Alles eine Frage der Perspektive
Bundesministerin Edelgard Bulmahn erklärt das "Jahr der Technik 2004" zum vollen Erfolg
"Selbst als sich unser Team ins Achtel-, Viertel- und Halbfinale vorgespielt hatte, wurde die Kritik fast lauter als der Siegesjubel. (...) Das Muster ist bekannt: Bloß keine Leistung anerkennen, niemals in Betracht ziehen, von welcher Ausgangsposition wir gekommen sind, immer auf den Misserfolg spekulieren. Kaum stellte sich heraus, dass es doch sehr viel besser steht um Deutschland und auch um den deutschen Fußball; schon bemängelten die Nörgler den 'Stil' des Erfolges."
Bundeskanzler Gerhard Schröder weiß spätestens seit der Fußball-Weltmeisterschaft 2002, dass es Deutschland nicht wirklich schlecht geht. Deutschland wird schlechtgeredet, von nörgelnden Journalisten, humorlosen Wissenschaftlern und neidischen Oppositionsparteien. Sie alle lauern auf ernüchternde Arbeitslosenzahlen, schlechte Wirtschaftsdaten, niederschmetternde Bildungsstudien und renitente Mitglieder aus dem Regierungslager, die sich dem Tross der Querulanten anschließen oder gar eigene Parteien gründen wollen. Doch seit 2002 weiß der Kanzler noch mehr, denn
auch in der politischen Auseinandersetzung können wir von dieser Weltmeisterschaft einiges lernen: Siegeswillen, Teamgeist, das verbindende Ziel, das mehr wert ist als die Malaisen und Interessen einzelner Verbände und Parteien.
Dass Deutschlands Probleme in erster Linie kommunikativer Natur sind, haben mittlerweile auch die Kabinettskollegen eingesehen, die zur Jahreswende gar nicht wissen, wohin mit all den positiven Bilanzen und Aussichten. Während Superminister Wolfgang Clement der staunenden Bevölkerung die dank Hartz IV bis 2010 realisierte Vollbeschäftigung auf den Weihnachtsteller legt, entwirft Powerminister Manfred Stolpe eine völlig neue Lesart des Toll Collect-Desasters: "Das Konsortium hat mit einem enormen Engagement, einem großen finanziellen und personellen Aufwand die Grundlage für die erfolgreiche Realisierung des Mautstarts am 1. Januar 2005 geschaffen." Also praktisch genau zum vorgesehenen Zeitpunkt.
Hans Eichel deutet den Verlauf des Defizitverfahrens gegen Deutschland als "Vertrauensbeweis der Europäischen Kommission", und Edelgard Bulmahn bilanziert die Bildungslage der Nation Ende Dezember mit den Worten: "Das Jahr der Technik 2004 war ein voller Erfolg." Diese Feststellung ist umso bemerkenswerter als die Ministerin nach dem zwischenzeitlichen Scheitern der Juniorprofessuren vor dem Bundesverfassungsbericht, dem bevorstehenden Scheitern des Verbots von Studiengebühren, dem aktuellen Scheitern der Föderalismuskommission und dem erneuten Scheitern bei Pisa & Co. eigentlich keinen Grund hätte, 2004 in die Reihe ihrer ganz persönlichen Lieblingsjahre aufzunehmen. Aber, und auch das hat die Bundesregierung inzwischen gelernt, es kommt eben auf die Perspektive an.
Edelgard Bulmahn betrachtet 2004 deshalb vorwiegend unter dem Aspekt des Wissenschaftsjahres, das ihr Ministerium gemeinsam mit der Initiative "Wissenschaft im Dialog" veranstaltet und unter das Motto "Jahr der Technik" gestellt hat. An sich ein lobenswertes Unterfangen, wenn es darum ginge, aktuelle Missstände und Fehlentwicklungen unvoreingenommen zu thematisieren und zukünftige Entwicklungsziele mit möglichst breiten Lösungsansätzen zu definieren. Doch Edelgard Bulmahn nutzt die zahlreichen Auftrittsmöglichkeiten einmal mehr, um ebenso allgemeine wie nichtssagende Erwägungen von sich zu geben. Die über 1.100 Veranstaltungen hätten "eine breite Öffentlichkeit" für das Thema Technik sensibilisiert und außerdem "zu einem innovationsfreundlicheren Klima unserer Gesellschaft" beigetragen. Was niemand erwartet hat, steht für die Ministerin nun unzweifelhaft fest:
Das Interesse an Wissenschaft, Forschung und Technik ist da und wächst.
Wer nun denkt, dass die 140 beteiligten Unternehmen vorwiegend Werbung in eigener Sache machen wollten und die 1,1 Millionen Besucher einfach nur deshalb gekommen sind, weil man schließlich nicht 24 Stunden lang vor der Glotze hocken kann, hat die bahnbrechende Bedeutung der Wissenschaftsjahre nicht verstanden. "Heute beginnen 72 Prozent mehr Jugendliche ein naturwissenschaftliches Studium als noch 1998", erklärte Bulmahn am Montag in Berlin, und in den Ingenieurwissenschaften sei die Zahl der Studienanfängerinnen und Studienanfänger sogar um 35 Prozent gestiegen.
Das sind erfreuliche Nachrichten für die Wirtschaft, die sich insbesondere für junge, dynamische Spezialisten im Bereich Elektrotechnik und Maschinenbau interessiert, wenn sie neben guten Noten auch Praxis- und Auslandserfahrungen mitbringen. Die 65.000 Ingenieure, die in Deutschland derzeit arbeitslos gemeldet sind und in vielen Fällen schon aufgrund ihres Alters keinen Job mehr finden, spielen in dieser Rechnung keine Rolle. Aber das gilt schließlich auch für die Mehrzahl der Geisteswissenschaftler, die von den Veranstaltern der Wissenschaftsjahre längst als volkswirtschaftlicher Hemmschuh erkannt und darum ausgesondert wurden.
Die maßgeschneiderten High Potentials, nach denen auch im bevorstehenden "Einstein-Jahr 2005" gefahndet wird ("Lust auf Zukunft" oder: Endlich ein Grund zum Feiern), eignen sich aus naheliegenden Gründen sehr viel besser für offizielle Verlautbarungen. Selbst und gerade, wenn diese gar keinen Aussagewert haben sollen.
Innovative Technik made in Germany ist einer der wichtigsten Faktoren für gesellschaftlichen Fortschritt. Sie ermöglicht wirtschaftliches Wachstum, schafft neue Arbeitsplätze und sichert unseren Lebensstandard.