Afrikas Stadt der Moderne
Mit einer Ausstellung appelliert eine Initiative um den Architekten Naigzy Gebremedhin für den Erhalt der außergewöhnlichen Baukultur der Hauptstadt Eritreas
Asmara fehlte lange Zeit auf der Liste architektonischer Sehenswürdigkeiten. Dabei gilt das Zentrum Eritreas als die schönste Metropole des afrikanischen Kontinents, mit einem der wenigen weltweit realisierten städtebaulichen Ensemble der klassischen Moderne. Die Aufnahme in die Liste des Weltkulturerbes könnte helfen, viele vom Verfall bedrohte Gebäude zu retten.
Wie ein U-Boot sieht die Tankstelle aus, vor der ein quietsch-gelbes Auto parkt. Mit ihrer kompakten runden Form, den Fenstern wie Luken und dem ganz auf die Funktionalität reduzierten Design greift der unbekannte Architekt Gestaltungsprinzipien der Moderne der 20er und 30er Jahre des vergangen Jahrhunderts auf. Wer durch die Straßen von Asmara geht, kann bisweilen das Gefühl haben, als hätten hier die Architekten des Bauhauses selbst Häuser entworfen.
Das Selam Hotel zum Beispiel, ein eingeschossiger länglicher Quader. Die Fassade gliedern quadratische Fenster, deren Symmetrie durch eine hervorspringende Veranda aus Glas aufgebrochen wird. Der italienische Architekt Rinaldo Borgnino plante den Bau 1937. In seiner eindrucksvollen Schlichtheit ein ganz und gar moderner Bau.
Erstmals in Europa stellt die Ausstellung "Afrikas heimliche Hauptstadt der Moderne" im Deutschen Architekturzentrum Berlin diese architektonischen Schätze vor. Bis heute kannten selbst Experten den Ort und seine Baukultur nicht. Bauhausdirektor Omar Akbar, der mit Naigzy Gebremedhin als Kurator die Schau konzipierte, bekannte, erst vor wenigen Monaten von dem "städtebaulichen Gesamtkunstwerk" erfahren zu haben. Asmara ist die einzige größere Stadt der Welt, in der man auf die verschiedensten Bewegungen moderner Baustile und deren Vorläufer trifft. Neben den mehreren hundert in einer sachlich nüchternen Formensprache entstandenen Häusern bauten auch Vertreter des Art Deco und Novocento, des Futurismo und Monumentalismo Häuser.
Architektur mit ambivalenter Geschichte
Heute zählt der 2.400 Meter hoch über dem Roten Meer gelegene Ort 560.000 Einwohner. Die Entwicklung Asmaras zur modernen Großstadt ist untrennbar mit der Geschichte der Kolonialisierung durch Italien verbunden. Ende des 19. Jahrhunderts noch eine Ansammlung weniger Siedlungen, die zur Hauptstadt Eritreas ausgebaut wurde, erlebte Asmara Mitte der 1930er Jahre eine umfangreiche Stadterweiterung nach den städtebaulichen und architektonischen Prinzipien des Neuen Bauens.
Benito Mussolini schwebte eine Architektur vor, die das Zweite Römische Reich repräsentieren sollte, erläutert Naigzy Gebremedhin. Um 1900 lebten 5.000 Eritreer und 300 Europäer in Asmara, die 30 Jahre später immer noch die Minderheit der mittlerweile 15.000 Einwohnern bildeten.
Während aber in Rom selbst ein monumentaler Stil Pflicht war, konnten Architekten in der Kolonie die kühnsten Entwürfe verwirklichen. Am beeindruckendsten ist eine futuristische Tankstelle, deren imposanter Turm wie die Kommandobrücke eines Ufos aussieht. Zwei 30 Meter lange Flügel überspannen die Zapfsäulen.
Das Stadtzentrum ist größtenteils im Stil der Architettura Rationale, der italienischen Variante der Moderne, entstanden. Die Formensprache bezog sich auf geometrische Grundelemente wie Kugel, Quader, Zylinder du Würfel. Die italienischen Planer verbanden ihr Raumkonzept mit der Anwendung aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse über technische Entwicklungen und hygienische Einrichtungen. Die Architektur sollte, so die Ausstellungsmacher, von der Analyse ihrer Funktionen, ihrem alltäglichen Gebrauch her entwickelt werden.
1938 lebten bereist 90.000 Menschen in Asmara. Die mit der Verstädterung einhergehenden sozialen und Umweltprobleme sollten entsprechend internationalen Standards gelöst werden, wie sie in der Charta von Athen mit ihrer Forderung nach einer Gliederung der Stadt in Zonen des Wohnens, für Arbeit und Freizeit formuliert waren. Einerseits sollte den Einwohnern ein lichtes und luftiges wohnen ermöglicht werden, andererseits sorgten gut ausgebaute Straßen für fließenden Autoverkehr. "In den 30er Jahren fuhren 55.000 Autos in Asmara, mehr als in Rom", so Gebremedhin.
Aus heutiger Sicht erscheint es scher vorstellbar, dass auch faschistische Symbole moderne Bauten zierten. Davon ist heute nichts mehr zu sehen, nach dem die britische Armee 1941 Eritrea besetzte und sie entfernte.
Für Gebremedhin steht die Geschichte Asmaras denn auch für die Ambivalenz der Moderne in Afrika. Einhergehend mit den Planungen der architektonischen Avantgarde zonierten die Planer die Stadt nach den faschistischen Rassengesetzen in Gebiete für Europäer und Afrikaner.
Erst Anfang 2001 ist es Naigzy Gebremedhin, ehemaliger Direktor des Zentrums zur Bewahrung des Kulturerbes Eritreas (Carp) gelungen, zusammen mit seinen Mitstreitern die eritreische Regierung davon zu überzeugen, das Zentrum mit den Bauten der Moderne komplett unter Denkmalschutz zu stellen. Damit konnten zahlreiche Bauvorhaben gestoppt, die zur Zerstörung von in den 30ern gebauten Häusern geführt hätte.
Ein Erfolg, der sich auch der institutionellen Unterstützung der Weltbank verdankt, die über Carp mit der eritreischen Regierung kooperiert und überdies 5 Millionen Dollar spendete. Naigzy Gebremedhin hat eine umfangreiche Dokumentation der Bauten erstellt, die zusammen mit einer Geschichte Asmaras in einem nun wieder aufgelegten opulenten Bildband "Asmara - Africas's Secret Modernist City" erschienen ist. Auf dem Buch basiert auch die Schau, dem die ausgestellten großformatigen Fotos von Edward Dension entnommen sind.
Nicht nur die futuristische Tankstelle sieht heute ziemlich schäbig aus. Wie viele andere Bauwerke der Moderne auch ist sie seit Jahrzehnten nicht renoviert worden. Andere Gebäude drohen über kurz oder lang zu zerfallen. Welche architektonischen Schätze da verloren zu gehen drohen, illustrieren in der Ausstellung Modelle von Wolfgang Knoll, dem eine eindrucksvolle Rekonstruktion anhand von alten Plänen gelang. Manches wirkt geradezu fantastisch im Vergleich zu dem Anblick, den die Fotos von dem heutigen Zustand vieler Häuser geben. Mit Knolls Bauten kann man nachvollziehen, welche tief greifenden Veränderungen die Originale erlebten, für deren Erhalt mit einem Kredit der Weltbank erste Maßnahmen getroffen wurden.
Finanzielle Mittel erhofft sich Eritrea auch von der Aufnahme in die Liste des Weltkulturerbes, um die sich die Regierung bemüht. Die Bewertung der Bauten im Stadtzentrum Asmaras durch den World Monument Fund aus dem Jahr 2005 als gefährdete Gebäude des Welterbes unterstreicht die Dringlichkeit dieses Anliegens. Angesichts der kolonialen Vergangenheit ist es bemerkenswert, dass sich Eritrea - eines der ärmsten Länder der Welt, dem das Geld fehlt für eine umfassende Sanierung der Bauten, sich nun um deren Erhalt bemüht.
"Skeptiker stellen immer wieder die Frage, wie moderne Architektur, die das verhasste politische System des Faschismus errichtete, die eritreische Identität unterstreichen kann", so Gebremedhin. Für ihn geht die Frage aber von der falschen Annahme aus, die Eritreer hätten keine bedeutende Rolle beim Aufbau von Asmara gespielt. Gebremedhin verweist auf die Arbeit von Zigtausenden Einheimischen, von denen viele zu den Bauarbeiten gezwungen waren, aber ohne die Asmara nie gebaut worden wäre. Gerade an sie sollte mit dem Erhalt der Gebäude gedacht werden, nicht nur an die italienischen Architekten und Ingenieure.
Die Asmarinos, so berichtet Gebremedhin, haben sich das koloniale Erbe inzwischen für ihr eigenes Leben angeeignet, leben und arbeiten in den Häusern. Aus der Mischung heimischer Kulturen und europäisch-italienischer Einflüsse entwickelte sich eine Atmosphäre der Toleranz, in der die verschiedenen Bevölkerungsgruppen und Religionen zusammenleben.
Nun sind internationale Institutionen wie die Unesco gefragt, diese einzigartige Stadt nicht nur als Freilichtmuseum zu erhalten, das die Touristen anzieht. Dazu wird es in der schnell wachsenden Stadt, in der immer mehr neuer Wohnraum gebraucht wird, auch nötig sein, über den Denkmalschutz hinaus Lösungen zu finden, damit die heute als Wohnhäuser genutzten Bauten der klassischen Moderne nicht doch noch höheren und größeren Häusern Platz machen müssen. Noch ist es nicht zu spät, Asmara zum Welterbe zu erklären. Gebremedhin und Akbar verstehen ihre Ausstellung, die noch in mehreren deutschen Städten zu sehen sein wird, auch als Appell, endlich einen fast vergessenen architektonischen Schatz vor Verfall und Zerstörung zu retten.
Nach Berlin (bis 3.12.2006) ist die Ausstellung u.a. in Frankfurt a.M. (Deutsches Architektur Museum, 06.02.-15.03.2007), im Kasseler Architekturzentrum im Kulturbahnhof, 24.04.-15.05.2007) und in Stuttgart (BDA-Galerie Wechselraum, 21.09.-19.10.2007) zu sehen.