Aleppo: "Unsere geliebte Stadt ist wiedervereint"
Was Syrer über die Eroberung Aleppos denken
Seit drei Tagen schon soll sich Aleppo unter Kontrolle der syrischen Armee befinden. Aber noch immer scheint nicht ganz klar, was die Eroberung der einstigen syrischen Handelsmetropole eigentlich bedeutet: Besetzung oder Befreiung? Fall oder Glücksfall?
Oppositionelle Aktivisten berichten über Massaker an Zivilisten und zehntausende Menschen, die verzweifelt versuchen würden, vor der Gewalt der syrischen Armee und der mit ihnen verbündeten Milizen zu fliehen. In syrischen und russischen Medien dominiert hingegen ein ganz anderes Bild: Autokorsos ziehen hupend wie nach einem gewonnenen Fußballspiel durch die Stadt. Menschen jubeln gemeinsam mit syrischen Soldaten das Ende der Kämpfe.
Einer der sich über die Eroberung der Stadt freut, ist der 26-jähriger Tahir Amini. Amini studiert im von der Regierung kontrollierten Westteil der Stadt Maschinenbau. Einer seiner ersten Wege habe ihn nach dem Einmarsch der Armee zur historischen Zitadelle in der Altstadt geführt. "Ich wollte unbedingt ein Foto machen. Nach vier Jahren Krieg hätte ich nicht gedacht, sie noch einmal wiederzusehen."
Amini erzählt von der Zerstörung in der Altstadt und der dennoch aufkeimenden Hoffnung: "Überall strömen die Leute wieder in ihrer alten Wohnungen. Es wird viel Zeit brauchen, die Häuser wieder aufzubauen. Aber noch viel mehr Zeit werden wir brauchen, um unsere Seelen wieder aufzubauen."
Weniger euphorisch sieht Tarek Baé die Entwicklung. Der 23-Jährige arbeitet in Berlin als Redakteur der Islamischen Zeitung und hat Angehörige in Aleppo. Baé erinnert sich an die ersten Schießereien in Aleppo und wie er und andere damals dachten, alles sei in zwei Wochen vorbei:
Heute ist der Großteil der Stadt zerstört. Orte, an denen ich saß, aß, lachte, sind ebenerdige Schutthaufen. Was für eine luxuriöse Trauer, wenn ich diese Erinnerungen in meinem warmen Zuhause habe. Während die Einwohner mit gebrochenen Herzen und Seelen Zeugen eines grausamen Bürgerkriegs sind, in dem manche immer noch von einem totalen Endsieg sprechen. Besiegt wurde Schönheit, Leben und Frieden. Aber ein Sieg wird es niemals sein, niemand sieht mehr die Lichter. Die Tränen bleiben.
Tarek Baé
Auch Sami Al-Akhras berichtet von dem Leid, dass die Menschen in der syrischen Millionenstadt erfasst hat. Al-Akhras ist Rugby-Spieler beim Damaszener Rugby-Verein Zenobians, hat aber die letzten Tage in Aleppo verbracht, um - wie er sagt - die Toten zu Ehren. Aber er berichtet auch von Freude über die Eroberung durch die syrische Armee:
Die Zivilisten waren so froh, als die syrische Armee sie befreit hat. ... Die 'Rebellen' aßen und lebten wie Könige, während die Zivilisten keine Chance hatten, an Nahrung, sauberes Wasser oder medizinische Versorgung zu kommen… Überall verlief die Front durch zivile Gebiete. Wenn du ein wahrer Rebell bist und versuchst, etwas für dein Land zu tun, dann wählst du ein leeres Gebiet und nutzt nicht Zivilisten oder Kinder als menschliches Schutzschild.
Sami Al-Akhras
Negativere Erinnerungen an die Rolle der syrischen Staatsmacht in Aleppo hat hingegen Naseeb Rahrouh. Schon im Jahr 2011 musste der 28-Jährige vor dem syrischen Geheimdienst aus seiner Heimatstadt nach Jordanien fliehen. Vor einem Jahr kam er über die Türkei, Griechenland und den Balkan nach Deutschland. Heute hilft er selbst Flüchtlingen in Berlin. Die Darstellung seiner Heimat in deutschen Medien hält er dennoch für irreführend:
Sie zeigen nur die Menschen, die durch die syrische Armee getötet wurden. Aber nirgends erfährt man etwas über die Mörserangriffe der Terroristen. … Mit Sicherheit ist es eine Befreiung. Aber eben auf russische Art. Es ist Krieg und im Krieg gibt es Opfer. Aber am Ende ist es mir lieber, die syrische Armee kontrolliert uns als diese radikalen muslimischen Terroristen.
Naseeb Rahrouh
Ähnlich sieht es auch Ayham Jabr. Der 28-jährige Künstler lebt im Osten von Damaskus. Auch in seinem Viertel schlagen regelmäßig Granaten ein. Am Rande seines Stadtteils liefern sich syrische Armee und Islamisten seit Monaten schwere Gefechte. Auch Jabr erzählt von syrischen Freunden, die in Aleppo auf der Straße tanzten. Von der Berichterstattung in westlichen Medien hält er nichts:
Aleppo ist jetzt wiedervereint. So wie es vor dem Krieg war und so wie es sein sollte. Schande über fast alle westlichen Medien, ich kann nicht glauben, wie sie die Realität verleugnen! … Ich wünschte, ihr könntet sehen, wie die Menschen in Aleppo nach der Befreiung feierten. Aber was kümmert uns die Meinung des Westens. Unsere geliebte Stadt ist wiedervereint, und das ist alles, was zählt.
Ayham Jabr