisation eine sehr konservative Methodik verfolgt. Demnach werden mindestens drei verschiedene Quellen benötigt, um ein einzelnes ziviles Opfer zu bestätigen. In vielen abgelegenen Regionen Afghanistans ist dies allerdings kaum möglich.
Die meisten Schauplätze von Luft- und Drohnen-Angriffen sowie isolierte Dörfer, die das Ziel von CIA-Schattenmilizen sind, werden nur äußerst selten von Journalisten und Menschenrechtsorganisationen besucht, geschweige denn von westlichen.
Währenddessen ist das genaue Gegenteil in Großstädten wie Kabul der Fall, die oftmals zum Ziel von Selbstmordanschlägen und anderen Attentaten werden. Das konträre Verhältnis der Quellenlage ist demnach ein Problem, das sich in den meisten Berichten widerspiegelt.