Aktion Feuerzauber
Ungeklärte Fragen zur Befreiung der entführten Lufthansa-Maschine Landshut in Mogadischu
Der Film Mogadischu (ARD) ist gestern mit der Goldenen Kamera geehrt worden. Er handelt von der Befreiung der von Terroristen entführten Lufthansa-Maschine "Landshut" in der somalischen Hauptstadt im Jahr 1977. Anlass, sich einmal mit einem Teil von vielen, bis heute ungeklärten Fragen zu beschäftigen.
Drittens werden wir weitere Vorkehrungen treffen mit den Genossen, die aus der Türkei kommen.
Tower: Wiederholen Sie das.
Landshut: Wieder holt
Tower: Verstanden, wenn die kommen...
In diesem Augenblick stürmte das GSG-9-Kommando die gekaperte "Landshut".
Dies ist kein Dialog aus einem fiktiven Spielfilm, dieser Ablauf ist dem Wortprotokoll des Funksprechverkehrs zwischen "Mogadischu-Tower" und "Captain Mahmud" entnommen. Als ob "Wenn die kommen" das Stichwort gewesen wäre, startete damit der Einsatz.
Manchmal bedarf es eines langen zeitlichen Abstands, um abseits der Tagesaktualität, scheinbar längst Bekanntes noch einmal zu lesen. Der Spielfilm ist der Anlass, sich mit dem Thema erneut zu beschäftigen und neue Frage zu stellen.
Wer etwas Neues entdecken will, sollte auch in dss Archiv gehen, und mit zeitlichem Abstand und dem gewissen, anderen Blick, Geschriebenes neu sehen und bewerten: Manchmal sollte man an ein Regal gehen, ein Buch in die Hand nehmen und es erneut lesen, und manchmal fangen die einzelnen Steinchen im Kaleidoskop an zu rutschen und geben den Blick frei auf etwas ganz Neues – das sind dann die seltenen Momente der Erkenntnis.
Dafür sollte man die Bereitschaft mitbringen, sich von allem zu lösen. Von der bisherigen Sichtweise, von allen bisherigen Deutungen. Man sollte die Bereitschaft mitbringen, gewissermaßen wie ein Außerirdischer auf den Planeten zu kommen, und einfach zu schauen. Und zu berichten. Nicht, was gültige Interpretation ist. Sondern schlicht, und daher besonders schwierig, "einfach" nur das, was zu sehen und was zu lesen ist. Pur. Rein. Und erst dann...
Das mag sehr gewagt klingen, aber nicht anders sollen damals BKA-Beamte vorgegangen sein. Schreiben Schleyers sollen akribisch und assoziativ analysiert worden sein. Man lese die Stern-Berichterstattung aus dem Jahre 1977 und staune: "Das Doppel-S veranlasst die Kriminaler, alle noch lebenden SS-Leute aus Schleyers Bekanntenkreis nach gemeinsamen Aufenthaltsorten abzufragen."
Das kann gar nicht oft genug wiederholt werden. BKA-Beamte fragen frühere SS-Männer. Dies ist auch vor dem Hintergrund zu sehen, dass im vergangenen Jahr das Bundeskriminalamt angekündigt hat, die Vergangenheit so manches BKA-Beamten auf die Rolle zur NS-Zeit aufzuarbeiten. Und so bekommt Geschichte auf einmal eine ganz besondere Brisanz.
Ein verschwundenes Dossier?
Ein Anwalt, der als Vermittler fungierte, soll laut Stern-Berichterstattung des Jahres 1977 gesagt haben:
Wenn die Deutschen das Problem mit Gewalt lösen wollen, werden wir wichtige Informationen durchsickern lassen. Die deutschen Behörden wüssten dann nicht mehr, was sie tun sollten." (...) Die Terroristen hätten Schleyer in den ersten Tagen unter Drogen gesetzt und ihn dann über führende Personen aus Politik und Wirtschaft in der Bundesrepublik "auspacken" lassen. Seine Aussagen hätten sie in einem 80 Seiten umfassenden Dossier über den Bonner Staat zusammengefasst. (...) Wenn dieses Dossier in der Öffentlichkeit bekannt wird, muss die Regierung Schmidt zurücktreten.
Wo ist dieses Dossier? Warum wurde es bis heute nicht veröffentlicht? Weder von unseren Medien, noch von den Terroristen? Was steht drin? Welches Wissen gibt es? Was ist die Wahrheit? Die Schilderung stammt aus dem Jahr 1977. Damals hätten wohl nur Piratensender, Raubkopien oder Flugblätter die Wahrheit verbreiten können. Aber heute, in Zeiten des Internets, müsste es doch die Möglichkeit geben, an das Dokument zu kommen, es überprüfen zu lassen, und, falls es tatsächlich solche Brisanz geben sollte, es zu veröffentlichen.
Um die ganze Geschichte erzählen zu können, bräuchte man eigentlich sowohl die Originalbänder, als auch die Beteiligten im Interview und Zugang zu noch unter Verschluss gehaltenem Material. Wer diese drei klassischen Komponenten des Journalismus bekäme, der hätte die Chance auf die Wahrheit, die ganze Wahrheit. Bis dahin gibt es die Möglichkeiten, Fragen zu stellen. Dies geschieht selten genug.
Es gibt eine Szene, die in allen Spielfilmen und Dokumentationen wiederholt wird, und die sich auch in den Funksprüchen findet, die vom Stern veröffentlicht wurden:
Wir haben schon die Sprengsätze überall im Flugzeug angebracht und alle Sitze und den Boden des Flugzeugs mit Alkohol getränkt. Deshalb brauchen wir nichts. Wenn nur jemand in der Maschine eine Zigarette anzündet, wird alles vorbei sein, sie wird in tausend Stücke explodieren.
Bitte? Bei der Aktion Feuerzauber sollen doch Blendgranaten gezündet worden sein und es soll eine wilde Schießerei gegeben haben – doch explodiert ist nichts. Trotz all der Funken. Irgendetwas kann also nicht stimmen. Nur was?
Alkohol allein kann nicht die beschriebene Wirkung entfalten, sonst wäre jede Kneipe eine Feuerhölle. Die Passagiere wurden mit Alkohol überschüttet. So konnten die eindringenden GSG-9-Männer die Passagiere auch am Geruch von denen unterscheiden, die sie dann erschossen.
Es gibt viele solcher Ungereimtheiten. Oder ist der Text metaphorisch gemeint? Spreng-Sätze. Also versteckte Befehle zum Losschlagen. Oder ist es der Hinweis darauf, dass noch andere Kampfmittel an Bord waren? Und Dritte diese hätten zünden können, wenn der Wettlauf mit der Zeit, die Verhandlungen in einer gewissen Art entschieden worden wäre. Und quasi zur Vorsichtsmaßnahme gegen noch Schlimmeres die Sprengmittel hätten gezündet werden müssen?
Das Protokoll des Funksprechverkehrs zwischen "Mogadischu-Tower und dem Terroristenchef", wie es 1977 durch den Stern publiziert wurde, bietet die Möglichkeit, es auf Ungereimtheiten zu hinterfragen und es ähnlich zu lesen, wie die BKA-Beamten Schreiben gelesen haben, die jedes Wort auf seine Code-Bedeutung abklopften. Auch der Kapitän der "Landshut" soll Botschaften übermittelt haben. Warum nicht auch Kapitän Mahmud und die verschiedenen Gesandten, die mit ihm reden?
Die Zeitangabe, die beispielsweise vergeht zwischen der Ansage "dass in genau in einer Stunde und zehn Minuten gesprengt wird" und der Ansage "noch 31 Minuten bis zum Ende des Ultimatums" ist falsch. Denn wenn man die Passagen liest, die sich zwischen beiden Zitaten befinden, vergehen keine 41 Minuten. Dafür könnte es mindestens sechs Erklärungen geben:
- Die Abschrift ist falsch, es fehlen Teile.
- Und/oder auf dem Tonband fehlen Passagen.
- Oder es handelt sich um zwei unterschiedliche Maschinen.
- Oder: das eine Timing ist für die Botschaft, das Dossier mit dem Sprengstoff, der veröffentlicht werden soll, das andere das Flugzeug.
- Oder es gibt einen Zünder an Bord, über den Mahmud nicht verfügt, und dem es zuvorzukommen gilt.
- Oder aufgrund des Stresses irrt er sich einfach.
- Oder?
Zweites Flugzeug mit "gedoubelten" Häftlingen
Für z.B. einen neuen Dokumentarfilm wäre es hilfreich, die Bänder zu erhalten und mit den Beteiligten zu reden, auch mit denen, mit denen bislang noch nicht gesprochen wurde, die nicht so sehr im Rampenlicht standen, und Zugang zu internationalem Archivmaterial zu bekommen.
Der Spiegel schrieb in dem Artikel "Leben gegen Leben" in Ausgabe 43/2007, Geheimdienstler hätten die Aufgabe gehabt, "das Undenkbare zu denken":
So wird überlegt, die Terroristen tatsächlich freizulassen, sie aber in einer Flugzeug-Dublette "einzubunkern", ein zweites Flugzeug mit "gedoubelten" Häftlingen würde am gewünschten Zielort landen.
Noch einmal zum Verstehen, zum Nachdenken, langsam zum Mitschreiben: Nicht irgendeine Postille, sondern der Spiegel schrieb 2007, dass es offenkundig die Möglichkeit gab, Look-alikes der Häftlinge zu beschaffen, also Menschen, die aussahen wie Andreas Baader und die anderen! Doubles der Top-Terroristen! Und ebenso ein Flugzeug zu doubeln. Eine Sensation, die offenbar bislang noch nicht zündete. Kein Aufschrei ging bislang durch die Medien. Leben diese Menschen noch? Oder sind sie tot? Wo sind sie, kann man mit ihnen reden? Dies ist kein Hollywood-Reißer. Sondern Fakten. Mitten aus Deutschland. 30 Jahre später sickern jetzt solche Informationen durch. Zeit, für die ganze Wahrheit. Was geschah wirklich? Noch genügend Rechercheaufgaben also. Beginnen wir damit, nach dem Undenkbaren zu fragen.
Könnte es sein, dass trotz all der Spielfilme, Dokumentationen, Bücher zwar optisch opulent Ereignisse dargestellt wurden. Doch die Suche nach der Wahrheit, nach der Geschichte hinter der Geschichte bislang noch nicht einmal begonnen hat?
In der Stern-Publikation des Jahres 1977 heißt es: "Die Dokumentation der Bundesregierung zur Entführung von Hanns Martin Schleyer und der Lufthansa-Maschine "Landshut" hat viele Fragen offengelassen." Nach der Nachrichtensperre kam die offizielle Verlautbarung. "Als Kompensation fürs Fasten sozusagen eine Diät", schrieb die "Deutsche Zeitung/Christ und Welt." Ein ungewöhnliches Zitat. Und eine ungewöhnliche Quelle, die so prominent wiedergegeben wird. "Dafür waren nicht nur Sicherheitsbedenken maßgebend, denen auch der Journalist unterliegt."
Wie bitte?
Es wird Zeit, Fragen zu stellen.
Zu dem Zeitpunkt müssen sehr viele Flugzeuge unterwegs gewesen sein. Von Sicherheitskräften verschiedener Nationen, Privatmaschinen, Medienvertreter, etc. Das ist übrigens auch eine Frage des Towers: "Welches Flugzeug bitte?" Scheint ja verdammt viele davon zu geben.
Antwort von Mahmud: "Das die Delegation gestern brachte. Weiter fordern wir, dass die somalischen Streitkräfte das Lufthansa Flugzeug auf dem Rollfeld umzingeln."
Tower: "Die Maschine, von der Sie gerade sprachen?"
Verwirrung. Große.
"Nein, ich spreche von der, die gerade ankommt. Drittens: Niemand darf die beiden Lufthansa-Maschinen verlassen."
Wie viele Flieger gab es eigentlich? Das klingt, als sei mitten in der Wüste ein Betrieb gewesen wie auf dem Frankfurter Flughafen zur Messezeit. Schon wieder die Zahl drei, was auch immer das bedeuten mag. Gab es möglicherweise sogar mehrere entführte Maschinen? Wegen der Nachrichtensperre ist bis heute nur ein Teil bekannt. Eine Frage lautet, ob sich heute rekonstruieren ließe, mit Hilfe von "plane spottern", Archiven unterschiedlicher Länder und noch nicht gehobenen Schätzen von Funkamateuren, welche Maschinen von Sicherheitskräften verschiedener Nationen, Privatmaschinen, Medienvertreter, etc. zu welchem Zeitpunkt wo waren?
Auch die GSG-9-Männer sollen an einer Maschine geübt haben. Aber welche ist welche? Und wer ist wer? Die GSG-9-Beamten setzten Blendgranaten ein. Was, wenn es außerdem gewissermaßen einen Doppelblindversuch gegeben hat? Was, wenn der Einsatz mit den Blendgranaten die Blendgranate im übertragenen Sinn war? Die Welt sollte geblendet werden. Alle Welt schaut auf das Ereignis, dorthin wurde die ganze Aufmerksamkeit gelenkt. Währenddessen...Operation Feuerzauber...Noch einmal, erinnern wir uns an den Spiegel-Artikel, der deutsche Politiker zitiert, es habe die Option gegeben, sogar Flugzeug-Doubletten einzusetzen.
Fortsetzung folgt.