Afghanistan-Einsatz: Ex-Soldaten für Trauerfeier statt Heldengedenken
Der Große Zapfenstreich soll am 31. August stattfinden - womöglich auf der Wiese vor dem Reichstagsgebäude. Kritik gibt es auch am Ausblenden der zivilen Opfer
Grünen-Chef Robert Habeck sieht es ähnlich wie einige Unions-, FDP- und SPD-Politiker sowie der Bund Deutscher Einsatzveteranen: Der knapp 20-jährige Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr soll mit einer Zeremonie vor dem Reichstagsgebäude gewürdigt werden. "Der Platz vor dem Reichstagsgebäude ist der richtige Ort, um den Soldatinnen und Soldaten Dank und Ehrung zuteilwerden zu lassen", sagte Habeck am Montag der Deutschen Presse-Agentur. Die Bundeswehr sei eine Parlamentsarmee, betonte er. "Daher erscheint es mir angemessen, ihnen allen vor dem Bundestag zu danken", so Habeck. Er wisse auch aus Gesprächen mit dem Bundeswehrverband, dass dieser Wunsch vorhanden sei.
Oberstleutnant a. D. Jürgen Rose hält das für keine gute Idee: "Angemessen wäre eine Trauerfeier für alle Toten, auch für die zivilen Opfer in Afghanistan", sagte er am Montag gegenüber Telepolis. Auch eine Entschuldigung aller politisch Verantwortlichen, angefangen bei Altbundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) und seinen Koalitionspartnern zu Beginn des Einsatzes - den Grünen - fände er angemessen. Er selbst habe schon im Oktober 2001 gesagt: "Das ist nicht mein Krieg, Herr Schröder." Letztendlich hat Rose als Soldat der Bundeswehr aus Gewissensgründen die Beteiligung am Tornado-Einsatz in Afghanistan verweigert.
Als Sprecher der kritischen Soldatenvereinigung Darmstädter Signal gab er für den Einsatz Prognosen ab, die er schon lange bestätigt sieht: Das Land versinkt in Gewalt und Chaos. "Man kann nicht vorgehaltenem Colt Menschenrechte, Frauenrechte und Demokratie oder die freie Marktwirtschaft erzwingen oder mit Waffengewalt Nation Building betreiben", ist Rose überzeugt. Die Mission sei von Anfang an zum Scheitern verurteilt gewesen - das habe er auch deshalb gewusst, weil er den Nahen und Mittleren Osten in den 1980er-Jahren bereist habe.
Seit Beginn der US-geführten Nato-Intervention "Operation Enduring Freedom" im Jahr 2001 sind mindestens 47.000 afghanische Zivilpersonen durch Kriegshandlungen umgekommen. "Eine Trauerfeier müsste auch für sie und nicht nur für die 'gefallenen Helden' anberaumt werden", sagt Rose. Jedenfalls sollten "nicht die Uniformträger im Mittelpunkt stehen".
Gefallene, Unfälle, Suizide
Insgesamt starben im Afghanistan-Einsatz 59 deutsche Soldaten - davon sind 35 im militärischen Sinne gefallen. In der Statistik sind "auch Unfälle oder natürliche Todesfälle enthalten", wie der Bundeswehr-Blog Augen geradeaus schreibt. Allerdings hatte eine Sprecherin des Verteidigungsministeriums gegenüber der Bild im Jahr 2018 auch vier Suizide deutscher Soldaten seit Beginn der Mission in Afghanistan eingeräumt. Suizide unter ehemaligen Soldaten würden allerdings nicht statistisch erfasst.
Soweit bekannt, plant das Verteidigungsministerium den Großen Zapfenstreich für den 31. August. Strittig ist nur, ob er im "Bendlerblock", also auf dem Gelände des Ministeriums stattfinden soll oder im öffentlichen Raum, wie der Vorsitzende des Bundes Deutscher Einsatzveteranen, Bernhard Drescher, dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) forderte: "Da kommt nur die Wiese vorm Reichstagsgebäude in Betracht."
Habeck begründet das so: "Es ist der Bundestag, der über die Einsätze entscheidet, in denen die Soldatinnen und Soldaten ihr Leben riskieren, weil Deutschland seine Verantwortung in der Welt wahrnimmt."
Das Kunduz-Massaker als Wendepunkt
Nach Einschätzung von Major a. D. konnte diese Wahrnehmung in Afghanistan spätestens 2009 nicht mehr geteilt werden, nachdem der damalige Bundeswehr-Oberst Georg Klein einen den Befehl zum Luftangriff bei Kunduz mit mehr als 100 Toten gegeben hatte. Die zivilen Opfer des Angriffs hatten sich im Schlamm feststeckenden Tanklastern genähert, um Treibstoff abzuzapfen. Der später zum General beförderten Oberst Klein habe allerdings hochrangige Taliban unter den Anwesenden vermutet. Nach diesem Massaker hatten sich laut Pfaff erst wesentlich mehr Menschen den Taliban zugewandt als zuvor. Die Zeiten, in denen Deutsche in der Region nur mit "Brunnen bohren und Schulen bauen" in Verbindung gebracht wurden, seien vorbei gewesen, sagt Pfaff, der sich ebenfalls beim Darmstädter Signal engagiert.
Der Journalist und Ex-Soldat Daniel Lücking würde ein einseitiges Gedenken an die Toten der Bundeswehr vor dem Reichstag sogar als "rechten Aufmarsch" bezeichnen. "Gern wird verschwiegen, dass auch Deutsche Kriegsverbrechen in Afghanistan begangen haben könnten sowie der Fakt, dass Deutsche dort auch zahlreich töteten", kommentierte Lücking die Forderung nach einem solchen Ritual im Neuen Deutschland. Der frühere Oberleutnant war von 2005 bis 2008 mehrfach in Afghanistan.
Am 30. Juni dieses Jahres sind die letzten Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr aus Afghanistan zurückgekehrt. Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) hatte sie bei der Landung im niedersächsischen Wunstorf nicht persönlich begrüßt und sich damit Kritik eingehandelt. Sie will damit aber nur dem Wunsch der Truppe nach einer "stillen Rückkehr" entsprochen haben - sie hätten so schnell wie möglich zu ihren Familien gewollt, hieß es. Die Ministerin versprach jedoch: "Wir werden den Einsatz entsprechend würdigen - und zwar für alle, die in Afghanistan waren."