Ahmadinedschad in Konkurrenz mit Osama?

Neue Hasstiraden des iranischen Präsidenten

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Der iranische Ort Sahedan ist für den Transitreisenden kein angenehmer Ort. Die Stadt liegt in der Wüste Belutschistan, etwa 60 bis 80 Kilometer von den Grenzen zu Pakistan und Afghanistan entfernt. Die Bevölkerung ist sehr arm, Schmuggel traditionell eine wichtige Einnahmequelle und bewaffnete Männer, die mit düsteren Mienen an offenen Feuern herumstehen, ein gewöhnlicher Anblick. Die wenigen Westler, die sich dorthin wagen, ziehen es vor, im Hotel zu bleiben und dort auf den nächsten Bus zu warten. Der iranische Präsident Ahmadinedschad hat sich nun diesen Ort ausgesucht, um noch einmal Schürholz für seine Brandreden (vgl. Der Irre aus Iran) nachzulegen: Der Holocaust sei ein Mythos, sagte er dort in einer Ansprache, die landesweit im iranischen Fernsehen übertragen wurde.

Bei seiner ersten Rede, die für internationales Aufsehen und Schock sorgte, wollte der iranische Präsident Israel von der Landkarte ausradieren (vgl. Der Kettenhund), bei seiner zweiten Rede sollte Israel nach Bayern verlegt werden, in seiner gestrigen Rede zählte er erneut Europa, aber auch die USA, Kanada oder gar Alaska als alternative Verlegungsmöglichkeiten auf und sprach diesmal ganz explizit aus, was er vorher nur indirekt, aber deutlich genug, zu verstehen gab – die Verleugnung des Holocaust:

Sie (die Europäer) haben ein Märchen geschaffen, das sie das Massaker an den Juden nennen und sie betrachten dies als einen Grundsatz, der über Gott, den Religionen und den Propheten steht.

Vermutlich folgt bald der nächste Aufguss dieser Hetze. Es scheint ganz so, als ob Ahmadinedschad sein Vergnügen daran gefunden hat, derzeit jedes Podium – wie am vergangenen Montag eine Konferenz in Pakistan - als Abschussbasis für neue Medien-Missiles zu nutzen und dabei immer wieder aufs Neue zu demonstrieren, wie wenig ihn der entrüstete Aufschrei westlicher Spitzenpolitiker auf die zuletzt abgeschossenen Provokationen kümmert. Der "Wiedergänger der Revolution" schärft sein Profil als radikaler Muslim und tritt damit in Konkurrenz zu Osama Bin Laden, so sieht das zumindest sein Amtsvorgänger Khatami:

Manche Politiker wollen sogar Osama Bin Laden durch ihren Fanatismus überholen

Der Vergleich soll nicht überstrapaziert werden, aber Ahmadinedschad profiliert sich – Osama Bin Laden nicht unähnlich – über einen von reichlich Hass genährten Antiamerikanismus, der schon bei seiner Wahl zum Präsidenten eine große Rolle gespielt hat. In Iran wurde damit Wahlkampf gemacht, dass die Reformer Annäherungen zum Westen, zu den USA suchen würden und ein wichtiges Moment, das gegen die Reformer angeführt wurde, waren die lauten Ankündigungen von hochrangigen US-Politikern, einschließlich Präsident Bush, die Reformbewegung zu unterstützen, in der Hoffnung, dadurch den Regime-Change in Iran in Gang zu setzen. Viele Iraner wollten das gerade nicht, die Zustände im benachbarten Irak bestärkten sie in der Furcht vor dem "Bush Way of Life".

Das (bisherige?) Scheitern der USA als selbsternannte Ordnungsmacht im Nahen Osten ("Middle East") spielt radikalen religiös motivierten Erlösern in die Hände, ob nun der obskuren Al-Qaida-Organisation oder dem mysteriösen Ahmadinedschad. Die Stationen, an denen der iranische Präsident seine medienwirksamen Attacken auf den Westen und Israel, das als feindliche Bastion des Westens verstanden wird, zündete, sind strategisch gut ausgesucht: zuerst Teheran, die Stadt, in der er Bürgermeister war und auf eine Anhängerschaft zählen kann, ein Heimspiel vor Studenten. Dann Gastspiele an Orten, wo die USA nicht sonderlich beliebt sind und Fundamentalisten zuhause: Mekka, die heiligste Stadt aller Muslime, die Islamische Republik Pakistan - bei der "Internationalen Konferenz zur Unterstützung der islamischen Revolution" –, und schließlich Sahedan im Grenzgebiet zwischen Iran, Pakistan und Afghanistan. Und wenn Ahmadinedschad einmal Feindesland, die USA, betritt, wie im September dieses Jahres, um dort vor den Vereinten Nationen zu sprechen, dann natürlich als jemand, der vom Geist des verschwundenen Imams erleuchtet und beschützt wird.

Kein Zufall auch, dass sich Ahmadinedschad, dem der Stand der Dinge im Irak keine großen Sorgen machen muss, auf das vorgängige Hauptschlachtfeld im Ost/West-Konflikt konzentriert: auf den Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern. Der Irakkrieg hat vielleicht die Oberhoheit in den Schlagzeilen gewonnen, doch das ehemals zentrale Symbol für die Unterdrückung der Muslime durch "westliche imperialistische Kräfte", ist für viele Muslime noch immer eine schmerzende Wunde, aus der man populistisches Kapital schlagen kann. Die Dschihadisten rekrutieren mit dem Israel/Palästina-Argument noch immer Gefolgsleute und Ahmadinedschad versucht damit sein politisches Profil zu stärken. Er trumpft nicht mit besseren realpolitischen Vorschlägen auf, sondern mit einer moralischen Stellungnahme, an der es nichts zu herumzudeuten gibt – vielleicht nicht "irre", aber doch etwas "jenseits".

Dafür hat er die Unterstützung des obersten Führers, Ayatollah Khamenei: Den kehligen Parolen seines Kettenhundes folgen stets geringfügig mildere Formulierungen, die vom Supreme Leader abgesegnet sind, und in der Sache genauso scharf sind. "Die letzten 50 Jahre haben gezeigt", hat der oberste Führer vorgestern (also einige Zeit nach der ersten "Bodenreform-Rede" des iranischen Präsidenten) bei einem Treffen mit dem "Hamas-Supremo" Khaled Meschal verlauten lassen, "dass die Situation (in Israel und Palästina) durch Nachgeben in Verhandlungen mit dem zionistischen Regime nicht verbessert wird." Man solle stattdessen den "Dschihad" forcieren, gerade jetzt, da die USA in der Region besiegt sei. Die Hisbullah im Nachbarland Libanon wird die Worte ihres Wohltäters auch vernommen haben.

Durch die Erdöleinnahmen hat Iran derzeit viel Geld; es hat lukrative Verträge mit Russland, Indien und China abgeschlossen. Selbst wenn Russland Zweifel bekäme an einem Veto bei einer Sicherheitsratsentscheidung über das iranische Nuklearprogramm, das durch die Äußerungen Ahmadinedschads in einem neuen Licht gesehen wird, bliebe noch China als Vetomacht zugunsten Iran. Die Frage ist, wie weit Ahmadinedschad seinen Spielraum in Iran und international ausreizen kann, wer sich auf seine Seite schlägt, wer gegen ihn Farbe bekennen wird. Wie stark ist das liberale, aufgeklärte Bürgertum in Iran in diesen Tagen?