Al-Qaida bittet um humanitäre Hilfe

Sawahiris Lektion

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Bei dieser Nachricht sind manche Augenbrauen in der Fachwelt in Bewegung geraten: Aiman Sawahiri, der als strategischer Vordenker der Al Qaida gilt, lancierte Anfang der Woche einen per Videoband einen Appell der Terrororganisation, in dem er Muslime weltweit zur Hilfe für die Erdbebenopfer in Pakistan aufrief. Eine Premiere, so die Experten, und ein deutliches Signal dafür, dass al-Qaida dazu gezwungen ist, den Kampf um Hearts and Minds der Muslime mit neuen (PR-)Strategien zu führen.

Die vielen Selbstmordattentate im Irak, die meist der Qaida-Filiale unter der Führung von Sarkawi zugerechnet werden, denen vor allem muslimische Glaubensbrüder zum Opfer gefallen sind, haben dem Image der Qaida-Dschihadis zugesetzt (vgl. Die Phantome des Dschihad). Für Marc Lynch, den amerikanischen Spezialisten für den Strukturwandel der arabischen Öffentlichkeit (vgl. USA vs. Demokratie "Arab Style"), bestätigt der Aufruf von Sawahiri, dass die Führung der Organisation die öffentliche Meinung der arabischen Welt genauestens verfolgt und sehr darauf bedacht ist, dort neues Terrain zu gewinnen.

Aufrufe zur humanitären Hilfe gehören nicht gerade zum gängigen Repertoire der Qaida, die Premiere bei der aktuellen Katastrophe in Pakistan hat eine Vorgeschichte. Bei der Tsunami-Katastrophe Anfang dieses Jahres wurden arabische Regimes für ihren kärgliche Hilfeleistungen an die betroffenen Länder heftig kritisiert. In einigen Kommentaren wurde auch al-Qaida vorgeworfen, dass deren Schweigen zur tragischen Katastrophe einmal mehr zeige, wie egal der Organisation das Wohl und Wehe vieler Muslime sei. Obendrein sollen manche Vergleiche mit der Unterstützung der USA angestellt haben - Vorwürfe, die offensichtlich Wirkung gezeigt haben und Lektionen, die gelernt worden sind.

Denn jetzt bemühen sich einige arabische Länder sehr, den pakistanischen Muslimen großzügigere Hilfe zukommen zu lassen und, so die Folgerung von Lynch: Al-Qaida konnte dieses Feld nicht länger den verhassten arabischen Regimen (bzw. den USA) überlassen, ohne politisch dafür zu büßen.

Dass al-Qaida schon seit längerem mit dem Rücken zur Wand mit immer größerer Dringlichkeit um die Herzen und Köpfe der muslimischen Brüder kämpfen muss und sich deswegen immer stärker auf einen Medien-Krieg verlegt, beobachtet auch Fawaz Gerges, Professor für Middle-Eastern-Studies in New York. Der Propaganda-Krieg sei mindestens so wichtig wie der bewaffnete Kampf; Bin Laden und Sawihiri würden genau wissen, dass ihr Überleben von der Unterstützung der öffentlichen Meinung der Muslime abhänge. Die Qaida erweise sich dabei als "sehr kreativ" und schlau im Ausnutzen von Ressourcen und Möglichkeiten:

In einer faszinierenden Innovation brachte eine Webseite, die in Verbindung mit al-Qaida steht, eine Stellenanzeige, in der Leute für Aufgaben gesucht wurden, die allesamt mit Medientätigkeiten zu tun hatten: das Zusammenstellen von Berichten über Anschläge, die von Aufständischen im Irak ausgeführt wurden, als Text und als Video, sowie das Sammeln von Informationen, die von Satellitensendern ausgestrahlt werden, und die Aktivitäten von militanten Islamisten in Palästina, Irak und Tschetschenien betreffen. Den Anforderungen in CIA-Stellenangeboten spiegelbildlich gleichend wurde in der Anzeige nach Bewerbern gefragt, die Arabisch und Englisch in Sprache und Schrift exzellent beherrschen.

Wer Interesse hat, soll zuerst beten, dann ein Formular ausfüllen und auf eine Antwort warten (vgl. Freie Stellen bei der Propaganda-Abteilung der islamistischen Terroristen).