Afghanistan: Superlative des "failed state"?

Taliban. Propaganda-Foto, Islamic Emirate of Afghanistan

Teil 1: Friedensglocken und Selfies

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Die vergangenen Wochen am Hindukusch waren in politischer Hinsicht mehr als nur turbulent. Die politische Debatte im Land wird dominiert von möglichen Friedenslösungen mit den Taliban sowie den anstehenden Parlamentswahlen im Oktober, die von ethnischen Spannungen begleitet werden.

Als Mitte Juni der islamische Fastenmonat Ramadan ein Ende fand, wurde seitens der Kabuler Regierung ein Waffenstillstand für die Feiertage ausgerufen, der ausschließlich für die Taliban galt. Nachdem diese das Angebot annahmen, fanden in Kabul und anderen Landesteilen Szenen statt, die man so nicht erwartet hätte. Zahlreiche Taliban-Kämpfer strömten in die Städte, um den Menschen - auch den Soldaten der afghanischen Armee - zum Zuckerfest (Eid ul-Adha) zu gratulieren.

Feiern mit den Taliban

Mitten im Kabuler Stadtteil Kote Sangi hissten Taliban-Kämpfer ihre Flagge und wurden von Sicherheitskräften mit Freude empfangen. Man umarmte sich, machte Selfies und trank gemeinsam Tee. In der Provinz Farah, die einige Tage zuvor noch von den Taliban belagert wurde, empfing der Gouverneur Aufständische in seinem Palast und lud sie zum Essen ein.

Auch Frauen beteiligten sich an diesen völlig neuartigen Friedensgesten. In der östlichen Provinz Nangarhar besuchte die politische Aktivistin Muqadasa Ahmadzai mit einer Delegation von Stammesältesten tiefstes Taliban-Gebiet und beendete das Gespräch mit dem lokalen Kommandanten mit einem feierlichen Akt. Ahmadzad setzte dem jungen Mann einen Turban auf - eine Geste, die ehrenvoller ist, gibt es in der afghanischen Gesellschaft nicht.

Das Bild dieses Aktes wurde in vielen Sozialen Medien en masse verbreitet und brach gleich mit mehreren Vorstellungen und Klischees, die manch so einer über das Land hat.

Der Klang der Friedensglocken war für viele Afghanen etwas Neues und lang Ersehntes. Dies ist wenig verwunderlich, wenn man bedenkt, dass das Land sich seit fast vierzig Jahren im Krieg befindet. "Wir wollen Frieden, zumindest für einen einzigen Tag", meinte ein junger Afghane aus Kabul gegenüber dem Nachrichtensender Kabul News.

Ein Tag ohne Blutvergießen muss dem afghanischen Volk gegönnt sein. Doch selbst das ist in den letzten Jahren so unrealistisch geworden.

Afghanischer Bürger

Der kurze Waffenstillstand hat vielen Menschen vor Augen geführt, dass auf beiden Seiten die Bürger desselben Landes kämpfen - und kriegsmüde sind. Doch der Frieden war kurz und wurde gestört - vor allem vom IS, der Taliban-Kämpfer, Soldaten und Zivilisten gleichzeitig angriff und tötete.

Hinzu kam, dass die Taliban-Führung den Waffenstillstand nach den Feiertagen für beendet erklärte und die Aufständischen in mehreren Provinzen ihre Operationen fortsetzten. Alles andere wäre eine Überraschung gewesen, denn an den Realitäten auf dem Schlachtfeld hat der Waffenstillstand nichts geändert.

Ernüchterung

Die Taliban sind weiterhin auf dem Vormarsch und erhöhen tagtäglich das Einflussgebiet ihrer Parallelregierung. Die Rhetorik des afghanischen Präsidenten Ashraf Ghani, der auch in der New York Times über seine Friedenspläne schrieb und betonte, stets bereit zu sein, mit der Taliban-Führung von Angesicht zu Angesicht zu sprechen, ändert daran nichts. So hat auch der Präsident den Waffenstillstand längst für beendet erklärt.

Während Ghanis Anhänger seine jüngsten Schritte als Erfolg betrachten und ihn gar als "Afghanistans Gandhi" bezeichnen, sind andere Beobachter skeptisch. "Ein dauerhafter Frieden ist weiterhin unwahrscheinlich. Der Kabuler Regierung geht es vor allem um Prestige und Rhetorik. Dies hängt auch mit den Präsidentschaftswahlen im nächsten Jahr zusammen.

Man will einen weitgehend friedlichen Transfer der Macht ermöglichen - ohne Störungen. Danach geht der Krieg dann wie gewohnt weiter", meint etwa Waheed Mozhdah, ein politischer Analyst aus Kabul. Zu den Hauptforderungen der Taliban gehört der vollständige Abzug der ausländischen Truppen.

Einerseits hat Ghanis Regierung diesbezüglich keinerlei Befugnisse, andererseits liegt der Abzug auch nicht in ihrem Interesse. Die Sicherung jenes korrupten Staatsapparates, der Ende 2001 mit westlicher Hilfe errichtet wurde, kann nämlich nur mit ebenjener Unterstützung aufrechterhalten werden.

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