Aladin: Vom französischen Märchen zum amerikanischem Klischee

"Kulturelle Aneignung". New Orleans, Mardi Gras Day, 2006. Foto: Infrogmation / CC BY 2.5

Disney soll die Hauptrolle im neuen Aladdin-Film mit einem "Middle Eastern Actor" besetzen. Wer glaubt, die Geschichte vom Straßenräuber mit seiner Lampe wäre ein Abbild arabischer Kultur, hält auch Disney-Filme für historische Dokus

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Dass sie nun die "authentische" und kultursensible Wiedergabe einer Fiktion fordern, die wiederum selbst nur die Adaption einer anderen Fiktion ist, macht die Sache an sich schon reichlich absurd.

Tausend und eine Nacht hat das Casting zwar nicht gedauert, aber lange schien es unklar, ob Regisseur Guy Ritchie überhaupt noch eine Besetzung für die Realverfilmung des Disney-Klassikers Aladdin finden wird. Über Monate hatte Disney tausende junge Schauspieler gecastet, die nicht nur tanzen und singen können mussten, sondern zudem auch noch einen Middle Eastern Background haben sollten, wie es in der Ausschreibungen hieß.

Dass nun der ägyptisch-stämmige, wenn auch völlig unbekannte Schauspieler Mena Massoud für die Rolle des jungen Straßenräubers gewonnen wurde, dürfte zumindest all jene Kritiker zufrieden stellen, denen schon die Ankündigung einer Aladdin-Realverfilmung ausreichte, um mit Rassismus-Vorwürfen um sich zu werfen: Wollte Hollywood hier einmal mehr die Rolle einer Minderheitenkultur (Aladdin) von einem weißen Schauspieler spielen lassen?

"Cultural Appropriation" (kulturelle Aneignung) heißt der Vorwurf, Vertreter einer dominanten (in der Regel weißen) Mehrheitskultur würden ihre Macht ausnutzen, um sich Teile der Kultur einer Minderheit anzueignen und dadurch abzuwerten. Was unter anderem als Kritik an der zunehmenden Marginalisierung amerikanischer Uhreinwohner bei gleichzeitiger Trivialisierung kultureller Versatzstücke (bspw. Federschmuck zum Fasching) begann, ist längst zum Dauerthema in popkulturellen Debatten der USA geworden und reicht von Aktionen gegen nicht-japanische Sushi-Köche bis hin zum Shitstorm gegen weiße Celebrities mit "schwarz" geflochten Haaren.

Auch in Hollywood begleitet der Vorwurf der Cultural Appropriation längst nahezu jede größere Produktion, deren Handlung außerhalb des amerikanischen Kontinents des 20. und 21. Jahrhunderts angelegt ist. Nicht immer zu unrecht. Schließlich "verdanken" wir das Klischee vom arabischen Terroristen, der stets nur eine weiße Heldentat davon entfernt ist, die (zivilisierte) Welt ins Chaos zu stürzen nicht zuletzt auch Hollywoods Filmfabriken.

Zunehmend trifft der Vorwurf aber auch politisch völlig unproblematische Produktionen. Als bekannt wurde, dass Scarlett Johannson und nicht eine asiatische Schauspielerin in der Hollywood-Adaption des Science-Fiction-Anime "Ghost in the Shell" die Protagonistin (ein Cyborg) spielen sollte, sahen Kritiker dies ebenso als Ausdruck von Rassismus wie die Entscheidung einer chinesischen Produktionsfirma, die Hauptrolle im Blockbuster "The Wall" mit Matt Damon (er spielt einen europäischen Söldner) zu besetzen.

Middle East bezeichnet keinen Kulturraum, sondern eine militärische Einflusszone

Dabei sind es häufig erst die Kritiker, die all das, was irgendwie vom amerikanischen Mainstream abweicht, zur schützenswerten "Kultur" erklären. Dass jene, die anderen Cultural Appropriation vorwerfen selbst mit kaum weniger kulturellen Klischees auskommen als ein durchschnittlicher Disney-Film, zeigt sich auch bei der Debatte um den neuen Aladdin-Film.

Das Problem beginnt schon bei der Forderung nach einem "Middle Eastern Actor". Was die Kritiker für eine authentische Besetzung des jungen Straßenräubers halten, beruht selbst auf einer westlichen Projektion. Der Begriff Middle East ist keine kulturelle Selbstbezeichnung, sondern entstammt dem britischen und amerikanischen Militärsprech. Ende des 19. Jahrhunderts erfand ihn die britische Kolonialverwaltung Indiens, später nutzte ihn die amerikanischen Armee, um ein militärisches Einflussgebiet zu kennzeichnen.

Damit prägt sie bis heute unsere Wahrnehmung eines Teils der Welt, der von Marokko bis Pakistan reicht und hunderte Millionen Menschen unzähliger Sprachen, Religionen und Ethnien umfasst, die nichts miteinander gemein haben als dasselbe westliche Label zu tragen.

Aladin - ein französisches Märchen

Zur Verteidigung der Kritiker mag man einwenden: Ein falsch verwendeter Begriff delegitimiert noch nicht das Anliegen, ein Araber solle den Protagonisten in einem der bekanntesten arabischen Märchen spielen. Schließlich gehört die Geschichte vom Straßenjungen und seiner Wunderlampe zu den populärsten Episoden aus jener Märchensammlung, die wie kaum etwas anderes unser Orient-Bild geprägt hat: Tausendundeine Nacht.

Doch auch dieses Argument hat einen Haken. "Aladin und die Wunderlampe" (erst Disney fügte das zweite "d" von Aladdin hinzu) gibt allein schon deshalb keinen Einblick in arabische Dichtkunst, weil es kein arabisches Märchen ist. Autor der Geschichte ist der französische Orientalist Antoine Galland. Als Galland Anfang des 18. Jahrhunderts mit "Les mille et une nuits" die erste europäische Übersetzung von Tausendundeiner Nacht anfertigte, fügte er die Geschichte um den Straßenjungen, der mit Dschins Hilfe um die Tochter des Sultans kämpft, kurzerhand hinzu.

Gehört hatte Galland die Erzählung wohl erstmals von einem Geschichtenerzähler im syrischen Aleppo. Aber für die niedergeschriebene Fassung passte er sie den Bedürfnissen seiner europäischen Leser unter anderem durch das Weglassen erotischer Szenen an. Zwar existieren mittlerweile längst arabische Versionen von Aladin, doch diese sind Übersetzungen des französischen Originals, nicht andersherum.