Agenten- und Robotergemeinschaften
Seite 7: Selbstorganisation
- Agenten- und Robotergemeinschaften
- Evolutionäre Sprachspiele
- Die Entstehung von Bedeutung in Unterscheidungsspielen
- Der Aufbau von Wörterbüchern durch Sprachspiele
- Die Entwicklung der Phonologie durch Imitationsspiele
- Sprachliche Ko-Evolution
- Selbstorganisation
- Ebenenbildung
- Schlußfolgerungen
- Auf einer Seite lesen
Evolution und Ko-Evolution reichen noch nicht aus. Normalerweise gibt es viele mögliche Strukturen, die aus der bislang diskutierten Perspektive selektionistischer Kriterien gleichermaßen plausibel sind. Doch aus den vielen Möglichketen wird normalerweise nur eine ausgewählt und von der Sprachgemeinschaft angenommen.
Sprache und Bedeutung sind gemeinsame Strukturen. Das ist ein großes Puzzle für jeden, der eine nicht auf Vererbung beruhende Sprach- und Bedeutungstheorie sucht. Wenn Bedeutung und Sprache angeboren sind, dann sind sie genetisch gemeinsam und Kohärenz stellt sich von selbst ein. Aber wenn sie nicht angeboren sind, müssen wir erklären, wie Kohärenz ohne zentrale Kontrolle und bei Agenten entsteht, denen die Zustände der anderen nur durch lokale Interaktionen zugänglich sind.
Die Ursprünge der Kohärenz in einem verteilten System mit vielen interagierenden Elementen wurden in der Biologie und anderen Wisenschaftszweigen unter dem Titel der Selbstorganisation untersucht. Ein typisches Beispiel dafür ist ein Vogelschwarm oder ein von Ameisen geformter Weg. Beispiele für Selbstorganisation lassen sich auch auf niedrigeren Ebenen finden. Regelmäßige zeitliche oder räumliche Muster bei der Bhelouzow-Zhabotinsky-Reaktion oder das plötzliche Auftreten kohärenten Lichts beim Laser sind chemische und physikalische Beispiele der Selbstorganisation.
Das Prinzip der Selbstorganisation setzt zwei unerläßliche Bestandteile voraus: Es muß eine Reihe möglicher Variationen und zufälliger Fluktuationen geben, die gelegentlich eine Fluktuation dominieren lassen. Meist sind diese Fluktuationen gedämpft und das System befindet sich in einem (dynamischen) Gleichgewichtszustand. Wenn es jedoch eine positive Feedback-Schlaufe gibt, die eine Fluktuation verstärkt, dann kann diese zur Vorherrschaft gelangen. Die Feedback-Schlaufe ist typischerweise eine Funktion der Umwelt, so daß Selbstorganisation nur bei bestimmten Parametergrößen eintritt. Wenn diese Parameter zu klein sind, bleibt das System im Gleichgewicht. Wenn sie größer werden, bringen sie das System in (deterministisches) Chaos. Am Rand des Chaos entsteht eine Struktur und bleibt erhalten.
Bei Computerexperimenten hat sich gezeigt, daß Selbstorganisation ein Weg ist, um Kohärenz zu schaffen. Das psotive Feedback beruht auf dem Erfolg in Spielen mit vielen Agenten. Die am meisten verwendeten und erfolgreichsten Regeln sind erfolgreich. Beispielsweise wird für jedes Wort-Bedeutungs-Paar eine Aufzeichnung angelegt, wie oft es gebraucht wurde und wie oft die Verwendung in einem bestimmten Sprachspiel erfolgreich gewesen ist. Der (sprechende) Agent bevorzugt stets das erfolgreichste Wort. Das verursacht die positive Feedback-Schleife: Je mehr ein Wort gebraucht wird, desto erfolgreicher wird es sein und wieder verwendet werden. Zu Beginn wird es solange einen Kampf zwischen unterschiedlichen Wort-Bedeutungs-Paaren geben, bis eines sich durchsetzt. Kohärenz kristallisiert sich ziemlich schnell heraus, wen ein Wort beginnt, sich ähnlich einem Phasenübergang durchzusetzen.
Dasselbe Prinzip kann auch auf andere Ebene angewendet werden. In Imitationsspielen erfolgreichere Phoneme und Phonemsegmente werden jenen mit geringerem Erfolg vorgezogen, selbst wenn sie allen anderen Bedingungen genügen. Die Bedeutungskohärenz geschieht indirekt. Es werden Merkmale bevorzugt, die bereits lexikalisiert worden sind, und folglich werden die gebräuchlichsten Merkmale von allen Agenten gemeinsam gebraucht.