Al-Qaida und Iran, Bin Laden und Hitler/Lenin

Mit einer gefährlichen Rhetorik will US-Präsident Bush die Menschen wieder hinter sich bringen und spricht erneut vom geschichtlichen Auftrag im Krieg gegen den Terrorismus, wobei die Schiiten und der Iran nach al-Qaida zum neuen Feind aufrücken

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Vor den anstehenden Kongresswahlen im November versucht die Bush-Regierung, die Aufmerksamkeit wieder ganz auf die Erinnerung an den 11.9. und damit auf die Angst vor und den Krieg gegen den Terrorismus zu richten, um dem vor allem durch den Irak-Krieg verursachten Popularitätsverlust des Präsidenten und der Republikaner etwas entgegenzusetzen. Mit dem Terror hat sich US-Präsident überhaupt erst wirklich durchsetzen und lange Zeit innenpolitisch fast unangefochten regieren können. Ähnlich wie das Weiße Haus aus den Anschlägen vom 11.9. eine geschichtliche Sendung der jetzt lebenden Generation zur Rettung von Freiheit und Zivilisation vor dem Bösen ableitete, greifen die Spin-Doktoren um Bush nun wieder zu denselben Mitteln, aber dramatisieren die Situation noch und stilisieren den Weltkrieg gegen den Terrorismus als den „großen ideologischen Kampf des 21. Jahrhunderts“, den er mit dem Kampf im 20. Jahrhundert gegen den Faschismus und Kommunismus oder den Totalitarismus gleichstellt – und damit die USA und sich als Retter aufbaut, ohne die der Rest der Welt verloren wäre. Auch Hitler und Lenin werden bemüht, wieder ist die Rede vom „Ruf der Geschichte“ – und Bush schießt sich über al-Qaida auf einen neuen Feind ein: den Iran.

US-Präsident Bush bei seiner Rede vor der Military Officers Association of America am Dienstag. Bild: Weißes Haus

Um die globale Bedrohung durch al-Qaida und die islamistischen sunnitischen und schiitischen Terroristen richtig zur Geltung zu bringen, muss Bush wie nach dem 11.9. diese zu mächtigen Gegnern aufblähen. In seiner Rede, die den Start des Wahlkampfs markiert, werden viele Äußerungen Bin Ladens zitiert. Sie sollen deutlich machen, dass die muslimischen Vertreter des Bösen Großes im Sinne haben und dies mit allen Mitteln erreichen wollen. Sie wollen aus allen muslimischen Ländern die Ungläubigen vertreiben und diese von Europa über Nordafrika und den Mittleren Osten bis hin zu Südostasien zu einem Superstaat, einem „Kalifat“, vereinen, das von der „hassvollen Ideologie“ regiert wird. Bush verweist auf das Taliban-Afghanistan als Modell für den geplanten Gottesstaat, in dem es dann tatsächlich keine Freiheit und keinen Rechtsstaat mehr geben würde, dafür aber grausame Unterdrückung, eine Männerherrschaft und zahllose Verbote.

Das Taliban-Regime lässt sich als totalitäre Gesellschaft beschreiben, ob man diese von einer religiösen Ideologie beherrschte Gesellschaft aber sinnvollerweise mit dem Faschismus und dem Kommunismus vergleichen kann, ist höchst fraglich und zudem wahrscheinlich kontraproduktiv. Der Vergleich legt sich aus der Sicht der Bush-Strategen zwar nahe, weil man aus dem Zweiten Weltkrieg und dem Kalten Krieg ein Vorbild für den gegenwärtigen Einsatz der USA und auch für den Erfolg ziehen will, während man sich gleichzeitig in die Kontinuität der amerikanischen Geschichte als Träger von Freiheit und Demokratie einschreibt, um sie zu vollenden. Dazu kommt die nicht nur bei Bush zu findende Neigung, die Geschichte in ein religiöses Licht zu tauchen und sich so in einem möglicherweise endgültigen, apokalyptischen Kampf zwischen dem Guten und dem Bösen zu sehen. Zumindest spricht Bush davon, dass er in dem auf der ganzen Welt entschieden geführten Krieg nur eines akzeptieren könne: den „totalen Sieg“. Der religiöse Hintergrund dürfte auch verhindern, dass Bush und die Seinen die religiösen Dimensionen des Handelns der Islamisten nicht erkennen können und immer nur von Welteroberungsplänen, einer bösen Ideologie, einem pervertierten Islam oder dem Hass auf die Freiheit, repräsentiert durch die USA und Bush/Cheney, sprechen können.

History teaches that underestimating the words of evil and ambitious men is a terrible mistake. In the early 1900s, an exiled lawyer in Europe published a pamphlet called "What is to be Done?" -- in which he laid out his plan to launch a communist revolution in Russia. The world did not heed Lenin's words, and paid a terrible price. The Soviet Empire he established killed tens of millions, and brought the world to the brink of thermonuclear war. In the 1920s, a failed Austrian painter published a book in which he explained his intention to build an Aryan super-state in Germany and take revenge on Europe and eradicate the Jews. The world ignored Hitler's words, and paid a terrible price. His Nazi regime killed millions in the gas chambers, and set the world aflame in war, before it was finally defeated at a terrible cost in lives.

Bush muss dabei beschwören, dass man die Worte der islamistischen Führer – sie werden vom Weißen Haus auch auf einer eigenen Seite zitiert - ernst nehmen müsse, um frühzeitig zu verhindern, dass aus kleinen Anfängen wie im Faschismus und Kommunismus, wie bei Hitler und Lenin dann gefährliche Mächte entstehen, die sich dann nur mit großen Opfern besiegen lassen. Damit wertet er nicht nur Bin Laden, der irgendwo, vermutlich relativ machtlos, in einem Kaff in den Bergen an der afghanisch-pakistanischen Grenze lebt, und andere Vertreter der islamistischen Szene zu einem Feind auf, der auf derselben Ebene wie der Präsident der globalen Supermacht agiert, er macht sich auch die einfache Erzählung des Weltbilds zu eigen, in dem es nun auf beiden Seiten nicht um komplexe politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Sachverhalte in einer globalisierten Welt mit einer langen Geschichte geht, sondern um den Kampf zwischen dem Guten und dem Bösen, dem Sieg der Freiheit oder des Islam und der Vernichtung der Terroristen oder der Ungläubigen. Diese Reduzierung auf ein einfaches, filmreifes Drama, das bereits den Erfolg von Bush in den ersten Jahren nach dem 11.9. sicherte, macht diese Botschaft gefährlich. Die Folgen des Kriegs gegen das vermeintlich Böse werden auf beiden Seiten der ideologisch Verblendeten nicht wahrgenommen, weil immer neue Böse – Bush spricht beispielsweise mythisch von den „Kräften der Dunkelheit und der Tyrannei“ - produziert werden müssen, um die Gefolgschaft zu halten, die Realität auszublenden und die Wut, die Angst und die Vorurteile zu stabilisieren.

Obgleich das Hussein-Regime weder mit al-Qaida noch mit dem Islamismus etwas zu tun hatte und der Irak erst nach der „Befreiung“ zu einem Kampfgebiet auch für Islamisten wurde, so dass sich hier auch al-Qaida eingeklinkt hat, stellt Bush nun die Notwendigkeit, sich nicht aus dem Land zurückzuziehen, so dar, dass für Bin Laden die wichtigste Front gegen die USA im Irak liegt. Fällt der Irak, so Bush in einer anderen Rede, so stehen die Islamisten bald in den USA. Jetzt sagt er:

For al Qaeda, Iraq is not a distraction from their war on America -- it is the central battlefield where the outcome of this struggle will be decided.

Doch Bush bereitet auch eine neue Front vor. Er setzt sunnitische (al-Qaida) Extremisten mit schiitischen gleich. Natürlich nicht, um die dahinter liegenden Konflikte zwischen beiden Gruppen zu diskutieren, das würde die einfache Geschichte zu kompliziert machen. Die Schiiten sind nur ein anderer Aspekt der Gefahr, die von den islamistischen Terrornetzwerken ausgeht. Noch dazu ein viel älterer, denn schließlich haben die schiitischen Extremisten bereits 1979 im Iran die Macht an sich gerissen, eine Tyrannei aufgebaut und die Mittel des Landes benutzt, um Terror zu verbreiten und ihren radikalen Plan zu verfolgen. Dass dabei die US-Regierung auch ihre Hand im Spiel hatte, eine demokratische iranische Regierung stürzte, die Diktatur des Schahs unterstützte und schließlich Saddam Hussein im Kampf gegen den Iran half, während Rumsfeld und die US-Regierung damals den irakischen Einsatz von chemischen Kampfstoffen übersahen, bleibt natürlich in dem sorgfältig gestrickten Bild des Ideologen eine Leerstelle. Dafür werden dann al-Qaida und sunnitischen Extremisten mit der iranischen Regierung gleichgestellt, weil sie dieselben Ziele verfolgen würden. Daher müsse man auch die Äußerungen etwa von Hisbollah-Führer Nasrallah oder vom iranischen Präsidenten Ahmadinedschad ernst nehmen.

The Shia and Sunni extremists represent different faces of the same threat. They draw inspiration from different sources, but both seek to impose a dark vision of violent Islamic radicalism across the Middle East. They oppose the advance of freedom, and they want to gain control of weapons of mass destruction. If they succeed in undermining fragile democracies, like Iraq, and drive the forces of freedom out of the region, they will have an open field to pursue their dangerous goals. Each strain of violent Islamic radicalism would be emboldened in their efforts to topple moderate governments and establish terrorist safe havens.

Nach der nun erneut vorgestellten Nationalen Strategie zur Bekämpfung des Terrorismus stehen kurzfristig vier Ziele im Vordergrund. Erstens müsse man zur Verhinderung von Terrorismus den Krieg zu den Feinden bringen, was mit der Gleichsetzung von al-Qaida und Iran nichts Gutes ahnen lässt. Dazu gehöre auch der Ausbau von Sicherheit und Überwachung in den USA selbst. Zweitens müsse verhindert werden, dass „Schurkenstaaten“ Massenvernichtungswaffen erhalten oder entwickeln können. Auch das ist kein neues Ziel, aber sehr wohl auch gegen den Iran gerichtet. Drittens sollen keine Unterschiede zwischen Terroristen und Unterstützern gemacht werden. Viertens müsse Terroristen jedes Gebiet streitig gemacht werden, das sie als Rückzugs- und Angriffsgebiet nutzen können. Das betrifft nicht nur Territorien, sondern auch „immaterielle oder virtuelle Schutzhäfen, wie sie in Rechts-, Cyber- und Finanzsystemen existieren“. In der Rede verweist er noch auf ein fünftes Ziel: Die „Verbreitung der Hoffnung auf Freiheit“.

Ob es US-Präsident Bush schaffen wird, mit der angekündigten Serie von großen Reden über den globalen Krieg gegen den Terrorismus die Menschen erneut hinter sich zu bringen, muss man abwarten. Falls es der Bush-Regierung gelingen sollte, dass die US-Bürger sich wieder als eine „Nation im Krieg“, in einem Schicksalskrieg“, sehen, dann müsste auch etwas geschehen, um diese Stimmung zumindest bis zu den Wahlen aufrechtzuerhalten. Die meisten Amerikaner dürften, geht man nach den Umfrageergebnissen, der Meldungen aus dem Irak müde sein, die keinen Erfolg sehen lassen, sondern ein Land zeigen, das ebenso wie Afghanistan mehr und mehr ins Chaos und in den Bürgerkrieg sinkt. Auch mit den vereitelten, oft genug kaum wirklich gefährlichen Anschlagsplänen dürften die Menschen nicht mehr länger mobilisierbar sein. Ein Terroranschlag in den USA würde die Glaubwürdigkeit der Regierung, bereits angeschlagen von Katrina, als erfolgreiche Schützerin vor dem Terrorismus vollends unterminieren. Bliebe möglicherweise die Zuspitzung des Konflikts mit dem Iran und eine erneute militärische Intervention. Und genau darauf scheint diese Rede von Bush zu setzen.