Agenten und das Zusammenwachsen Europas
Gespräch mit Yves Demazeau
Yves Demazeau arbeitet an einer Französischen Nationalen Forschungseinrichtung in Grenoble. Er selbst ist seit 9 Jahren im Bereich Multi-Agenten-Systeme (MAS) tätig. Als Organisator des ersten MAAMAW-Workshops (Modelling Autonomous Agents in a Multi Agent World) vor acht Jahren gilt er als geistiger Vater von MAAMAW und hat viel zur Verbreitung der Idee der Multiagentensysteme beigetragen.
A.M.: Wie begann MAAMAW, welche Idee stand dahinter?
Y.D.: Es begann mit einem Workshop unter EU Ägide, zu dem Leute eingeladen wurden, um vielleicht aus einem anderen Gesichtspunkt als dem der US-Amerikaner an diesem Feld zu arbeiten. In den USA werden Multiagentensysteme (MAS) unter dem Aspekt studiert, daß es um verteilte Problemlösung geht. Ein Problem ist zu schwierig, also teilt man es in Unterprobleme und findet Teillösungen durch Agenten. Man rekombiniert die Lösungen und dann ist man glücklich.
Die Idee, die wir in Europa hatten, war ein ausgeprägterer "bottom-up"-Ansatz. Es entwickelte sich aus der Robotik. Die Frage war, wenn man mehrere Robots zusammenbringt, was würde geschehen? Denn sie müssen ihre eigene Aufgabe erfüllen, aber vielleicht, weil es auch ein gemeinsames Ziel gibt, müssen sie zusammenarbeiten, d.h. Wissen austauschen, gemeinsame Handlungen durchführen, vielleicht werden sie also Handlungen ausführen, die nicht nur dem eigenen sondern einem kollektiven Ziel dienen. Meiner Meinung nach gibt es also zwei Arten über MAS zu denken. Die eine Art ist die der verteilten Problemlösung. Die andere ist die, die wir in Europa entwickelt haben und die nun überall ein wenig verfolgt wird. Ich nenne diese zweite Art dezentralisierte System-Simulation. Man hat Agenten, bringt sie alle zusammen und beobachtet, was passiert, was sie ausrichten können. Das erzeugt Zugangsweisen, bei denen man existierende Systeme simuliert, deshalb kann es sehr nah an KL sein, sehr nahe aber auch am Wesen von Simulation.
A.M.: Gibt es nicht überhaupt ein neues Paradigma in der KI durch den "bottom-up"-Ansatz?
Y.D.: Ja. Ich denke eine der ungünstigeren Entscheidungen in der KI war anzunehmen, daß die interne Repräsentation, die der Agent von der Welt hatte, eine vom Wissenschaftler gemachte sein sollte. Nun stellt sich heraus, daß diese von außen auferlegte Repräsentation nicht immer die direkteste oder nützlichste für das System selbst ist. Also ist der Ansatz nun, daß es der Agent selbst sein sollte, der seine Repräsentation der Welt aufbaut, durch die Interaktion mit seiner Umwelt, die dann natürlich wesentlich mehr den Zielen des Agenten entspricht, als den Design-Wünschen des Programmierers.
A.M.: Heißt das nun, daß man einen Schritt zurücktritt und hofft, daß Intelligenz als emergentes Verhalten auftritt?
Y.D.: Ich persönlich halte nicht sehr viel von der Idee des emergenten Verhaltens, denn es impliziert, daß der Nutzer oder Programmierer das System beobachtet und in der Lage ist, das, was passiert, in rationalen Begriffen zu erklären, bzw. auch noch zu erklären, wenn die Begriffe nicht rational sind. Das heißt für mich, daß es drei unterschiedliche Sprachen gibt. Da ist die Programmiersprache des Entwicklers, die Sprache des Nutzers, der mit dem System arbeitet und da ist die Sprache des Systems, in der es seine eigene Repräsentation erzeugt. Und es ist nicht sehr klar, daß die Annahme dahintersteht, daß diese drei Sprachen in eine zusammenfallen. Bis zu den MAS glaubte man also, das wären ein und die selben Sprachen. Erst ab dem Moment, an dem man eine Anzahl von Agenten hat, die miteinander interagieren, kommt man dahin zu sehen, daß es da Unterschiede geben könnte.
A.M.: Wenn man das weiterdenkt, könnte es doch soweit kommen, daß die Agenten untereinander eine Sprache entwickeln, die wir nicht verstehen?
Y.D.: Das könnte sein. Aber wir müssen sie gar nicht verstehen. Es genügt, wenn wir über die Programmiersprache Bescheid wissen und eine Sprache haben, in der wir als Nutzer mit dem System interagieren können.
A.M.: Ich dachte immer, es wäre das Ziel der KI, die Funktionsweise des menschlichen Geistes zu verstehen und Möglichkeiten zu finden, diese durch Maschinen nachzubilden?
Y.D.: Das ist eine Möglichkeit über KI zu denken. Für mich, wenn man überhaupt noch über KI sprechen darf, es scheint ja jetzt ein verbotenes Wort zu sein...
A.M.: Warum?
Y.D.: Es scheint so, als ob die Industrieleute nicht mehr an KI glauben, verallgemeinernd gesprochen. Das kam so in den letzten 5 Jahren aus den USA rüber.
Es ist halt so, daß am Anfang sehr viele Versprechungen gemacht wurden, die nicht gehalten werden konnten. Deshalb sage ich jetzt allen Kollegen, sehr vorsichtig zu sein und nicht zu viel zu versprechen.
Doch zurück zur Frage. Für mich geht es bei KI nicht nur darum, künstliche Systeme zu bilden, die menschliches Verhalten oder menschliche Fähigkeiten reproduzieren. Ich denke es geht viel mehr darum, mit den Fähigkeiten, die wir haben, Dinge zu verstehen versuchen, die sich innerhalb bestimmter Systeme ereignen, so z.B. in der Physik, in der Wirtschaft, oder auch in der Umwelt, in Systemen also, die wir nicht kontrollieren können.
Weil das so ist, versucht man die Probleme auf eine künstliche Art zu lösen, die einem rational erscheint und betrachtet sie so, als hätten sie etwas mit der Art wie wir denken zu tun. Damit ist aber nicht gesagt, daß die internen Prozesse dieser Systeme diejenigen sind, die auch in uns ablaufen.
In den ganz frühen Tagen der KI dachte man, daß man in der Lage wäre, Dinge zu beweisen. Heute aber sieht man, daß aus dem Anwendungsbereich so komplexe Fragestellungen kommen, daß es unmöglich ist, etwas zu beweisen. Z.B. in der Telekommunikation ist es oft notwendig, nicht erst Beweise zu finden, sondern gleich zu Lösungen zu kommen. Im Bereich der DAI (Distributed Artificial Intelligence) sprechen wir von komplexen Systemen, wobei wir über keine vollständige Beschreibung dieser Systeme verfügen. Wir kennen Teilfunktionen, Teile der Architektur, wir kennen Inputs, Outputs, wir verfügen lokal vielleicht über Vorstellungen von einem optimalen Design, doch es gibt keine präzise Vorstellung davon, wie das als globales Modell funktioniert.
A.M.: Geht es also auch um die Frage der Subjektivität - Objektivität sowohl im Aufbau der Systeme als auch in deren Interpretation?
Y.D.: Das ist vielleicht eine der Besonderheiten dieses Forschungsbereichs. Wir sind innerhalb der KI wahrscheinlich die Einzigen, die sich diese Frage über den Unterschied zwischen subjektiver und objektiver Repräsentation stellen. Kein Agent hat ein vollständiges und richtiges Wissen über das was passiert. Und das zweite ist, daß es keine zwei Agenten gibt, welche exakt dieselbe interne Repräsentation haben. Bei uns werden nicht viele Grundsätze dieser Art erzeugt.
Hier liegt der Unterschied zur traditionellen KI. Sobald man eine Anzahl von Agenten mit jeweils ihren eigenen Weltrepräsentationen hat, ist die Frage, wie man es schafft, daß der Entwickler, der Nutzer und das System so zusammenarbeiten, daß es funktioniert. Ich denke das ist die Grenzfrage für uns, wie diese drei Faktoren zusammenwirken. Daneben oder darüber gibt es keine objektive Repräsentation. Alles ist subjektiv. In gewisser Weise hilft das sogar. Denn wenn man von einer objektiven Welt ausgeht, dann heißt das, daß man einen Code aufschreiben muß, der diese repräsentiert, was wohl unmöglich ist.
Wenn man in sozialen Metaphern spricht, dann ist das, was Objektivität erlangt, mehr eine Art von Kristallisation verschiedener subjektiver Repräsentationen, was aber bloß soziale Ursachen hat.
Wenn man an ein Modell der menschlichen Gesellschaft denkt: Es gäbe so viele Agenten, wie es Leute gibt. Wer kann wirklich behaupten, zu verstehen was passiert? Es gibt Gesetze, Regierungen, soziale Einschränkungen. Es scheint alles mehr oder weniger zusammenzupassen. Doch die wahre Dynamik dessen, was passiert, ist ein Mysterium und vielleicht ist es besser, das so zu leben, als wenn es ein Mysterium wäre.
A.M.: Aus Ihrem Einleitungsstatement habe ich herausgehört, daß man nun versucht, die Kommunikationsprotokolle für die Kommunikation zwischen einzelnen Agenten in Multiagenstensystemen zu standartisieren. Wie steht es damit?
Y.D.: Wir arbeiten sehr stark an diesem Problem in unserer Gruppe und man kann sagen, daß wir da eine starke Auseinandersetzung mit dem amerikanischen Zugang haben. Dieser ist in etwa so: Da wurde vor 5-6 Jahren die KQML-Sprache (knowledge-query-modelling-language) erfunden, in Stanford, unterstützt von DARPA. Sofort wurde versucht, das als Standard zu etablieren. Die Sprache wurde bei der ISO eingereicht. Die Gefahr ist die, daß man versucht zu standardisieren, wie Kommunikation zwischen intelligenten Agenten abläuft. Dahinter steht aber auch, daß man zu standardisieren versucht, was als Wissen bezeichnet wird - und da glaube ich schon gar nicht daran, daß man standardisieren kann, was Wissen ist. Kommunikation ist wirklich eine Kernfrage, was die Fähigkeit zur Zusammenarbeit im Kontext offener Systeme betrifft. Es gibt einen Bedarf an der Möglichkeit zur Zusammenarbeit, aber wenn die Agenten clever genug sind, werden sie vielleicht eine gemeinsame Sprache finden, ebenso wie die Menschen zu Englisch als Weltsprache gefunden haben. Ich halte es für möglich, daß es nicht nötig ist, daß die User und die Entwickler diese Sprache zur Gänze verstehen, sie müssen nur die Möglichkeit haben, mit den Agenten zu kommunizieren. Standardisierung also im Prinzip ja, es ist wahrscheinlich sehr nützlich, aber bitte auf eine sehr sehr vorsichtige Art. Wir sind deshalb noch so weit von Standardisierung entfernt, denn wenn man in Betracht zieht, daß, wie zuvor gesagt, der User und der Entwickler als Teil des Systems zu betrachten sind, dann ist es schwierig die Eigenschaften ihrer Sprachen nicht in Betracht ziehen. Und das ist bei Sprachen wie KQML der Fall, sie gehen eigentlich von menschlicher Sprache aus. Und es ist nicht gesagt, daß das in Bezug auf Agenten sehr nützlich ist.
A.M.: Welchen Stellenwert hat MAAMAW im Kontext zu anderem Konferenzgeschehen?
Y.D.: Wenn man über die Bedeutung von MAAMAW in Bezug auf Konferenzen in den USA oder im pazifischen Raum nachdenkt, dann ist das meiner Meinung nach vor allem eine Frage der Kultur. Wenn man sich das amerikanische und das europäische Modell ansieht, dann ist es klar, daß Europäer dem Umstand viel sensibler gegenüberstehen, wie schwierig es ist, aus verschiedenen Ländern eine Europäische Union zu bilden. Das ist in den USA nicht der Fall. Man könnte sagen, die USA wurden von oben herab zusammengefügt, während Europa von unten her aufgebaut wird.
Abgesehen davon ist MAAMAW die wichtigste europäische Konferenz für Multiagentensysteme. Letztes Jahr haben wir dann gemeinsam zum ersten Mal eine Konferenz im internationalen Rahmen ausgerichtet, mit Kollegen aus den USA und dem pazifischen Raum und haben beschlossen, diese wirklich internationale Konferenz alle zwei Jahre durchzuführen. Das entspricht ungefähr dem Modell der Konferenzen in der AI, bei der es auch regionale Konferenzen gibt und alle zwei Jahre ein internationales Treffen. Doch wir wollen uns nicht konkurrenzieren und haben beschlossen, die internationalen Konferenzen jeweils in dem Jahr zwischen den großen internationalen KI-Konferenzen durchzuführen.
MAAMAW selbst war immer sehr gut besucht, mit 60-80 Teilnehmern und findet nun zum siebten Mal statt. das nächste MAAMW wird im Frühling 97 wahrscheinlich in Schweden stattfinden.
Es gibt also sehr viele Konferenzen und Workshops, das Gebiet der MAS wächst rasch. Das gesamte Gebiet der Agentenforschung wächst aber noch rasanter. Meiner Meinung nach gibt es viele Leute, die an Agenten arbeiten, die jedoch diesen Aspekt der Multiagentensysteme vernachlässigen. Vielleicht sollte ich das nicht sagen, aber ich befürchte, daß einige Leute, die Agenten herstellen, nur die Begriffe verändern und das nun Agent nennen, was früher KI-System genannt wurde. Und das vor allem, weil der Begriff KI ein wenig unbeliebt geworden ist. Deshalb sollte man das alles gut filtern. Wenn der Begriff Agent dasselbe Schicksal erleidet wie der Begriff Expertensystem, dann wäre das ein echtes Desaster.
A.M.: Aus welchen Quellen wird MAS-Forschung finanziert, man hört ja, daß Forschungsgelder aus dem militärischen und dem Luft- und Raumfahrtssektor rückläufig sind?
Y.D.: Es stimmt, daß in den USA die finanzielle Unterstützung von DARPA und NASA rückgängig ist, sie ist aber immer noch sehr hoch. Neue Sponsoren kommen nicht nur aus dem Entertainment sondern auch aus der Telekommunikation.
In Europa ist das mit dem Geld ganz anders. Der Anteil militärischer Forschung ist von Land zu Land verschieden. In Frankreich war er früher sehr hoch, ist aber stark zurückgegangen. Das Gegenstück aber, bezogen auf die USA, was in den letzten 20 Jahren sehr viel ermöglicht hat, war die Unterstützung auf europäischer Ebene. KI auf der Ebene der Europäischen Kommission wanderte, so wie viele andere Computerbereiche auch, aus dem DG (Directorate General) der Wissenschaft in den DG der Industrie. Das geschah vor zwei Jahren. Das bedeutet, daß es nun sehr viel schwieriger geworden ist, Unterstützung für langfristige KI-Forschung zu erhalten, weil IT nun stärker als Instrument denn als Forschungsgebiet betrachtet wird. Im Klartext heißt das, daß auch die europäischen Gelder für KI rückläufig sind. Wo finden wir also die Gelder? Das Geld kommt nun auch - vielleicht ist das aber nur eine Mode für 2-3 Jahre - aus dem Bereich der Telekommunikation.
Die europäische Frage
Y.D.: Eine Sache, die in Europa viel wichtiger ist als in den USA, ist die soziale Integration und das Zusammenwachsen von Europa selbst. Wie bringt man Kulturen einander näher, wie schafft man Einklang zwischen verschiedenen Sozialsystemen, wie ist das im Rechtswesen, in der Politik. Deshalb denke ich, daß es auf europäischer Ebene Forschungsgelder dafür geben sollte, daran mitzuwirken, Europa zusammenzuführen.
Wenn man die Annahme trifft, daß jeder europäische Staat ein Agent ist, dann ist das eben ein sehr heterogenes System. Wenn man diese Agenten zur Kooperation bringen will, dann braucht es starke Formen des Konsens, wobei jedoch immer die Identität des jeweiligen Agenten respektiert werden muß. Ich hab das schon vorhin gesagt, aber ich denke, daß die Situation in Europa für Forscher im Bereich der MAS sehr inspirierend ist, besonders wegen dieser ethnischen, religiösen, kulturellen und sozialen Vielfalt.
A.M.: Ist Ihre Arbeit eher auf Anwendungen ausgerichtet oder auf langfristige Forschung?
Y.D.: Wir arbeiten auf drei Ebenen. Da ist die theoretische Ebene, auf der wir Modelle komplexer Agenten-Systeme entwickeln. Wir arbeiten auf der Ebene der Entwicklung von Design- und Programmiertools und, das trifft insbesondere auf meine Gruppe zu, wir haben immer schon im Bereich realer Anwendungen gearbeitet, mit Partnern aus der Industrie. Formal gesehen haben wir mit Robotik und Visualisierungen begonnen. Vor vier Jahren haben wir ein Projekt zur Verarbeitung natürlicher Sprachen gestartet. Vor zwei Jahren begannen wir ein Projekt über geographische Informationssysteme und Projekte über Stadt- und Regionalentwicklung. Und dieses Jahr beginnen wir wie alle mit einem Projekt im Bereich Telekommunikation. Ich glaube wir haben schon bewiesen, daß es für MAS viele Anwendungen in sehr verschiedenen Bereichen gibt.
Aber nochmal zurück zur europäischen Frage:
Zum Beispiel Entscheidungsprozesse in Stadt- und Regionalplanung. Hier eine Vereinheitlichung auf europäischer Ebene zu finden, ist gelinde gesagt eine Utopie. Bezogen auf Staaten kann man von Märkten sprechen, doch da wird es noch lange keinen gemeinsamen Markt geben, die Systeme sind zu verschieden. Deutschland und die Niederlande folgen einem Modell, das mehr dem angelsächsischen Denken entspricht, ein lineares Entscheidungsmodell, während in Frankreich, Spanien und Italien ein Entscheidungsmodell der multiplen Kriterien verfolgt wird. Da sind also wirklich zwei grundverschiedene Herangehensweisen und man würde der Vereinheitlichungsfrage am liebsten dadurch ausweichen, indem man sagt, wir entscheiden uns jetzt für das eine Modell und lassen das andere sein.
In Frankreich sieht das so aus, daß es unterschiedliche Aktoren gibt. Es gibt die Bauherren, die Geldgeber, also die Banken, die Stadt, die Region, die Zentralregierung und es gibt die betroffenen Menschen, die in unterschiedlichen Vereinigungen zusammengeschlossen sind. Wir haben ein Werkzeug geschaffen, daß es diesen unterschiedlichen Aktoren ermöglicht, schon vor dem Beginn der eigentlichen Verhandlungen Einsicht in die Absichten und Argumentationsweisen der anderen zu gewinnen. Sie können sich bereits vorher ausmalen, bis zu welchem Punkt die Verhandlungspartner kompromißbereit sein werden und wo wirklich nichts mehr geht. Wir versuchen also die Intervalle zu definieren, innerhalb derer jeder einzelne Akteur wirkliche Freiheit besitzt.
Bei dieser Konferenz haben wir eine Anwendung über geographische Information vorgestellt. Ich glaube, daß geographische Informationssysteme in Zukunft vom selben ökonomischen Interesse sein werden wie heute Telekommunikation. Der Unterschied ist, daß die Telekommunikationssysteme in Europa eigentlich schon recht fortgeschritten sind, während die geographischen Informationssysteme noch ganz am Beginn stehen. Bei unserer Anwendung geht es darum, automatisch Karten aus geographischen Datenbanken entstehen zu lassen. Heute benötigt es 5 Mannmonate, um eine Karte für ein Gebiet von 40 mal 40 Kilometern zeichnen zu lassen. Unser System schafft das in zwei Tagen. Wir haben Millionen von Agenten, welche diese Karte zeichnen . Der ökonomische Aspekt ist der, daß die wirklich wichtige Frage bei geographischen Systemen die ist, die Datenbanken auf dem neuesten Stand zu halten. Es ist nahezu unmöglich, die Karten auf dem neuesten Stand zu halten. Denn die Details verändern sich nahezu jeden Tag. Und wenn es für jeden Ausschnitt 40 Mal 40 Kilometer fünf Mannmonate braucht, um die Karte zu zeichnen, dann ist es völlig unmöglich, eine Karte von Europa immer auf dem neuesten Stand zu halten. Also ist der Ansatz der, daß man in der Lage sein sollte, eine neue Karte herzustellen, z.B. für eine Straßenbaufirma oder einen Agrokulturinvestor, wenn diese Karte benötigt wird, und zwar zu möglichst geringen Kosten.
A.M.: Sind so gesehen, MAS dieser Art nicht die perfekten Jobkiller?
Y.D.: Ich denke ja. Die Frage ist aber, und darüber gibt es in Frankreich gerade ein große Diskussion, ob man einem Job 8 Stunden am Tag nachgehen muß, oder nicht. Ich denke, daß man auch eine Gesellschaft haben kann, wo die tägliche Arbeitszeit vier Stunden beträgt. Wenn man bei der Annahme von 8 Stunden Arbeitszeit bleibt, dann haben wir ein Problem, da kommen wir nicht darüber hinweg. Es gibt Leute, die behaupten, daß diese Technologien zwar Arbeitstellen wegnehmen aber ebensoviele neue schaffen. Da bin ich mir nicht so sicher.
Ich sehe das aber noch ein wenig anders. Die Art von Jobs nämlich, die durch diese neuen Technologien wegfallen, sind wahrscheinlich sowieso überflüssig. Wenn wir beim Beispiel der Kartographie bleiben. Wer braucht diese Karten, die am Tag ihrer Fertigstellung bereits wieder veraltet sind? Es geht also um die Art von Arbeit, die sogenannten niederwertigen Arbeiten, die nach messbaren Einheiten bewertet werden können, wie Zeit oder Stückzahl. Vielleicht ist es also gar nicht so falsch, wenn diese Leute nur mehr vier Stunden am Tag arbeiten müssen.
Es steht die Behauptung im Raum, daß durch die Informationsgesellschaft mehr Jobs im Dienstleistungsbereich entstehen. Das glaube ich allerdings nicht. Der Infohighway bringt eine Menge Geld, er ermöglicht vor allem eine schnelle Zirkulation von Geld, aber er bringt nicht viele neue Jobs.
A.M.: Adam Smith als Mentor der Informationsgesellschaft?
Y.D.: Bezogen auf MAS kann ich nur sagen, das hängt ganz stark davon ab, wofür man diese Systeme einsetzt. Man könnte sehr kompromittierende Fragen über den Einsatz dieser Technologie für europäische Verteidigungssysteme stellen. Ich weiß, daß es Arbeiten auf diesem Gebiet gibt.
Es gibt Systeme, die aus dem Wirtschaftsleben abgeleitet sind und es gibt Systeme, die wiederum auf die Wirtschaft zurückwirken. Wir haben in letzter Zeit verschiedene Organisationsformen studiert, hierarchische, liberal-marktwirtschaftliche. Jedes System hat seine Vor- und Nachteile. Man wird nie sagen können, daß ein System das beste ist und allen Anforderungen genüge leistet. Jedes System bringt Vorteile für bestimmte Anforderungen und Nachteile für andere. Wir können da bestenfalls Hilfe zum Verständnis einzelner Systeme liefern.
Nachsatz: Wir haben immer darauf geachtet, im Rahmen der Technologie zu bleiben. Das Stadt- und Regionalentwicklungsprojekt haben wir gemacht, weil wir die Möglichkeit dazu hatten. Trotzdem bleibt das Problem bestehen. Wenn man so ein System modelliert, das reale Menschen beinhaltet, ist immer die Annahme inkludiert, daß man das Verhalten dieser realen Akteure simulieren könne, doch erscheint mir das in Wirklichkeit unmöglich. Deshalb machen wir keine kompletten Systeme, sondern bloß Systeme, welche Entscheidungsfindung unterstützen. Wir haben nicht den Ehrgeiz, einen menschlichen Akteur zu modellieren. Telekommunikation ist okay, weil das Signal vom User erzeugt wird, Kartographie ist okay, Robotik ist okay, weil die Ziele sehr klar definiert sind. Doch bei allem, was in den Bereich der Sozialwissenschaften reicht, wo es um reale Prozesse in der realen Welt geht, und wo nichtdeterministische Faktoren involviert sind, beschränken wir uns darauf, Hilfestellung zum Verständnis der Systeme zu geben. Die realen Entscheidungsprozesse sollen weiterhin von Menschen untereinander ausgemacht werden. Im internen kulturellen Managment werden wir also sicher keine Jobs wegrationalisieren, das steht auf jeden Fall fest.