Afghanistan: Kriege ohne Ende, ohne Sieger
Seite 2: Perspektiven
Solange der Regierung in Kabul, aktuell mit Ashraf Ghani an der Spitze, nicht "der Stecker gezogen" wird, bleiben wohl im Großen und Ganzen die Verhältnisse wie sie sind. Keiner der entscheidenden äußeren Akteure hat Interesse an einer zweiten Machtübernahme der Taliban, im Gegenteil, sie stehen einer solcher Option fast ausnahmslos extrem negativ gegenüber. Von Bedeutung ist auch, dass für die nicht paschtunische Bevölkerung Afghanistans, mehr als der Hälfte, dies eine völlig undenkbare Option ist.
So wird es beim Zustand, der seit 2005 anhält, bleiben. Damals zerschlug sich die Hoffnung auf Frieden und Entwicklung, fast zwangsweise begann danach der Wiedererstarken der Taliban. Resultat ist ein nun über 15 Jahre anhaltender Konflikt niedriger Intensität, der mehr den Revierkämpfen verschiedener krimineller Kartelle ähnelt als einem Konflikt zweier klar umrissener Lager.
Der wirtschaftliche Aspekt des Bürgerkriegs ist von überdurchschnittlich großer Bedeutung, seit Wiederaufflammen der Kämpfe 2005 ist es der wichtigste Aspekt von allen. Vor allem dieser Umstand macht die Lösung schwierig, für alle afghanischen Protagonisten (nicht jedoch für das Gros der Bevölkerung natürlich) bedeutet Frieden das Wegbrechen der Existenzgrundlage.
Gleichzeitig ist das Land, das nie in seiner Geschichte ein zentral geführter Staat war, in seine ethnischen und regionalen Einzelteile zerfallen und wird in diesem fragmentierten Zustand ähnlich wie Somalia wohl Jahrzehnte verharren.
Heilsbringer China?
Die Regierung in Beijing wird sich nicht einbilden, das Patentrezept zur Lösung eines Konfliktes im Ärmel zu haben, an dem bisher jeder, ob Afghane oder Fremdmacht, gescheitert ist. Ziel wird zuerst Schadensbegrenzung sein, dann eine langsame Stabilisierung und später eine noch langsamere Verbesserung. Der Führung um Xi Jinping wird bewusst sein, dass es unerlässlich ist, die Rivalen Saudi-Arabien/Iran und Pakistan/Indien davon abzuhalten, Afghanistan weiter für eigene Ziele zu ge- und missbrauchen und sich gegenseitig dort zu bekriegen - dies gilt im weiteren Sinn genauso für die Rivalität von Russland und den USA und natürlich Chinas eigene Probleme mit den USA und Indien.
Dies ist so schwierig und komplex wie die verschiedenen Bürgerkriegsparteien zum ernsthaften Verhandeln zu bewegen. Die Nachrichten aus Afghanistan werden deshalb wohl noch länger die gleichen bleiben. Angesichts der Umstände ist dies jedoch das Höchste, was man zurzeit realistisch für das Land erwarten kann.
Die Hinterlassenschaft des Westens
Das "Erbe" der Amerikaner wird wohl ähnlich schnell verblassen wie das der Sowjets. Tatsache ist, dass kaum ein anderes Land in Asien so resistent gegen äußeren Einfluss ist wie Afghanistan. Die Gründe dafür sind kaum erforscht.
Nach 20 Jahren ISAF bleibt in Kabul außer einem ungelösten Bürgerkrieg mit Zehntausenden Opfern und vieler gebrochener Versprechen vor allem eine riesige Enttäuschung. Eine ernsthafte Analyse der Frage, wie es nach dem hoffnungsvollen Aufbruch nach dem Sturz der Taliban am 14. November 2001 dazu kommen konnte, wird es auf afghanischer Seite trotzdem nicht geben.
Auch in den USA, in Deutschland und anderswo interessiert es nur noch ein paar Historiker und Politikwissenschaftler wie diese historische Chance verpasst wurde. Afghanistan wird aus der Wahrnehmung des Westens verschwinden. Die Amerikaner können sich immerhin damit trösten, ihr wichtigstes Ziel erreicht zu haben.
Das war nicht die Beendigung des Bürgerkrieges, die Stabilisierung der Region oder überhaupt der Versuch einer wirtschaftlichen und politischen Entwicklung des Landes - sondern die Zerschlagung von al-Qaida auf afghanischem Boden. Allerdings um einen astronomischen Preis. Und ob die Therapie nicht schlimmer war als die Krankheit, muss sich erst noch zeigen.
Konsequenzen für Deutschland
Deutschland wird in Zukunft das Land nur als Quelle eines nicht versiegenden Flüchtlingsstroms wahrnehmen. Eindämmung von Fluchtursachen wird es in diesem Fall keine mehr geben, jedenfalls nicht im ursprünglichen, positiven Sinn. Vor einer Diskussion des entscheidenden Dilemmas schrecken alle Parteien zurück.
Wie soll auf Konflikte Einfluss genommen werden, wenn die eigenen Rechtsstandards dabei nicht eingehalten werden können? Rechtfertigt es den eigenen Rückzug, wenn gleichzeitig Unrecht weiterbesteht?
Unbedeutend ist im Vergleich dazu die gelegentlich gestellte Frage, ob das Resultat des Bundeswehreinsatzes als Niederlage zu werten ist. Das Urteil fällt klar aus, aber ist es auch relevant? In Afghanistan gibt es nur Verlierer, nicht erst seit dem Abzug der Sowjets, sondern seit dem ersten anglo-afghanischen Krieg (1839-1842). Und der größte Verlierer ist Afghanistan.