"Lust auf Zukunft" oder: Endlich ein Grund zum Feiern
Die Bundesregierung erklärt 2005 zum "Einsteinjahr"
Das mit den Juniorprofessuren lief nicht so, wie sie es sich vorgestellt hatte. Der Versuch, die Einführung von Studiengebühren zu verbieten, ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zum Scheitern verurteilt. Und auch das Vorzeigeprojekt "Eliteuniversitäten" gehört nicht gerade zu den Erfolgsgeschichten der nationalen Bildungspolitik. Die zuständige Ministerin Edelgard Bulmahn bleibt trotzdem gelassen. Getreu dem Motto: "Man muss die Welt nicht verstehen, man muss sich nur darin zurechtfinden" hat die rot-grüne Bundesregierung zusammen mit führenden Vertretern aus Wissenschaft, Wirtschaft und Kultur beschlossen, sich im kommenden Jahr nicht von der trüben Gegenwart deprimieren, sondern stattdessen die glorreiche wissenschaftliche Vergangenheit in Person ihres wohl prominentesten Vertreters hochleben zu lassen.
Das Wissenschaftsjahr 2005 ist Albert Einstein gewidmet, der sich einst mit dem ihm eigenen Hintersinn - der seinen nachgeborenen Verehrern leider abgeht - die Frage stellte: "Woher kommt es, dass mich niemand versteht und jeder mag?" Einsteins "Annus mirabilis", in dem er mit seinen Arbeiten die theoretische Physik revolutionierte und scheinbar im Vorübergehen den photoelektrischen Effekt, die Brownsche Molekularbewegung und die Spezielle Relativitätstheorie erklärte, jährt sich 2005 zum 100. Mal. Passenderweise starb der weltberühmte Wissenschaftler, passionierte Geigenspieler, überzeugte Kosmopolit, hartnäckige Hobbytheologe und prinzipielle Pazifist 50 Jahre später, so dass am 18. April noch ein weiterer Gedenktag würdig begangen werden kann. Überflüssig zu erwähnen, dass die UNESCO 2005 auch noch zum "World Year of Physics" erklärt hat.
Gegen diese geballten Anlässe hat weder der 200. Todestag des großen Friedrich Schiller, noch der 50. des unvergessenen James Dean eine Chance, die sich 2005 prinzipiell auch angeboten hätten. Doch Einstein ist eben unersetzbar - auch und gerade für Edelgard Bulmahn:
Albert Einstein - ein politisch und sozial engagierter Mensch, ein Weltbürger jüdischen Glaubens, ein genialer Wissenschaftler und ein Querdenker. In all seinen Facetten hat Albert Einstein für mich eine besondere Bedeutung. Sein Handeln und seine gesellschaftliche Verantwortung waren und sind vorbildhaft. Sein feinsinniger Humor und sein Blick sowohl auf die Menschheit als auch auf die Materie waren gleichermaßen faszinierend. Albert Einstein gab der Wissenschaft ein menschliches Gesicht - über Raum und Zeit hinaus.
Gewaltiger ließ nicht einmal Helmut Kohl den Mantel der Geschichte rauschen, und so nimmt es nicht wunder, dass die Liste der Kooperationspartner an Erlesenheit kaum zu überbieten ist. Vorträge, Lesungen, Ausstellungen, Tagungen und Konferenzen werden u.v.a. von der Max-Planck-Gesellschaft, der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, der Deutschen Physikalischen Gesellschaft, dem Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte in Potsdam und dem Einstein Forum veranstaltet.
Dass dieser ganze Aufwand getrieben wird, um sich ernsthaft mit Einsteins Leben und Werk auseinander zu setzen, ist kaum zu befürchten. "Das Einsteinjahr soll Lust auf Zukunft machen", sagt Edelgard Bulmahn, und die bereits voll funktionsfähige Homepage setzt ebenfalls auf einen eher unangestrengten Zugang:
Das Konterfei Albert Einsteins kennt jeder - Europäer ebenso wie Asiaten, Wissenschaftler ebenso wie Menschen, die nichts mit Physik zu tun haben, Erwachsene ebenso wie Kinder. 'Der Ingenieur des Universums', wie ihn ein Kind einmal nannte, ist eine Ikone - er gehört zu den bekanntesten Personen des 20. Jahrhunderts.
Wer mehr wissen will, ist selber schuld, denn einsteinjahr.de weiß: Dem echten Fan reichen Konterfei und Mythos, und die einfachen Wahrheiten sind ohnehin immer die besten:
Wenn er über seine Theorien sprach, konnten ihm nur wenige folgen. Aber: Einstein hatte Recht!
Und weil Einstein ganz einfach Recht hatte, erübrigen sich Diskussionen und Definitionen, die das Thema nur unnötig komplizieren würden.
Auch seine berühmteste Formel, E=mc2, schreibt er in diesem Wunderjahr nieder - jene Gleichung, die fast jeder kennt und die doch kaum jemand so recht zu erklären vermag.
Warum also erst den Versuch machen? Auch in diesem Fall hilft eines der unzähligen Einstein-Zitate, zum Beispiel jenes, das die Ministerin besonders gern hat:
Phantasie ist wichtiger als Wissen, denn Wissen ist begrenzt.
Die bedingungslose Seligsprechung ("Sein Handeln und seine gesellschaftliche Verantwortung waren und sind vorbildhaft.") könnte kaum so problemlos vonstatten gehen, wenn bestimmte Aspekte des Phänomens Einstein - etwa sein dubioses Verhältnis zu Frauen, die kleine, aber umstrittene Rolle, die er durch die Formulierung und/oder Unterzeichnung eines Briefes an Franklin D. Roosevelt beim Bau der Atombombe spielte, oder seine Vorliebe, sich wie im Fall der Heisenbergschen Unschärferelation bisweilen nicht von wissenschaftlichen, sondern von weltanschaulichen Grundsätzen leiten zu lassen - detaillierter und differenzierter betrachtet würden.
Doch diese Überlegungen spielen letztlich nur eine untergeordnete Rolle, denn schließlich möchte niemand bestreiten, dass Einstein allemal ein posthumes Jubeljahr verdient hat. Es stellt sich nur die Frage, ob die Bundesregierung nicht schon wieder eine Kommission einsetzen müsste, die dieses Mal berufen wäre, den Gefeierten vor seinen vielen neuen Freunden zu schützen.
So wie Albert Einstein einst mit seiner Forschung Grundlagen für bedeutende Innovationen schuf, so wichtig ist es heute, 'Einsteins Erben' - unsere Jugend - für wissenschaftliche Themen zu begeistern und zum Mitmachen anzuregen.
Schreibt die Bundesministerin und erklärt uns damit, was sie so denkt über die Bildungslage der Nation. Da ist also unsere Jugend, bei der es sich - auch wenn das im Rahmen internationaler Leistungsvergleiche nicht immer auf Anhieb deutlich wird - nachweislich oder per Regierungsbeschluss um "Einsteins Erben" handelt. Und wenn die jetzt noch ein bisschen Lust auf Zukunft bekommen und von den Älteren zum Mitmachen animiert werden, kann eigentlich gar nichts mehr schief gehen. So ähnlich sah es doch auch der Verewigte, oder?
Ich sorge mich nie um die Zukunft. Sie kommt früh genug.