Afghanistan: Wann ist die richtige Zeit für den US-Abzug?
Die Taliban können nur mit international zwingenden Vereinbarungen in Schach gehalten werden. Dazu braucht es die Unterstützung der Nachbarstaaten Iran und Pakistan sowie Russlands. Ein Kommentar
Die Taliban reagierten mit Drohungen auf die Absage Trumps. "Das wird Amerika mehr Schaden zufügen als sonst jemanden", verkündete das "Islamische Emirat" in einem Statement, nachdem der US-Präsident ein geplantes Treffen in Camp David in einer Reihe von empörten Tweets cancelte.
Trump bestätigte gestern, dass die Verhandlungen mit den Taliban für ihn gestorben sind: "They’re dead. They’re dead." - soweit es ihn betreffe. Dem fügte er hinzu, dass er nach wie vor den Abzug der US-Truppen will: "Wir würden gerne rausgehen, aber wir werden das zur richtigen Zeit tun."
Nach 18 Jahren US-Militäreinsatz in Afghanistan denkt man Washington noch immer über den richtigen Zeitpunkt des Abzugs nach … Max Abrahms, der über Terrorismus und Terrorismusbekämpfung (counter-terrorism) forscht, fehlt es der US-Regierung an Trennschärfe: Nach all' den Jahren müsse Amerika entscheiden, ob es in Afghanistan eine humanitäre Mission verfolge oder eine counterterror-Mission, löst Abrahms den gordischen Knoten:
Wenn es eine Mission zur Terrorbekämpfung ist, dann sollten wir uns einzig die Frage stellen, ob wir aus dem Land rausgehen können, ohne dass wir substantiell einen weiteren Angriff auf uns riskieren, der von dort ausgeht.
Max Abrahms
"Wir brauchen nicht mit den Taliban zu verhandeln, um heimzukommen"
Abrahms geht vom Modell "rationaler Akteure" aus. Es sei besser, mit den Taliban nicht über Dinge zu verhandeln, die nicht mit der nationalen Sicherheit der USA in Beziehung stehen - und denen sie sowieso niemals zustimmen werden. "Konzentrieren wir uns auf Forderungen der Terrorismusbekämpfung." Zur Diskussion über die Folgen der Absage Trumps äußerte Abrahms einen Standpunkt zum Skandieren: "Wir brauchen nicht mit den Taliban zu verhandeln, um heimzukommen."
Letztlich werde den US-Truppen nichts anderes als der Abzug übrigbleiben - nicht unwahrscheinlich, dass die letzten Amerikaner wie damals in Vietnam mit Hubschraubern vom Dach der Botschaft ausgeflogen werden, prophezeit das Blog Moon of Alabama.
Die beiden Stimmen werden gar nicht oder selten in den großen Medien erwähnt, aber sie dürften eine weitverbreitete Haltung vertreten, die man als "Nicht-Interventionismus" bezeichnen kann und die mit einer scharfen Kritik an der US-Politik zur Terrorbekämpfung einhergeht.
Zum morgigen Jahrestag des 11. September 2001 wird sicher eine Reihe von Artikeln und Kommentaren erscheinen, die Bilanz ziehen über den anfänglich "War on Terror" genannten langjährigen Feldzug der USA gegen die Terrorgefahr. Anhand der Ausbreitung von al-Qaida und dessen Sprössling IS ist weltweit nicht von einem großen Erfolg zu sprechen.
Das Misstrauen gegenüber den Taliban
In Afghanistan kontrollieren die Taliban etwa die Hälfte des Landes; sie sind, wie manche Experten es darstellen - und wie es der Anspruch der Taliban mit ihrer Selbstbezeichnung "Islamisches Emirat" behauptet, auf dem Sprung, das Land erneut unter ihre Herrschaft zu bringen.
Das Misstrauen gegenüber den Anti-Terrorismusgarantien der Taliban - gemeint ist die Zusage, wonach sie dafür garantieren sollen, dass von Afghanistan aus keine Gefahr der al-Qaida ausgeht -, war einer der Punkte, weswegen Trump "kalte Füße" bekommen hat (Kate Clark, Afghanistan Analyst Network). Die Zweifel daran in der Umgebung Trumps, unter Militärs und in einflussreichen Milieus (etwa der Think Tank FDD und seine Afghanistanexperten) waren zuletzt immer lauter geworden.
Bemerkenswert dazu ist auf dieser Ebene der Verhandlungen eine nicht untypische Lücke, die die Terrorismusbekämpfung an unterschiedlichsten Fronten, etwa auch in Syrien, prägt. Der fehlende Wille dazu, in einem größeren politischen Rahmen zu handeln. Dazu würde etwa der Einschluss von Russland und Iran gehören.
Russland und Iran
Beide Länder haben ein großes Interesse daran, dass Afghanistan relativ stabil bleibt und wenig Interesse an einer Wiederkehr der Talibanherrschaft, wie sie in ihren Reaktionen auf den Abbruch der Verhandlungen und schon früher zeigten - obgleich Teheran mit ihnen mehrfach schon verhandelt hat und ihnen, wie die USA auch, eine Rolle im künftigen Afghanistan zugesteht.
Sowohl aus Moskau wie aus Iran kamen besorgte Statements. Russland bot schon länger Hilfe an und Irans Außenminister plädiert für eine regionale Initiative, die Nachbarn, alle kriegerischen Parteien und Gruppen im Land einschließt.
Zum gegenwärtigen Zeitpunkt mag das illusorisch erscheinen, besonders da sich die USA und Iran unversöhnlich gegenüberstehen. Dem wäre entgegenzuhalten, dass die USA und Iran sich in der Sache Afghanistan in der Vergangenheit, nämlich im Herbst 2011, schon einmal zu einer kurzen Kooperation entschlossen hatten und dies als für beide Seiten positiv gewertet wurde ("Iranian representatives were particularly helpful", heißt es im Rückblick des US-Diplomaten James Dobbins).
Vor allem aber: Wie sonst wären die Taliban besser in Schach zu halten als mit einer gemeinsamen Front der Großmächte USA und Russland, wichtiger Regionalmächte und Nachbarstaaten? Vieles liegt auch daran, wie Pakistan und Indien eingebunden werden können. Die Hebelwirkung könnte beachtlich sein.
Ausschluss ist keine gute Basis
Das Scheitern der Verhandlungen zwischen den US-Vertretern und den Taliban kam nicht überraschend, wie die Analysten vom Afghanistan Analyst Network erklärten. Insbesondere der deutsche Afghanistankenner Thomas Ruttig wurde in deutschen Medien, wie auch hier, öfter herangezogen. Auffallend ist dabei, dass die Verhandlungen an einem Ausschlussverfahren, wenn auch damit ein internes gemeint ist, krankten: Die afghanische Regierung, immerhin gewählte Vertreter der Bevölkerung, wurde ausgeschlossen, sie sollte erst später in einem innerafghanischen Dialog mithineingenommen werden, der dann erst zu einer Friedensvereinbarung und einem Waffenstillstand führen sollte.
"In 135 Tagen sollen also 5.400 US-Soldaten aus Afghanistan abgezogen werden. So die vorläufige Vereinbarung zwischen dem US-Verhandler Khalilzad und den Taliban. Dafür müssen die Taliban nicht einmal einem Waffenstillstand zustimmen." (Gerhard Mangott)
Somit war der Frieden an eine vorhergehende Abmachung als Voraussetzung gekoppelt, was ebenfalls einem Ausschlussverfahren gleichkommt. Das Ganze war darüber hinaus deutlich geprägt von einem Selbstverständnis der Taliban, die sich als sicheren Sieger der kriegerischen Auseinandersetzungen sehen, und die vor allem den Abzug der ausländischen Truppen als oberstes Ziel hatten. "Das könnte ihnen anschließend leichteres Spiel in der innenpolitischen - politischen und/oder dann auch wieder bewaffneten - Auseinandersetzung bringen", schreibt Ruttig.
Notbremse in einem schlecht durchdachten bilateralen Verhandlungsmanöver
Die Absage Trumps erscheint so wie eine Notbremse in einem schlecht durchdachten bilateralen Verhandlungsmanöver, wo man der faktischen Stärke der Taliban im Land wenig entgegenzusetzen hatte. Gegner Trumps halten seine Eitelkeit für verantwortlich. Nicht nur dass er mit dem Abzug der US-Soldaten vor der Wahl 2020 punkten wollte, sondern dass er mit Friedensverhandlungen in Camp David eine Fotostory mit den Taliban und dem afghanischen Präsidenten Ghani für den Friedensnobelpreis wollte, behauptet etwa David Frum, der früher die Reden von George W. Bush schrieb.
Wieder einmal ist durch Trumps eigenwillige Diplomatie viel Porzellan zerbrochen worden, so Ruttig. Das bisschen Vertrauen, das bei den Doha-Gesprächen aufgebaut wurde, sei nun weg. Er gibt auch der afghanischen Regierung eine Teilschuld, weil sie nun großsprecherisch für sich in Anspruch nehme, "die Friedensgespräche überhaupt initiiert zu haben (mit ihrem sog. Kabul-Prozess, an dem außer ihr selbst niemand teilgenommen hat, und ihrer handverlesenen Friedens-"Loja Dschirga"), aber nie wirklich einen nationalen Konsens über Gespräche mit den Taleban(!) herstellen konnte".
Ruttig seht wenig Chancen für eine Verhandlungslösung auf absehbare Zeit. "Wie ein Neuansatz gelingen soll, ist fraglich." Der afghanische Regierungschef Abdullah Abdullah stimmt ihm in dieser Aussicht zu: "Heute sind wir so weit vom Frieden entfernt, wie wir es vor Jahren schon waren."
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