Alles andere als farbenblind

Ethnische Grenzen im Cyberspace - Die Race in Digital Space Konferenz

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Zum zweiten Mal trafen sich in der vergangenen Woche in den USA Akademiker und Aktivisten, um über die Rolle ethnische Grenzen im Cyberspace zu diskutieren.

Sue Ellen Case, Toddy Boyd und Paul Miller a.k.a. DJ Spooky (Foto: Janko Röttgers)

Im Internet sind alle gleich. Keiner weiß, wie du aussiehst, keiner kennt deinen ethnischen Background. Rassismus ist folglich unmöglich. So oder so ähnlich lautete eine beliebte Internet-Utopie Mitte der Neunziger. Auch Henry Jenkins vom MIT-Institut für vergleichende Medienstudien glaubte lange Zeit an dieses farbenblinde Web. Doch als er dies vor einigen Jahren in einem Seminar zur Sprache brachte, erntete er heftigen Widerspruch. Zahlreiche Studenten wandten ein, dass diese scheinbare Gleichheit oft nur funktioniere, weil Teilnehmer in Chats und Onlinediskussionen automatisch davon ausgingen, es mit einem weißen Gegenüber zu tun zu haben. So berichtete ein asiatisch-amerikanischer Student, per Mail rassistische Witze bekommen zu haben - Witze, die sein Gegenüber ihm nie gesandt, wenn er seinen ethnischen Background gekannt hätte.

Diskussionen wie diese brachten Jenkins und einige Mitstreiter vom MIT und dem USC Annenberg Center im Frühjahr 2001 dazu, erstmals die Konferenz Race in Digital Space zu organisieren. Mitte Oktober traf man sich nun zum Update in Los Angeles: Race in the Digital Space 2.0 sollte dazu Gelegenheit geben, Chancen für emanzipatorische Ansätze nach dem Dotcom-Crash und dem elften September zu analysieren.

Wer spaltet hier wen?

Im Zentrum der Kritik vieler Teilnehmer stand die Rhetorik, mit denen ethnische Grenzen im Cyberspace in der Regel behandelt werden. So meinte etwa Art McGee vom Black Radical Congress, die viel beklagte digitale Spaltung interessiere ihn nicht. Sie sei nur ein Symptom der strukturellen Spaltung unserer Gesellschaft. Tony Wilhelm vom Digital Divide Network erklärte dazu, es gebe heute nicht nur ein Zugangsproblem, sondern vor allen Dingen auch ein Eigentumsproblem. Die großen Content-Websites würden eben immer noch von und für weiße Mittelklasse-Amerikaner produziert.

Konferenz-Mitorganisatorin Anna Everett kritisierte zudem viele Maßnahmen gegen die digitale Spaltung als kontraproduktiv. Wenn Unternehmen für das Spenden veralteter, ausrangierter Computer an Drittweltländer Steuervorteile bekämen, würde die Spaltung nur verfestigt. Moderne Technologie könnte dagegen etwa Aktivisten in Afrika helfen, Medien zu erzeugen, die auch unser Afrika-Bild verändern. Ein oft gehörter Einwand dagegen sei, Menschen in Drittweltländern bräuchten Essen und keine Computer, so Everett. Ihre Entgegnung:

Waffen kann man auch nicht essen - das hält uns nicht davon ab, sie nach Afrika zu liefern.

We be digital.

Neben all der Kritik gab es auch einige positive Ausblicke. So wusste David Crane zu berichten, dass der Wandel der IT-Industrie einen anderen Umgang mit Images von Minderheiten mit sich bringt. Früher hätten Internet-Werbekampagnen in den USA vielfach auf Ausschlüssen und Exklusivität der weißen Mittelklasse basiert. Die neuen Kampagnen von Unternehmen wie NTT Docomo, Motorola und Co. würden dagegen ethnische Grenzen überschreiten, indem sie sich weltweit der gleichen Bilder bedienen. Dass Minderheiten gerade für mobile Technologien zu Trendsettern geworden sind, konnte auch Alexander Weheliye bestätigen. Weheliyes Fachgebiet ist der Einfluss von Mobiltelefonen auf modernen RnB. Der ist mittlerweile so groß, dass kaum noch ein Song ohne die entsprechenden Soundeffekte auskommt und RnB-Sängerinnen bereits "Cellphone Girls" genannt werden.

So neu sei dieser Trend aber gar nicht, fand Todd Boyd. Populär gemacht hätten schließlich den Pager auch nicht weiße Ärzte, sondern schwarze Dealer. Mit dem Mobiltelefon habe sich das Bild verändert - weg vom Drogendealer, hin zum pausenlos telefonierenden schwarzen Entrepreneur Marke Russel Simmons. Und während heute Telekom-Unternehmen verzweifelt an ihrer UTMS-Strategie basteln, hat sich in der schwarzen Popkultur längst der 2-Way-Pager als demokratischstes aller mobilen Endgeräte durchgesetzt. Schwarze als Technik-Trendsetter - Boyd weiß um die Kraft solcher Bilder für den Diskurs um ethnische Grenzen im Reich der neuen Technologien. Deshalb schloss er seinen Vortrag auch mit einem kraftvollen Zitat des Wu Tang Clan-Rappers Method Man:

Fuck y'all analog niggas. We be digital.