Aleppo: Jaish-al-Islam, Wolf im Schafspelz
USA und Russland: Verhandlungen über eine Waffenruhe in der Stadt und die "moderate Opposition" beim Kriegshandwerk
Nur wenn die Kriegshandlungen wieder eingedämmt werden, auf das Level vom Februar und März, haben die Genfer Gespräche Relevanz, mahnte der UN-Sondergesandte für Syrien, Staffan de Mistura, Ende vergangener Woche. Die Führung der russische Föderation und der USA sollten helfen, das "kaum noch lebendige" Abkommen über die Waffenruhe zu retten.
Die Nachrichten, die am Wochenende aus Aleppo kamen, bestätigten, wovor der UN-Hochkommissar für Menschenrechte Zeid Ra'ad Al Hussein am Freitag als "monströse Missachtung des Lebens von Zivilisten von allen Konfliktparteien" bezeichnete. Die Kämpfe im geteilten Aleppo seien so heftig aufgeflammt wie schon lange nicht mehr, berichtete der Spiegel.
Angriffe auf Krankenhäuser, Luftangriffe auf den östlichen Teil der Stadt, der weitgehend unter der Kontrolle der Gegner Assads steht und Angriffe dieser Gruppen auf den westlichen Teil der Stadt, der in Berichten dem Regierungslager zugeschrieben wird und zwischendrin "normales Leben", sogar Hochzeitsfeiern, so schilderte ein Reporter der New York Times, auf dessen Bericht auch der Spiegel zurückgriff, die Situation. Bebildert wurde das mit Fotos von einer blutenden Frau.
Wie immer gehört zur Berichterstattung der sogenannte Fog of War. In sozialen Netzwerken wurde das Foto der verletzten Frau als Manipulation eingeordnet, weil es verblüffende Ähnlichkeiten mit einem älteren Foto von früheren Kampfhandlungen hatte. Die bislang nicht verlässlich geklärte Frage, wer für die Angriffe auf die Krankenhäuser verantwortlich ist - die syrische Luftwaffe, die russische oder gar ein US-Kampfjet (Eskalation der Kämpfe in Syrien) - führte zu den üblichen gegenseitigen Vorwürfen im Stellvertreter-Krieg der Medienberichte.
Wer kann eine Feuerpause in Aleppo durchsetzen?
Die relevante Frage ist, wer eine Feuerpause in Aleppo durchsetzen kann. Gestern Abend berichtete Reuters mit Bezug auf die russische Nachrichtenagentur Interfax von Verhandlungen über eine Waffenruhe in Aleppo. Wobei Waffenruhe nicht das exakte Wort ist. Im Englischen ist von einem "Regime of calm" die Rede. Die Tagesschau, die Generalleutnant Sergej Kuralenko zitiert, übersetzt es mit einem "Regime des Schweigens".
Wer genau mit wem über eine Einstellung oder Beruhigung der Kämpfe verhandelt, ist in beiden Berichten nicht zu erfahren. Verlässlich stand bis gestern Abend nur fest, dass die syrische Regierung die Waffenruhe lediglich in Damaskus und Umgebung und in Ost-Ghouta um weitere 24 Stunden verlängert hatte. Von Aleppo ist in der Mitteilung der staatlichen Nachrichtenagentur nicht die Rede.
Es geht um das bekannte Problem: Terroristen sind vom Waffenstillstand ausgeschlossen. Wer aber zählt dazu? Bei der Al Nusrah-Front, die in Aleppo kämpft, gibt es offiziell keine Unstimmigkeiten, wie kürzlich erst ein US-Regierungsvertreter bekundete. Die Angriffe auf die Viertel in Aleppo, die unter Regierungskontrolle stehen, genannt werden häufig Suleimanja, Midan,Al-Khalidiyah und Al-Zahra - die den Angriffen auf den Ostteil der Stadt in nichts nachstehen- werden laut Berichten aber auch von anderen Gruppen ausgeführt.
Al-Nusra, Ahrar-al-Sham und Jaish al-Islam
Al-Masdar-News, die als regierungsnah gelten, nennt als Angreifer vorneweg die al-Nusra-Front, dazu aber auch Al-Mujahiddeen, Harakat Nouriddeen Al-Zinki sowie die Freie Syrische Armee (FSA). Genannt werden aber auch Jaish Al-Islam. Vom al-Monitor-Journalisten Edward Dark auch turkmenische Brigaden, wie z.B. die Sultan Murad-Brigaden, sowie FSA-Einheiten. Nicht zu vergessen, sind die Verbindungen und Aktivitäten von Ahrar al-Sham in und außerhalb Aleppos.
Diese Gruppen erhalten oder erhielten Unterstützung von den Sponsormächten Saudi-Arabien, Türkei oder den USA. Daran ist auch abzulesen, weshalb die Waffenruhe-Verhandlungen sich schwierig gestalten, um es gelinde auszudrücken. Sehr deutlich ist das an Jaish al-Islam-Führer Mohammed Alloush abzulesen.
Unterstützer Saudi-Arabien
Er wurde Ende Januar von Saudi-Arabien als einer der Verhandlungsführer für die Genfer-Gespräche ausgesucht. Die syrische Regierung und russische Vertreter halten ihn für einen Terroristen. Und haben guten Grund dazu. Zwischen der ideologischen radikal-salafstischen, auf strikte Befolgung der Scharia festgelegte Ideologie der Gruppe und al-Qaida gibt es keine wesentlichen Unterschiede. Der Vater des Friedensverhandlungsführers, Zahran Alloush, war bekannt als rigider Islamist, der Feindschaft gegen Schiiten predigte und brutale Politik betrieb, von Jaish-al-Islam heißt es auch, dass sie nicht vor Giftgasattacken gegen Kurden zurückschreckten. Kurz: als "moderate Rebellen" ist auch diese Gruppe nicht zu bezeichnen.
Selbst der ihner "Ordnungspolitik" anscheinend teilweise gewogene Experte für die syrischen Milizen, der schwedische Journalist Aron Lund, zeichnet in seinem Bericht über Ostghouta das Bild einer brutalen Herrschaft der Jaish-al-Islam, dessen Modell man sich für Syrien niemals wünschen kann. Derzeit gibt es dort kriegerische Rivalitäten zwischen Jaish-al-Islam und anderen Milizen - das Gebiet ist wichtig.
Einmal strategisch, wegen der Nähe zu Damaskus, zum anderen, weil mit dort Jaish-al-Islam eine Gruppe dominiert, die von Saudi-Arabien unterstützt wird. Die Regionalmacht erhofft sich von dort aus den Angriff auf die Herrschaft Bachar-al-Assads. Solange Jaish-al-Islam die Rückendeckung hat, dass die Gruppe nicht zu den Terroristen zählt und also von einer Waffenruhe beschützt wird, bleiben Verhandlungen schwierig, sie laufen gegen die Einheit Syriens. Zu den Unterstützern der Gruppe gehören neben Saudi-Arabien noch die Türkei und Katar.