Afghanistan: Schlechte Aussichten für die Bildung einer Einheitsregierung

Abdullah Abdullah bestreitet die Gültigkeit der Stimmenneuauszählung, der Streit zwischen den Lagern dauert an, Politiker drohen mit einem Coup, die Taliban proben eine erneute Schlacht um Kundus

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Man kann nicht sagen, dass die Aktivitäten des US-Außenministers John Kerry in den letzten Wochen von Erfolgserlebnissen geprägt waren. In Afghanistan sah es eine kurze Zeit danach aus, als ob sich sein Einsatz gelohnt hätte. Anfang August schien es so, als ob Kerry die Versöhnung zwischen den beiden zerstrittenen Präsidentschaftskandidaten Abdullah Abdullah und Ashraf Ghani gelungen sei. Beide versprachen die Bildung einer Einheitsregierung.

Am 19. August noch betonte Abdullah Abdullah, dass er sich diesem Projekt verpflichtet fühle. Heute zog er sein Team aus dem Wahlprüfungsprozess zurück. Damit ist der Weg für weitere Konflikte mit Aschraf Ghani bereitet und die Chancen für eine tatsächliche Versöhnung sehen wieder schlecht aus.

Tags zuvor hatte die UN-Vertretung in Afghanistan, die UNAMA, noch herausgestellt, wie wichtig und ungewöhnlich es sei, dass sich beide Parteien an der Prüfung der Stimmzettel beteiligen, die aufgrund der Wahlbetrugsvorwürfe vereinbart worden war (Afghanischer Wahlverlierer droht mit Parallelregierung..). Mit dem Rückzug Abdullah Abdullahs sah man sich nun dazu gezwungen, auch das Team von Aschraf Ghani von der Stimmzettelneuzählung auszuschließen.

Trotzdem gibt sich die UNAMA optimistisch: Es könnte jetzt sogar schneller gehen mit dem Auszählen. Diese Meinung wird von Beobachtern, die die Revisiion so vieler Wahlurnen als äußerst aufwendigen, zähen, zeitaufraubenden, wenn nicht gar als unmöglichen Prozess beschreiben, wohl nicht geteilt.

Selbst wenn der Optimismus der UNAMA für die Neuauszählung zutrifft, so kann man mit einiger Wahrscheinlichkeit vorhersagen, dass sich daraus neue Streitpunkte zwischen den beiden konkurrierenden Lagern ergeben - je nachdem wer dann als Sieger bestimmt wird. Bestätigt wird dies durch die Erklärung Abdullah Abdullahs, wonach er die Ergebnisse der Neuauszählung ablehnen werde.

Sieht man sich die Konfliktpunkte an, die es zwischen Abdullah und Ghani in punkto Machtaufteilung bei einer Regierung der Nationalen Einheit gibt, so ist die Aussicht, dass Kerry demnächst nochmals nach Kabul fliegen muss, um zu vermitteln, sehr wahrscheinlich.

Nicht unwahrscheinlich ist auch, dass andere afghanische Politiker und Fraktionen, wie von mehreren Seiten angekündigt (Afghanistan: Minister drohen mit Putsch) und angedeutet, mit putschähnlichen Protesten reagieren, falls der Neuauszählungsprozess und die Versöhnungsversuche sich weiter in die Länge ziehen und das Scheitern offenbar wird.

Die Situation im Land werde sehr schwierig, berichten aktuelle Meldungen aus Afghanistan. Die Wirtschaft leide unter dem politischen Stillstand, der bislang bereits Kosten von fünf Milliarden Dollar verursacht habe, wird der Finanzminister zitiert. Die Geldkoffer seien leer und die Taliban haben in 16 Provinzen angegriffen, berichtet al-Jazeera. Dazu gibt es Meldungen von einer "neuen Schlacht um Kundus".